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Soloalbum

"Soloalbum" greift das beliebte Thema von Popsongs auf, dreieinhalb Minuten lang und mit griffigem Refrain: Frau weg, was nun? Den Titel seines Debütsromans leitet der Kölner Autor Benjamin von Stuckrad-Barre aus einer enttäuschenden Erfahrung ab: Versierte Bandmusiker produzieren kaum gute Soloalben, eine Popband funktioniere eben nur als Ganzes, wie ein eingespieltes Duo im Bett.

Stefan Osterhaus | 02.11.1998
    Der Verlust der Partnerin treibt Stuckrad-Barres namenloses alter ego erst in den Vollrausch und dann aus der Stadt, auf die falschen Parties, zu den falschen Frauen, in die richtigen Plattenläden. Der Kontostand ist im Soll, nicht ungewöhnlich, aber irgendwie doch beklemmend. Er wechselt den Job, von einer Musikzeitschrift weg, hin zu einer Plattenfirma. Das Abhandenkommen von Freundin und Platten stellt sich am Ende als etwa gleich schlimm heraus, ein armer Musikjunkie, der da durch Hamburg irrt.

    Stuckrad-Barre, 23 Jahre alt und als Gagschreiber bei der Comedy-lkone Harald Schmidt im Sold, spitzt mit einfachen Worten lediglich zu, was er in den letzten zwei Jahren beobachtet hatte, glossiert über seine Arbeit bei der Musikzeitschrift "Rolling Stone", über sein Engagement bei der Plattenfirma Motor, den Irrsinn von Podiumsdiskussionen zum Thema Jugendkultur, bei denen Leute wie Dieter Gorny zugegen sind, entrückte 68er bei dem Verhökern von alten Werten. Völlig verdrehte Leute, befindet er, wohl nicht als erster, lauter bemitleidenswerte Kreaturen ohne Profil und sonderliches Können. Und überhaupt, ein Wahnwitz, daß der professionelle Plattenkonsument sich hierzulande Journalist nennen darf, findet Stuckrad-Barre. "Die nennen sich ja alle Journalist. Die nennen sich ja wirklich Popjournalist! Und was machen sie: Die rufen irgendwo an, dann kommt die Platte ins Haus, und dann schreiben sie da irgendeinen Quatsch drüber und kriegen dafür ein bißchen Geld. Das ist ja wahnsinnig armselig eigentlich, weil man auch völlig in einem Ghetto ist; eine Rockmusikzeitung, was für'n Quatsch. Weil es hier auch immer mit so einer heiligen Ernsthaftigkeit gesehen wird. In England ist das ja wunderbar, weil die auch nicht so rockistisch über Musik schreiben, sondern dann wirklich mal über Popkultur und das, was Platten bewirken, und nicht wie Platten gemacht sind."

    Derart desillusioniert treibt Stuckrad-Barre seinen Erzähler durch eine Welt, deren größtes Hindernis ihm das selbstauferlegte Diktat des Geschmacks ist. Auf spröden Parties mit versoffenen und fettleibigen Langeweilern, die gern von Wackersdorf, folglich vom "Damals" erzählen, sublimiert sich die Sehnsucht nach Besserem durch das Auflegen der richtigen Platte zur richtigen Zeit. Dadurch werden die Leute zwar auch nicht interessanter, aber immerhin wird die Wahrnehmung ein bißchen gefärbt. Doch der Held hat Zweifel. Immer wieder steht er vor einer tanzenden Sphinx, ringt um Haltung, überdenkt diese, verwirft sie, und geht am Ende doch stiften. Sein Tonfall dabei ist ernüchternd: "Wenn es dann unwürdig wird, und bei Midnight Oil, Sisters of Mercy, HBlockX oder Skunk Anansie die Hölle losbricht, und sich ästhetische Vorbehalte nicht länger runterschlucken lassen, muß man eben schnell mal wieder pissen gehen, aber das ist kein Problem".

    Stuckrad-Barre ist auf solchen Parties der Spaß vergangen. Ebenso ist er sich sicher, daß jene Spezies von Partygängern wenig Freude an seinem Buch haben wird: "Ein 23jähriger Bauarbeiter wird definitiv mit diesem Buch nichts anfangen können, genauso wie ich mich mit seinen Freunden nicht amüsieren könnte - höchstwahrscheinlich. Und ein 23jähriger Jurastudent wird es wahrscheinlich auch nicht mögen".

    Also doch ein bißchen viel Stilguerilla, Sound als Abgrenzung von den Gewöhnlichen, Musik als persönlicher Defintionsmaßstab des beliebig Austauschbaren, der da in "Soloalbum" willkürlich in Plattenläden rennt und Singles kauft, obwohl er gar keinen Plattenspieler hat. Der Autor ist sich der Wirksamkeit des Instrumentes Popkultur bewußt, das an Signifikanz in den letzten Jahren noch gewonnen hat: "Das ist eine der letztmöglichen Sortierungen wahrscheinlich, die man noch so hat. Die aber ja zunehmend sich nicht auf Genres beschränkt, sondern dann auf cool oder nicht".

    Was cool ist, ist zwangsläufig gut. Aber was das Mysterium Pop nun tatsächlich ist, darin ist sich Stuckrad-Barre noch unsicher. Immer wieder wirft er ein paar Seitenblicke über den Kanal, und wie lässig es die Briten handhaben damit, das verblüfft ihn schon. Es bleibt ihm wohl doch nur ein Kopfschütteln, so, wie dem Namenlosen in seinem Buch, und willkürlich greift er heraus, was dem Deutschen irrtümlich und gratis als solches suggeriert wird: "Was heißt Pop, populär. Hera Lind ist dann Pop. Eigentlich ist Hera Lind, wenn man sie sich mal anguckt, definitiv kein Pop. Aber sie ist populär. Das Wort hilft da nicht so viel. Ist Hera Lind Pop? Nä! Hera Lind ist ‘ne fette blöde Mutter, die schlecht schreibt. Aber sie verkauft halt 500.000 Bücher, und wenn man es irgendwie geschickt anstellen würde, könnte Hera Lind wahrscheinlich in einem Stadion lesen. Aber da würde ich echt Manches geben um an dem Tag nicht in der Stadt zu sein".

    Am Ende registriert der Ich-Erzähler nach dem Oasis-Konzert lädierte Gehörgänge. Stadionrock, dumpf, laut, aber hymnisch. Er befindet "Definitely Maybe" für den besten LP-Titel aller Zeiten. Das paßt. Die Tortur geht weiter.