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Solo-Alben mit Togawa und Smith
Solistische Einsamkeiten

Die Pandemie hat nicht nur Auswirkungen auf das Konzertleben, wo derzeit vor allem kleine Ensembles oder Solomusiker auftreten. Auch bei aktuellen Musikproduktionen stehen oft solistische Besetzungen im Vordergrund. Die neuen CDs von Wilhelmina Smith und Hiyoli Togawa sind beredte Beispiele dafür.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke |
    Die Augen einer Frau stechen eindringlich über einer Maske hervor
    Bratscherin Hiyoli Togawa bat 11 Komponisten, ihre "Isolation in Töne zu gießen". (Anne Hornemann)
    Bis zum Frühling vergangenen Jahres war das Tragen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit eher ungewöhnlich. Dann kam Corona – und mit dem Virus vielerorts die Maskenpflicht. Auf dem Cover ihrer neuen CD präsentiert die Bratschistin Hiyoli Togawa sich deshalb nicht mit ihrem Instrument, sondern mit einer grünen OP-Maske. Doch die ist eher ein Sinnbild für das Konzept ihres Albums "Songs of Solitude". Vor allem eine Frage beschäftigte die Musikerin zu Beginn der Pandemie:
    "Wieviel Freiheit kann ich im Inneren bewahren und empfinden, wenn die äußere Welt so unfrei und verschlossen ist? Ich entwickele eine Morgen- und Abendroutine mit Yoga und Atemübungen, um die Türen in meinen inneren Räumen möglichst weit offen zu halten. Um die inneren Stimmen, die mal lauter und mal leiser sind, wahrzunehmen und mit ihnen das Leben zu gestalten."

    Statt Applaus neue Kompositionen

    Wie viele Interpretinnen und Interpreten weltweit war auch Hiyoli Togawa durch die Corona-Maßnahmen in ihrer künstlerischen Tätigkeit stark eingeschränkt. Das tägliche Üben auf der Bratsche und die intensive Beschäftigung mit den eigentlich für Cello solo geschriebenen Suiten von Johann Sebastian Bach gaben ihr Ruhe und Ermutigung. Als sie vom finnischen Komponisten Kalevi Aho über den Abschluss seines neuen Violakonzerts eine Nachricht erhielt, warf diese für Hiyoli Togawa die Frage auf, wie Komponistinnen und Komponisten diese Zeit erleben. Kurzerhand entwickelte sie daraus ein Projekt und beauftragte elf Betroffene mit einem klingenden Stimmungsbild. Während Kalevi Aho, wie eingangs gehört, ein fast meditatives Duett für Bratsche und ihre Spielerin schrieb, dachte sein US-amerikanischer Kollege John Powell bei seinem neunstimmigen, leicht überdrehten Stück "Perfect time for a Spring cleaning" augenzwinkernd an den Frühjahrsputz.

    Unterschiedliche Blicke auf Corona

    Powells musikalische Idee, den Lockdown für ein Großreinemachen zu nutzen, ist unter den Arbeiten singulär. Alle anderen beauftragten Komponistinnen und Komponisten blicken eher ruhig, meditativ, aber auch mit einer gewissen Verunsicherung auf die Zeit des erzwungenen Stillstands zurück. Unter ihnen befinden sich mit Tigran Mansurian, Kalevi Aho oder Toshio Hosokawa bekannte Klassiker der zeitgenössischen Musik. Ihre Stücke zum Thema Lockdown wirken mitunter melancholisch und elegisch. Hosokawa beispielsweise verarbeitet in seinem Stück "Sakura/Solitude" ein japanisches Volkslied über die Kirschblütenzeit.
    Auffällig und zugleich sehr eindrücklich ist die Kantabilität aller Neukompositionen. Es scheint, als hätten sich die Beauftragten vor allem auf die lyrischen Klangmöglichkeiten der Bratsche konzentriert. Die meisten Stücke weisen Kantilenen mit großen Melodiebögen auf, die das warme und weiche Klangpotential des Instruments voll ausschöpfen. Irritierende Brüche oder experimentelle Flächen innerhalb der Kompositionen sind so gut wie nicht vorhanden. Manche Stücke lassen die Einsamkeit und den Verlust des gewohnten Lebens anklingen. So überschreibt der 1975 in London geborene Gabriel Prokofjew in der Suite "Five Impressions of Self-Isolation" einige Sätze mit "Wine for one", "Only birds in the sky" oder "How many weeks…?"
    Die US-amerikanische Komponistin Cristina Spinei, Jahrgang 1984, reagiert dagegen in ihrem Stück "Keep moving" auf ein Bild, das die Bratscherin Hiyoli Togawa gemalt hat. Die dort dargestellten Bewegungen greift Spinei mit ruhig fließenden Linien auf. - Hiyoli Togawa spielt sowohl die elf musikalischen Beschreibungen des Lockdowns als auch die dazwischen eingestreuten Sarabanden aus den sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach mit großen Linien und Spannungsbögen. Die Musik strahlt Einsamkeit und Verunsicherung, aber auch Ruhe und Wärme aus. Ihre CD "Songs of Solitude" ist in Kombination und Interpretation eine originelle und rundum gelungene Aufnahme.

