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Solidaritätszuschlag
"Abgehängte Regionen in Ost und West fördern"

In der Union wird derzeit die Abschaffung des Solidaritätszuschlages diskutiert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) warb im DLF dafür, den "Soli" als ein Finanzierungselement für benachteiligte Regionen zu verstehen. Das sei dann nicht nur eine Frage von Ost und West, sondern eine Frage nach Kriterien.

    Linke-Politiker Bodo Ramelow am 4.12.2014 bei der Unterzeichnung des rot-rot-grünen Koalitionsvertrages.
    Linke-Politiker Bodo Ramelow am 4.12.2014 bei der Unterzeichnung des rot-rot-grünen Koalitionsvertrages. (imago/Hessland)
    Die neuen Bundesländer würden statistisch unter anderem bei Lohn, Vermögen und Wertschöpfung noch immer durch die alten Bundesländer abgehängt. "Wir brauchen einen weiteren Aufholprozess", sagte er im DLF. Allerdings betonte Ramelow, dass es nicht um die Unterscheidung von Ost und West ginge, sondern um die Benachteiligung und die Überwindung von Benachteiligung - auch in den alten Bundesländern.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Wie geht es denn weiter mit dem Soli? Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat da gerade eine erstaunliche Pirouette aufs Parkett gelegt: Erst hatte sie ja gesagt, der Soli bleibt, jetzt soll er doch abgeschafft werden, dann allerdings erst nach 2020, und wie lange das dauert, na ja, es kann lange dauern. Doch die Länder sind dagegen, wo kommt das Geld her, über all das wollen wir reden, und wie werden die Aufgaben, die da sind, finanziert? Vor der Sendung habe ich mit Bodo Ramelow gesprochen, dem Ministerpräsidenten von Thüringen. Zunächst einmal: Guten Morgen!
    Bodo Ramelow: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Ramelow, zunächst einmal: Die Kanzlerin will den Soli abschaffen, Sie sind dagegen, Sie haben sich auch vehement geäußert. Ja, warum denn eigentlich?
    Ramelow: Die Kanzlerin hat erst mal gesagt, sie möchte die Diskussion um den Soli führen, hat aber gleichzeitig mit Herrn Schäuble einen Vorschlag erarbeitet, der am Ende das völlige Auslaufen des Solis nach einer mechanischen Methode auf den Weg bringen würde. Und da sage ich, das können wir so nicht akzeptieren als Länder. Denn der Soli muss erst mal als das deklariert werden, was er eigentlich sein soll: Er soll ein Finanzierungsinstrument für benachteiligte Regionen sein. Und das ist nicht nur eine Frage von Ost und West, sondern das ist eine Frage nach Kriterien, wann kann eine benachteiligte Region einen Rechtsanspruch auf Finanzierung stellen. Da meine ich jetzt ausdrücklich auch das Ruhrgebiet, da meine ich den Pfälzer Wald, da meine ich Bremerhaven. Weil, die Frage, wo eine abgehängte Region tatsächlich darbt, muss uns veranlassen zu sagen, was können wir tun, dass diese Region wieder angeschlossen wird und wieder Prosperität entwickelt!
    Zurheide: Über die Himmelsrichtungen wollen wir gleich noch reden, ich will im Moment noch mal bei der Abgabe bleiben. Es gibt natürlich viele, und die Gegenargumente kennen Sie alle, die sagen, das ist wie mit der Sektsteuer mal zur Finanzierung der Marine, und dann bleibt das! So, jetzt haben wir den Soli eingeführt, die Aufgabe Ost ... Ich will nicht sagen, die ist erledigt, aber mindestens das Geld, was jetzt reinkommt, fließt auch nicht mehr dahin. Können Sie nicht die verstehen, die sagen, bei den Steuereinnahmen, die ja eher etwas besser sprudeln als in der Vergangenheit, irgendwann ist auch mal gut, wir brauchen mal so ein Signal? Haben Sie Verständnis für diese Argumente?
    "Der Bundeshaushalt sitzt immer in der Gnade von Herrn Schäuble"
    Ramelow: Die Frage, die Sie ansprechen, ist ja, ob tatsächlich der Aufbau Ost abgeschlossen ist und ob tatsächlich die Gelder, die immer noch als Soli eingenommen werden, wirklich dort ankommen. Und da muss ich einfach ...
    Zurheide: Das tun sie ja nicht.
