"Bei den 2 Bears habe ich mit meinem Partner Raf zusammengearbeitet, bei Hot Chip mit Alexis und den anderen. Ich wollte aber sehen, was passiert, wenn ich alle kreativen Entscheidungen treffen kann. Das war eine neue Herausforderung für mich."
Es ist wie bei so vielen Musikern in erfolgreichen Bands: Irgendwann kommt der Punkt, an dem die einzelnen Mitglieder ihre eigenen Ideen verwirklichen wollen. Joe Goddard spürte den Drang schon vor acht Jahren: Damals hatte er sein Debütalbum "Harvest Festival" herausgebracht, ein bis auf einen Song reines Instrumentalalbum. Als Duo The 2 Bears hat er danach mit seinem Partner Raf Soul und House Einflüsse vermischt. Mit "Electric Lines" taucht der Brite noch tiefer in die Musikgeschichte ein.
"Ich wollte im Grunde genommen den Klang von Popmusik erreichen, so ausdrucksstark wie gute Popmusik aus den 80ern und 90ern. Wenn man zum Beispiel ein Quincy-Jones-Album aus den 80ern oder 90ern auflegt, dann passt einfach alles perfekt zusammen. Das bewegt einen. So will ich auch produzieren: Alles soll perfekt zusammen passen."
Perfektionismus und kreatives Chaos
Im eigentlichen Arbeitsprozess ist Perfektionismus aber nicht so wichtig. Im Gegenteil: Die elektrischen Kabel, Electric Lines, hängen in einem großen Durcheinander an seinen Synthesizern. Verbindungen werden gekappt und neu arrangiert. Ausprobieren und Scheitern gehören zum Musikmachen dazu. Sie unterstützen ihn bei der Suche nach neuen Sounds. Das kreative Chaos ist also essentiell für dieses Album. Auf ein weiteres Chaos von außen konnte er in seinem neuen Studio im Londoner Stadtteil Shoreditch aber gerne verzichten.
"Bevor ich ein Studio gemietet habe, war ich in meinem eigenen Haus. Das wurde immer schwieriger, weil meine zwei Kinder total aufgeregt waren, wann immer ich versucht habe, im Studio zu arbeiten. Sie haben dann an die Tür gehämmert, wollten reinkommen und auf dem Stuhl herumwirbeln. Sie fanden das sehr aufregend. Es gab also nicht wirklich Privatsphäre. Mein eigener Raum bedeutete, einen freien Kopf zu haben. Ich hatte Zeit, um darüber nachzudenken, was ich erreichen wollte."
Die Musik funkelt wie eine Discokugel
Goddard wühlt sich in den zehn Songs durch die Musik der vergangenen Jahrzehnte. Dabei greift er oft auf Einflüsse aus seiner eigenen Jugend zurück, damals in den 90ern im aufregenden London, als an jeder Ecke die Musikszenen nebeneinander existierten: R'n'B, House, Jungle, Hip-Hop und Reggae.
"Es gab so viel Musik und ich habe versucht, so viel wie möglich davon aufzusaugen. Die jungen Leute können das heute immer noch machen, aber London hat sich wirtschaftlich verändert. Es ist für junge Menschen schwieriger, einfach nur in London zu wohnen, weil es eine sehr teure Stadt geworden ist. Das ist ein echtes Problem und die Regierung muss das ernsthaft angehen, weil es der britischen Musikindustrie schadet, wenn die Kids nicht mehr in London leben, ausgehen und Karriere machen können."
Ähnlich kritische Töne findet man auf dem Album aber nicht. Die Musik funkelt wie eine Discokugel in verschiedenen Farben: meistens clubtauglich, manchmal aber auch bedächtig ruhig wie in dem Song "Nothing Moves". Gastsänger wie sein Bandkollege Alexis Taylor polieren die Stücke mit ihren Stimmen auf. Die Texte sind lebensbejahend. Die Songs handeln von seinen Kindern, von glücklicher Liebe und der Wirkung der Musik. Dabei benutzt Goddard gerne Samples, um die Botschaft zu untermalen. So wie bei dem Stück "Music is the answer", einem Hit von Celeda aus den 90ern.
Typischer Hot-Chip-Sound
Joe Goddard veröffentlicht ein gelungenes Soloalbum. Musikalische Überraschungen darf man aber nicht erwarten. Der Brite greift auf die Qualitäten zurück, die er größtenteils mit Hot Chip erworben hat: Das Manipulieren von Synthesizer-Klängen. Damit kennt er sich aus. Deshalb könnten sich die Stücke von "Electric Lines" wohl auch nahtlos auf jedem Album der Band um Alexis Taylor einreihen. Joe Goddard hat damit aber kein Problem.
"Das würde mich nicht stören. Es würde mich glücklich machen, wenn die Leute sagen würden, dass sie den Hot-Chip-Sound erkennen würden, weil ich es liebe, wenn Produzenten eine eigene Identität im Sound haben. Man kann auch eine Madlib-, J-Dilla-, Brian-Wilson- oder Prince-Produktion erkennen. Sie haben ihren eigenen Sound. Und wenn Hot Chip einen eigenen Sound hat, dann macht mich das glücklich."
Joe Goddard kommt am 28. April 2017 für ein Konzert nach Berlin.