Bernd Lechler: Wieso überhaupt ein Soloalbum, warum waren diese Songs nichts für The Veils?
Finn Andrews: Ein paar der Songs habe ich mit der Band ausprobiert, aber da fingen sie nicht so richtig Feuer. Und dann spielte ich sie allein in der Wohnung, in der ich sie geschrieben hatte und mir schien, dass es Zeit war, etwas Neues anzufangen. Ich glaube, London machte mich fertig damals, ich musste etwas ändern. Da schließt sich auch ein Kreis: Die ersten Songs für The Veils schrieb ich mit 14, 15 in Neuseeland und sie brachten mich nach England. Diese neuen Songs wiesen mir den Weg zurück hierher.
Neuseeland - Heimat und Inspiration
Lechler: Was erwarteten Sie denn von Neuseeland? Und wie war es dann?
Andrews: Vor drei Jahren bekam ich ein sehr schönes Notizbuch geschenkt. Und ich wusste: Das muss ich für etwas Wichtiges benutzen. Da schrieb ich also alle Ideen hinein - und kam dann wirklich nur mit einem sehr kleinen Koffer und diesem Notizbuch an. Ich kenne eine Sängerin hier, Hollie Fulbrook, sie singt bei den Tiny Ruins - und ihre Band wurde für das Soloalbum meine Band. Das passierte alles in den ersten paar Wochen, als ich wieder hier in Neuseeland war. Ich kam also ohne irgendeine klare Idee, was das werden sollte. Ich hatte nur ein Buch voller Lieder.
Lechler: Das Cover signalisiert schon, dass es um etwas sehr Persönliches geht und auch um eine Art Rückkehr: Der Junge auf dem Cover, das sind Sie, nicht?
Andrews: Ja. Als ich acht oder neun war, wurde ich nach London zurückgeschickt, um bei meinem Vater zu leben und seine damalige Freundin, Maya Goldstein, eine tolle Fotografin, machte diese Aufnahme.
Lechler: Warum haben Sie das Bild verwendet, was ist das für ein Statement?
Andrews: Mir ging es einfach um dieses Verschwimmen der Zeit und das seltsame Gefühl eines Neuanfangs. Und dieser Junge hat so eine starke Präsenz. Es ist komisch, ich hätte nicht gedacht, was es doch für eine Auswirkung hat, wenn man den Namen ändert, unter dem man auftritt. Das dürfte doch gar nicht so wichtig sein, und doch spürte ich, sobald mein Name draufstand auf einmal so eine Schwere, das ganze Familiending, alles, was passiert ist seit damals. Wie ein Ruf aus der Zeit, als ich eben mit 15 nach Neuseeland zurückging und die ersten Songs schrieb. Alles verschwamm ineinander. Und da passte das Bild dieses unschuldigen Kinds - bevor das ganze Durcheinander ausbrach.
Lechler: Ehrlich gesagt, ich fand das Cover spontan eher gruslig. Ich wusste zuerst nicht, dass Sie das sind - ich sah einfach ein Kind, einen Knaben, der sexy hergerichtet ist, und dachte: Das geht ja gar nicht.
Andrews: Ich habe ein hübsches Kleid an, das stimmt. Und man sieht ein bisschen Brustwarze. Das Bild hat schon was Seltsames. Aber ich sehe da einfach diesen unschuldigen, verlorenen Jungen - und ich fühle mich heute gar nicht so viel anders.
Lechler: Sie haben gar nicht erwartet, dass das Bild Anstoß erregen könnte?
Andrews: Nein, ich finde es nicht anstößig. Es ist ein unschuldiges Bild.
Soloalbum nicht gleich Trennungsalbum
Lechler: Ist das Album ein Trennungsalbum?
Andrews: Ach, ich weiß nicht, wenn von Trennungsalben die Rede ist, steige ich immer aus. Es geht sicher um eine Übergangsphase, um eine Verwandlung, die Songs sind aus einem gewissen Maß an Liebeskummer heraus entstanden, aber es steckt doch viel mehr darin. Es ist nicht wie Adele. Obwohl es natürlich genau so viel Geld einspielen wird!
Lechler: Trotzdem, ein Song heißt "What Strange Things Lovers Do". Was tun Sie denn?
Andrews: Das ist einfach ein bitterer Song, wie ein alter Mann, der auf einer Bank sitzt und auf die Welt schimpft. Ein Blick auf all das, was man eben nicht mehr haben kann, wenn man mit gebrochenem Herzen dasitzt und versucht, es irgendwie zu verstehen.
Lechler: Sehr besonders finde ich auch "One by the Venom", in dem über 40 Arten zu sterben aufgezählt werden. Am Kreuz, durch Zigaretten, an den Pocken - wie kamen Sie denn darauf?
Andrews: Als ich ein Kind war, gab es diesen Abzählreim: "There was an old woman who swallowed a fly, I don’t know why she swallowed a fly, perhaps she’ll die... She swallowed a goat, she opened her throat, she swallowed a goat… she swallowed a spider to catch the fly…" Daher kam das, und daraus wurde diese etwas obsessive Liste, an der ich immer weiterschrieb, wenn ich in der Londoner U-Bahn saß oder so. Viele Todesarten flogen am Ende raus, ich musste die Liste kürzen, sonst wäre der Song 20 Minuten lang geworden.
Lechler: Und was sagt uns das nun, dass sich auf einem Album voller Lieder über die Liebe auch eines findet über 44 Arten zu sterben?