    Ramelow: Genau. Und da wird die Diskussion eben leider unehrlich. Sie wird auch von Politikern unehrlich geführt. Deswegen werbe ich ja für eine klarere Diskussion eines Benachteiligungselements, dass eine Benachteiligung überwunden wird. Und jetzt bin ich bei Ihrem Beispiel der Sektsteuer, da sollte die Kriegsmarine, die kaiserliche, mit finanziert werden, am Ende war es einfach eine Einnahme, die der Bundeshaushalt für sich vereinnahmte. Bei allen Steuerarten ist das so, Rasen für die Rente. Wir erinnern uns daran: Auf einmal wird bei allem, wo Steuern erhoben wird, das alles in den großen Bundeshaushalt gepackt. Und deswegen fanden wir als Ministerpräsidenten der neuen Länder es gut, dass man mal anfängt, gründlicher über den Soli zu reden. Dass man sagt: Wird er wirklich für das angewendet und wie sind die Kriterien? Wer kann es beanspruchen, also eine Stadt, eine Gemeinde, eine Region, was soll damit gemacht werden, Verbesserung von Zuständen, denn das Grundgesetz schreibt vor gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Deutschland. Also ein Ausgleichsfaktor.
    Und deswegen war ja die Diskussion immer, ob das Ruhrgebiet abgehängt ist und in den neuen Bundesländern irgendwie goldene Wasserhähne angeschraubt worden sind. Tatsächlich ist es aber so, es geht dem Ruhrgebiet schlecht, es geht Bremerhaven schlecht, aber es geht auch bei uns in Thüringen, in Artern und Altenburg, nicht besonders gut. Also, man kann nun nicht sagen, dass da die goldenen Wasserhähne wären, von denen dann immer es behauptet wird.
    Und ob eine Stadt wie Jena es noch braucht, also eine Sonderzuwendung, da sage ich, da gebe ich jedem Bürger recht, der sagt, einer prosperierenden Stadt muss man es nicht geben. Weder Düsseldorf, noch Köln, noch Jena. Aber andere Regionen haben es dringend notwendig, und deswegen brauchen wir eine Verabredung. Der allgemeine Steuertopf gibt es nicht her. Der Bundeshaushalt sitzt immer in der Gnade von Herrn Schäuble und den Mehrheiten im Deutschen Bundestag und dann wird irgendwann mal eine Wohltat ausgeschüttet.
    Jetzt gibt es gerade wieder ein kommunales Hilfspaket, wird spektakulär angekündigt, da ist von 3,5 Milliarden die Rede. Den überwiegenden Teil, also ein Drittel dieses ganzen Pakets kriegt alleine NRW und es wird als Kriterium festgemacht die Kassenkredite, die eine Stadt aufgenommen hat. Da wir in Thüringen den Städten verboten haben, große Kassenkredite aufzunehmen, fühlen die sich jetzt benachteiligt, weil sie sagen, die, die am meisten Schulden gemacht haben, kriegen jetzt frisches Geld aus Berlin! Deswegen brauchen wir eine größere Ehrlichkeit in der Diskussion. Das Geld, das der Steuerbürger zur Verfügung stellt, muss so eingesetzt werden, dass der Steuerbürger auch das Gefühl hat, dass damit was Sinnvolles geschieht.
    "Es gibt leider Steuervermeidungsstrukturen und -kriterien"
    Zurheide: Wir können ja diskutieren über die Kriterien, werden wir gleich noch tun. Allerdings, der erste Schritt ist die Frage: Reicht es nicht, was im allgemeinen Steueraufkommen kommt? Die Steuereinnahmen immerhin haben sich erholt im Verhältnis zu dem, was wir in den 2000er-Jahren hatten, da waren die Steuereinnahmen, die Steuerquote durchaus niedrig, die Steuerquote ist leicht gestiegen. Da könnte man sagen, wir machen Ihre Kriterien, können wir gleich drüber diskutieren, aber das muss dann auch reichen! Meine Frage war vorhin: Haben Sie nicht Verständnis für jene, die sagen, irgendwann ist mal gut?
    Ramelow: Also, es gibt auch einen Teil an Kapitalgesellschaften, die sich an der Steuererhebung gar nicht mehr beteiligen. Das Stichwort Amazon oder Starbucks sei mal erwähnt. Es gibt leider Steuervermeidungsstrukturen und -kriterien, die nicht überwunden worden sind, insoweit ist die Steuerlast sehr einseitig in Deutschland verteilt. Und im Zweifelsfall wird der Verbraucher immer wieder über die Mehrwertsteuer rangenommen. Da sage ich, ich verstehe jeden, der sagt, das ist ungerecht! Diese Ungerechtigkeitsdebatte muss man dann führen, dass man einfach sagt, große Kapitalerträge und große Vermögensbestände müssen in die Steuer mit einbezogen werden.
