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Solo-Performance zum Auftakt

In Johann Wolfgang Goethes "Triumph der Empfindsamkeit" findet sich ein tragisches Intermezzo: Ein Monolog der Proserpina, die von Pluto, dem Gott der Unterwelt, geraubt und zwangsweise zu seiner Frau gemacht wurde. Obwohl bereits mehrfach Begleit-Musik komponiert wurde, nutzt der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm den dunklen Goethe-Text noch einmal für ein Monodram, das Hans Neuenfels zum Auftakt der Schwetzinger Festspiele inszeniert hat.

Von Frieder Reininghaus |
    Es war, wie er bei einer Pressekonferenz launig zum Besten gab, die erklärte Absicht des Tonsetzers, etwas rundweg Schönes zu Wege zu bringen. Dabei ist der literarische Vorwurf Goethes insgesamt alles andere als einfach schön: Er ist eine nicht enden wollende Klage der in die Unterwelt verschleppten und vergewaltigten Proserpina über ihr grässliches Frauenschicksal. Stellvertretend erhebt sie Anklage gegen Gott Pluto, ihren Mann, und ihren eigentlich ziemlich mächtigen Vater Zeus hoch oben beziehungsweise der notorisch fruchtbaren Mutter Demeter.

    Ein lapidarer Satz im Sturm- und Drang-Text des jungen Goethe mag als Katalysator für den längst hochprofitabel ausgeprägten künstlerischen Willen Wolfgang Rihms gedient haben - und dann auch als Rechtfertigung: "Was Du suchst, liegt immer hinter Dir".

    Interessant an Rihms grimassierender Solo-Performance zum Auftakt der Schwetzinger Festspiele war lediglich, dass ihn niemand um eine Begründung für seine neuerliche Hinwendung zu ungebrochener musikalischer Schönheit, Marktgängigkeit und demonstrativ ausgestelltem Neokonservativismus gebeten hatte. So ist das eben, wenn einer den Hades auskomponieren will: Es holt ihn das schlechte Gewissen ein.

    Rihm wirkt mit der von Gerhart Hauptmann erborgten großen Kulturgeste, die bereits Thomas Mann im "Zauberberg" ironisierte, wie eine sardonische Karikatur auf den Typus des kulturindustriell gemästeten Großkünstlers schlechthin. Doch steht zu fürchten, dass es der Altmeister der Neuen Musik aus Karlsruhe ernst meint mit sich. Es mag einem vorkommen, als wäre er vom kompositorischen Materialstand her in den schönsten Augenblicken wieder beim "Richard Strauss des fin de siècle" angekommen. Immerhin. Er kann es. Er schreibt seinen musikalischen Konversationsstil, in dem sich ganz à la mode auch altmeisterliche Momente finden und natürlich mancherlei Aromen seiner eigenen früheren Werke, mit Verve wie am Fließband.

    Mojca Erdmann ist die Stimme und Seele, der die neue Melodienseligkeit von Wolfgang Rihm auf den schönen jungen Leib geschrieben wurde. Sie ist das Sahnehäubchen auf der legierter Schönheitssuppe. Ein Kammerensemble stützt ihr faszinierendes fünfundsiebzigminütiges Solo vom kleinen Schwetzinger Graben aus. In dem wurde auch eine Auswahl der Sängerinnen des Stuttgarter Rundfunkchors als Parzen postiert. Auf der Bühne selbst tummeln sich nur die rundum bewunderungswürdige Sopranistin, die alle erdenklichen Facetten der Vokalkunst exemplifizieren kann, sowie drei Statisten, welche die von Hans Neuenfels und der Assistenz-Trainerin Beate Baron hinzugefügten Symbole vor- und zurücktragen.

    Das Zwischenspiel in Goethes Farce "Triumph der Empfindsamkeit" sieht "eine öde felsige Gegend" vor - mit einer "Höhle im Grund". Die von Gisbert Jäkel entworfene Bühne entfernte sich, wie es Standard ist beim neueren deutschen Theater, von der Natur; der Raum erinnert mit Behandlungsliegen, später einem Gynäkologenstuhl, Schere und Maßband entfernt an eine therapeutische Einrichtung, verrät aber nicht deren genauere Bestimmung und Betriebsweise. Er rahmt also das, was man als moderne Vorhölle ansehen mag. Rihm hat diesen irrealen Ort absichtsvoll beschönigt - passend zu Schwetzingen in der Spargelzeit.

    Würde es sich nicht um eine (ungefragt) von den Rundfunkgebührenzahlern mäzenatisch ausgehaltene Veranstaltung des Subventionstheaterbetriebs handeln, wäre die unvermittelte Wiederauflage des Goethe-Plots kaum durchzuhalten. Wirklich auf der Höhe der Zeit und gegebenenfalls Magnet für ein größeres Publikum wäre womöglich ein von Proserpina-Exkursen durchtriebener Text zum Beispiel zur Jugend der Wiener Fernsehmodaratorin Natascha Kampusch, zu ihrer Entführung und sexuellen Inbetriebnahme, ihrer Höllenfahrt nebst glücklichen Rückkehr ans Sonnenlicht und die Freiheit der Oberwelt, also das österreichische Privatfernsehen. Mit Theater aber, das an die Augen der Menschen von heute adressiert sein könnte, hat Rihm nichts im Sinn. Er sucht es dort, "wo es als nur durch die Musik begründbare Veranstaltung sich zeigt". Aber das ist im Theater nicht unbedingt der Fall, wenn ein Orgasmus auskomponiert wird.