Andrews: Ach, diese Themen sind doch unentwirrbar miteinander verbunden, oder? Deswegen will ich es auch nicht "Trennungsalbum" nennen. Ja, es geht viel um den Tod, es stecken auch viele Fragen drin. Für mich ist das ganze Album eine einzige, konfuse Frage, eine schräge Lebensbilanz - jedenfalls sind es mehr Fragen als Antworten. Aber so ist das wohl bei mir.
Lechler: Ich finde die Texte handwerklich sehr gut, sehr formvollendet, sie könnten auch allein stehen, als Gedichte. Arbeiten Sie lange dran?
Andrews: Oh ja, da gibt es kein Limit. Es ist ein komischer Prozess. Man kann Jahre an so einem Text schreiben. Wir haben das ganze Ding ja innerhalb einer Woche aufgenommen, aber davor lagen drei Jahre Arbeit an den Texten und an der Musik.
Nicht Laut sondern Leise
Lechler: Im Zentrum der Arrangements steht das Klavier. Ihre Stimme ist viel mehr im Vordergrund als zuvor bei den Veils - welchen Unterschied macht das für Sie als Sänger und Performer?
Andrews: Einen riesigen. The Veils sind eine sehr laute Band, ich spiele laut Gitarre, alles daran ist laut. Diesmal haben wir möglichst viel weggelassen. Wir trugen im Studio auch keine Kopfhörer. Ich habe in meiner Stimme etwas entdeckt, von dem ich gar nicht wusste, dass es da ist, und das kam durch das leise Singen. Ohne Konkurrenzkampf um die Lautstärke, direkt an den Hörer, ohne etwas dazwischen.
Lechler: Aber Sie erkunden ja ohnehin neue Wege. Hat Sie nicht vor einer Weile die belgische Regierung mit einer 20-Minuten-Komposition beauftragt?
Andrews: Ja, das war vor ein paar Jahren schon - ein Stück über die australischen und neuseeländischen Toten des ersten Weltkriegs. Es war eine große Ehre, dafür angefragt zu werden - und mich dadurch mit Dingen zu beschäftigen, die so fern von meiner eigenen vergleichsweise mageren Lebenserfahrung sind und mit dieser Generation, die Unvorstellbares erlebt hat. Außerdem war es ein interessanter Ausflug in die Welt des Orchesters und der Klassik. Die Streicher-Arrangements sind auch auf dem neuen Album ein integraler Bestandteil, die brachten eine ganz neue Dimension dazu.
David Lynch lehrte mich wieder Kind zu sein
Lechler: Ein anderer Höhepunkt dürfte Ihr Auftritt mit den Veils in einer Folge von "Twin Peaks" gewesen sein.
Andrews: Das war wirklich ein unglaublicher Glücksfall. Wir hatten damals ewig an einem Album der Veils gearbeitet, hatten kaum noch Geld, mir machte es überhaupt keinen Spaß mehr. Und dann lernte ich Dean Hurley kennen, der viele Jahre mit David Lynch gearbeitet, alle seine Alben produziert hat und damals mit dem Soundtrack für die neue Staffel von "Twin Peaks" zugange war. Wir nahmen einen Song mit ihm auf, im Haus von David, und das führte am Ende dazu, dass er uns einlud, in einer Folge aufzutreten. Das war wie ein Witz: Wir kämpften damals, wie gesagt, mit dem Veils-Album, bei dem alles schiefging und nichts zusammenkam - und plötzlich flogen wir von London nach L.A. und durften diese unglaubliche Ding machen. Es war genau die Ermutigung, die ich brauchte. Dass David Lynch an die Band und den Song glaubte. Ich stand da auf der Bühne, starrte die ganze Zeit zu ihm hinüber - und gab alles. Weil ich wirklich am Arsch war, wie man so sagt.
Lechler: Was haben Sie aus der Arbeit mit Lynch gelernt?
Andrews: Ich habe gelernt, dass, egal, wer du bist - du machst da einfach was mit deinen Freunden und mit Leuten, deren Arbeit du respektierst. Wie ein Kind. Das hat man gespürt. Es waren alles Leute, die schon lange mit ihm arbeiten, und die haben einfach ihr Ding gemacht. Da war kein Druck, sie haben... gespielt! Das fand ich auch an der Serie so toll, da ging es nicht in erster Linie darum, das Publikum zu bedienen. Der Mann spielt einfach und lässt sich ganz darauf ein. Er ist so ein toller Kopf. Und es war so schön, das zu sehen und Teil davon zu sein. Und zu sehen, dass sich das nie ändert, oder sich nie ändern sollte. Du bastelst, du stellst Dinge her, das ist alles, ernster wird’s nicht.
Lechler: Und dann kommen aber offenbar Dinge in Bewegung. Denn Sie haben auch mal gesagt: Man "macht" ein Album, aber in Wirklichkeit formt das Album den Künstler. Was hat dieses Soloalbum mit Ihnen gemacht?
Andrews: Jedes Album verwandelt mich total. Ich war ein anderer, bevor ich das hier begonnen habe. Man lernt alles Mögliche, es ist so ein seltsames Rufen und Antworten. Man schreibt diese Songs; ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten, wenn ich sie schreibe; sie sind dann einfach da, man macht weiter und wühlt sich durch, schreibt jede Menge Müll. Dann dauert es Jahre, bis man sagen kann, was davon etwas taugt - und immer noch weiß ich nicht, was es bedeutet! Ich arbeite jahrelang im Dunkeln. Und am Ende hat man diese ganze Welt durchquert. Ich hatte keine Ahnung, wo mich dieses Projekt hinführen würde, ich bin einfach den Songs gefolgt. Und heute wüsste ich nicht, was ich ohne sie wäre. Ich bin auf der anderen Seite der Erde gelandet, und ich werde nie mehr derselbe sein.
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