    Ersteinspielung von Nørgårds Sonaten

    Das gilt auch für Wilhelmina Smiths interessante Einspielung von Werken dänischer zeitgenössischer Komponisten für Violoncello solo – wenn auch in einer etwas anderen Hinsicht: Denn als sie diese im Juni 2019 in Minnesota aufnahm, war Corona für die meisten ein Fremdwort. Auf ihrer neuen CD präsentiert Smith erstmals alle drei Solosonaten von Per Nørgård sowie die Bravourstudien von Poul Ruders. Die für beide Komponisten eher ungewöhnliche Beschäftigung mit dem Instrument geht vor allem zurück auf namhafte Cellistinnen und Cellisten.
    Nørgård, Jahrgang 1932, gehört zu den international bekanntesten zeitgenössischen Vertretern Dänemarks. Seine erste Sonate für Cello solo entstand Anfang der 1950er Jahre während des Studiums an der Königlichen Musikakademie in Kopenhagen. Sie ist musikalisch geprägt von Nørgårds Auseinandersetzung mit der spätromantischen Klangsprache Carl Nielsens und dem Neoklassizismus Igor Strawinskys. Damals begann der junge Komponist noch eine zweite Sonate, deren ersten Satz er ganz klassisch mit "Sonata, quasi una fantasia" überschrieb. Der zweite Satz entstand erst über 25 Jahre später – und spiegelt deutlich die Entwicklung des Komponisten in dieser Zeit wider. In ihm zeichnet Nørgård statt spätromantischer Lyrismen eher schroffe und mitunter bizarre Klanglandschaften.

    Moderne Charaktervariationen

    Cellistin Wilhelmina Smith lotet die unterschiedlichen Stimmungen in den Sonaten sowohl kraftvoll zupackend als auch mit sensiblen und zart lyrischen Melodiebögen aus. Nørgårds Stücke sind technisch recht anspruchsvoll; die "Bravourstudien" von seinem jüngeren Landsmann Poul Ruders dagegen erfordern, wie der Titel schon sagt, ein hohes Maß an Virtuosität. Ruders komponierte die Studien 1976 für den dänischen Cellisten Morten Zeuthen. Dem Stück liegt das französische Chanson "L‘homme armé" aus dem 15. Jahrhundert zugrunde. Dieses bearbeitet Ruders als Charaktervariationen überaus raffiniert in zehn Sätzen, die insgesamt wie eine groß angelegte barocke Suite wirken. Gravitätisch barock gestaltet er auch die einleitende Ouvertüre.
    Barock bleibt es in der Suite jedoch nicht lange: Vielmehr lässt Poul Ruders in seinen Bravourstudien verschiedene Formen der Musikgeschichte wie Serenade, Potpourri, Etüde oder Intermezzo Revue passieren. Als Vorbild für seine Komposition dienten ihm nach eigenen Angaben die Etüden von Franz Liszt. Die technischen Anforderungen meistert Wilhelmina Smith mit Bravour, Souveränität und einem oft sehr warmen und weichen Ton. Es macht Spaß, ihr zuzuhören.
    "Songs of Solitude"
    Werke u.a. von Bach, Hosokawa, Aho, Mansurian
    Hiyoli Togawa, Viola
    BIS-2533 SACD
    Per Nørgård/Poul Ruders
    Werke für Violoncello solo
    Wilhelmina Smith, Violoncello
    Ondine ODE-1381-2 CD