"In den Augen seiner Kritiker*innen bestand Mbembes Verfehlung unter anderem darin, politische und ideengeschichtliche Ähnlichkeiten seit der Sklaverei und Kontinuitäten zwischen Kolonialregimen und der NS-Ideologie herauszuarbeiten", heißt es in dem Offenen Brief. Achille Mbembe habe "auf eine Gemeinsamkeit der NS-Politik mit der südafrikanischen Apartheid aufmerksam" gemacht, dabei aber die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten nicht mit der Apartheid gleichgesetzt, wie behauptet worden sei.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nähmen deshalb die "schwerwiegenden Vorwürfe" gegen ihren Kollegen "mit Befremden zur Kenntnis." Unterzeichnet haben das Schreiben unter anderem Historikerinnen, Antisemitismusforscher, Soziologinnen, Afrikanologen, Ethnologinnen und Kulturwissenschaftler aus Israel, den USA, Deutschland, Großbritannien und Australien - darunter Aleida Assmann, Wolfgang Benz, Eva Illouz, Susan Neiman und Moshe Zimmermann.
Israels Recht auf Leben in Frieden
"Rassismus hat sowohl in Südafrika als auch im Nationalsozialismus geherrscht" sagte im Deutschlandfunk Micha Brumlik, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt. Weil Achille Mbembe das Vorwort zu einem amerikanischen Buch mit dem Titel "Apartheid Israel - The Politics of an Analogy" verfasst habe, würden ihm nun - wegen angeblicher Gleichsetzung von Israel mit dem NS-Staat - die Verharmlosung des Holcaust und eine antisemitische Haltung vorgeworfen. "Im selben Text steht aber auch der Satz: 'Israel hat das Recht, in Frieden zu leben'", so Brumlik. Ein Vergleich bedeute keine Gleichsetzung.
Dem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Mbembes Einladung zur "Ruhrtriennale" kritisiert hatte, warf Brumlik im Deutschlandfunk einen mangelnden Informationsstand vor: "Herr Klein hat überreagiert und sich nicht, was seines Amtes gewesen wäre, sachkundig gemacht." Schon früher hätten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seine Absetzung gefordert. Auch der Zentralrat der Juden sei "nicht gut beraten" gewesen, als er sich der Kritik anschloss.
Distanzierung von der BDS-Bewegung
Seine Berührungspunkte zur Israel-Boykott-Bewegung BDS in der Vergangenheit bewerte Achille Mbembe selbst inzwischen kritisch, heißt es in dem Offenen Brief der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: "Seine damit verbundene Forderung, dass die Menschenrechte für alle gelten müssen, jedoch nicht. Wer diese Haltung als antisemitisch kritisiert, weil sie sich gegen die Politik des Staates Israel richtet, unterstützt mit derlei Argumentation die weitere Schwächung des Völkerrechts und der Menschenrechte.
"Ich finde BDS auch falsch", kommentierte Micha Brumlik. "Weil auch israelische Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler, die sich gegen die Regierung stellen, boykottiert werden sollen." Zu lernen sei aus den aktuellen Debatten vor allem eines: "Bevor über Personen der Stab gebrochen wird, hat man sich umfassend zu informieren."