    Wenn wir dann einen ausreichendes Steuervolumen hätten, das dann an die Länder ausgeschüttet wird und vor allen Dingen von den Ländern dann an die Kommunen weitergegeben wird als Garantie, dann wäre ich ja mal bei Ihnen und würde sagen, ja, irgendwann gibt es auch eine Überforderung, da kann man einfach sagen, nun ist gut!
    Aber wir reden speziell über den Soli. Und der Soli war immer ein Finanzierungselement, mit dem man ganz konkrete Projekte vor Ort in Gang gesetzt hat. Und deswegen werbe ich dafür, sehr ernsthaft das Steuerungselement des Solis zu lassen. Und um eine Steuerentlastung aufzubauen, müsste endlich der Steuerbauch weg, die Steuerprogression. Die kalte Steuerprogression hätte längst bereinigt werden müssen, und die Gegenfinanzierung wäre, den Spitzensteuersatz wie bei Herrn Kohl wieder auf 53 Prozent zu setzen oder bei 51 Prozent zu belassen, aber wenigstens den Mut zu haben, dass die Einkommensteuertabelle die kalte Steuerprogression auflöst. Dann würde der Facharbeiter wieder mehr Nettolohn haben.
    Aber was nicht geht, ist, die Steuerungerechtigkeiten der Bundeserhebung zu vermischen mit dem, was wir brauchen, um benachteiligten Regionen eine Garantie zu geben, dass sie über einen längeren Zeitraum das Geld einsetzen können. Es geht nicht um eine dauerhafte Subvention, es geht nicht um Regionen, die am Tropf hängen, sondern es muss darum gehen, Benachteiligungen zu überwinden. Und ich bleibe noch mal dabei: Auch die neuen Bundesländer statistisch sind, was Lohn angeht, was Vermögen angeht, was Wertschöpfung angeht und was Forschung angeht, was große Unternehmen angeht, was DAX-Konzerne angeht, nach wie vor weit abgehängt. Wir brauchen einen weiteren Aufholprozess. Wir können kein Interesse daran haben, dass rund um Berlin irgendwie eine Struktur entsteht mit abgehängten Regionen. Aber ich bleibe dabei, es geht nicht um Ost und West, sondern es geht um Benachteiligung und die Überwindung von Benachteiligung.
    Ramelow: Integration des Soli in die Einkommensteuer ist ein Steuererhöhung
    Zurheide: Und das alles wollen Sie jetzt hinkriegen in den Verhandlungen, die ja ohnehin zwischen Bund und Ländern geführt werden müssen. Könnte es sein oder haben Sie die Hoffnung, dass die Bundeskanzlerin da ihre Position noch mal aufgibt oder dass der Soli doch integriert wird in die Einkommensteuer? So war ja der Vorschlag der Länder.
    Ramelow: Ja, es war überwiegend ein Vorschlag der A-Länder, dem hat sich irgendwann Frau Merkel nicht mehr widersetzt. Jetzt hat sie offenkundig eine Kurskorrektur vorgenommen, weil sie bemerkt hat, dass sie dann als CDU-Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin in den Bundestagswahlkampf gehen muss mit einer kräftigen Steuererhöhung. Wenn man nämlich den Soli in die Einkommensteuer integriert, ist das nichts anderes als eine Steuererhöhung, und zwar eine dauerhafte Steuererhöhung.
    Und ich sage noch mal: Mir wäre es lieber, wir würden ehrlicher und klarer über den Soli als Soli reden, und wenn Sie sich daran erinnern: Der Soli ist mal eingeführt worden nicht wegen dem Osten, nicht wegen der neuen Bundesländer. Da hat Herr Kohl noch das Versprechen gegeben, die Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik erfolgt ohne Steuererhöhung. Und um sich nicht zu korrigieren, hat man den Irak-Krieg als Vorwand genommen.
    Und heute versucht Frau Merkel einen ähnlichen Spagat, indem sie einfach sagt, wir haben keine Probleme, das lösen wir alles schon irgendwie und der Soli bleibt und wird nicht in die Einkommensteuertabelle eingerechnet. Gleichzeitig ist es die gleiche Frau Merkel und der gleiche Herr Schäuble, der den neuen Ländern jedes Jahr 100 Millionen entzieht und in den Bundeshaushalt einfach einverleibt. Und auch diesen Teil, den sich der Bund im Moment einverleibt, den könnte man ja den Steuerbürgern wirklich ersparen. Dann könnte man wirklich über eine Abschmelzung reden, aber über den Teil, den der Bund einfach bei sich in sein Steuersäckel steckt.
    Zurheide: Dankeschön, das war Bodo Ramelow, der Ministerpräsident des Landes Thüringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.