"Wir reden über diese Straße hier, sie verbindet Hargeisa, die Hauptstadt von Somaliland, mit dem Roten Meer. Das sind 105 Kilometer."
Abdulkadir Hashi Elmi fährt mit seinem Zeigefinger über die Straßenkarte, entlang der Strecke, über die er spricht. Ein dünner Strich, also nicht asphaltiert, eine Piste. Der rote Fleck darunter markiert die Hauptstadt Hargeisa. Zwischen ihr und der Küste liegt quer ein hoher Gebirgszug.
"Er schneidet einen großen Teil des Landes vom Zugang zum Meer fast ab. Dabei nutzen wir das Hinterland der Küste als Weideflächen für unsere Herden. Außerdem ist die Küste für Fischerei und Tourismus wichtig. Deshalb wollen wir die Piste ausbauen, damit wir die Berge leichter überqueren können."
Abdulkadir Hashi Elmi ist rund 80 Jahre alt und immer noch eine imposante Erscheinung: groß gewachsen und kräftig, er strahlt Tatkraft aus und Entscheidungsfreude. Mit seinem breitkrempigen Hut könnte er auch nach Texas passen, ein Eindruck, der gar nicht so falsch ist: Denn Elmi hat fast vier Jahrzehnte in Kuweit gelebt, dort für ein Erdölunternehmen gearbeitet und eine Menge Geld verdient. Vor zwölf Jahren kehrte er nach Somaliland zurück.
"Ich bin meinem Heimatland noch etwas schuldig, ich verdanke ihm eine Menge. Den Rest meines Lebens möchte ich mich jetzt mit privater sozialer Arbeit beschäftigen."
Dazu gehört aus seiner Sicht auch der Ausbau der Piste durch die Berge. Elmi und einige seiner Freunde wollen sie begradigen und asphaltieren. Er schiebt eine DVD in den Computer und wirft den Beamer an, um den früheren Zustand der Piste zu zeigen. Filmsequenzen einer bergigen Steinwüste sind an der Wand zu sehen. Ein Geländewagen holpert über das Geröll, er wogt beim Fahren von rechts nach links wie ein Schiff in schwerer See. Elmi sagt, auf dieser Strecke seien früher ständig Autos abgestürzt, Menschen verunglückt. Dagegen habe er einfach etwas tun müssen.
"Wenn wir die Regierung um einen Beitrag zu solchen Projekten bitten, sagen wir jedes Mal: 'Ihr sagt immer, dass ihr kein Geld habt, und wir wissen, dass das stimmt. Solltet Ihr doch mal irgendwie am Geld kommen, dann vergesst uns nicht.' Und das funktioniert."
Staat ist erstaunlich funktionstüchtig
Was Elmi damit auch sagen will: Wenn die somaliländische Regierung doch einmal über Finanzmittel verfügt, verschwindet nicht alles in private Taschen. Auch in anderer Hinsicht ist Somaliland etwas Besonderes: Dieser Staat ist international nicht anerkannt, es gibt ihn also offiziell gar nicht. Dabei hat sich die Region im Norden Somalias schon 1991 für unabhängig erklärt, sie kündigte die Union mit dem südlich gelegenen Somalia auf.
Die Entscheidung dazu wurde auf traditionelle Weise getroffen: bei einer Versammlung der Ältesten aller somaliländichen Klans und Vertretern einer bewaffneten Befreiungsbewegung. Und während der Nachbar im Süden seit mehr als 20 Jahren weiterhin keinen Frieden findet, gilt die Lage in Somaliland als ziemlich stabil. Die Regierung ist demokratisch gewählt, an der Spitze des Staates steht bereits der dritte Präsident. Weil aber die weltweite Anerkennung fehlt, vergeben internationale Organisationen keine Kredite.
Doch trotz knapper finanzieller Ressourcen hat die somaliländische Regierung einen erstaunlich funktionstüchtigen Staat auf die Beine gestellt. Das aber liegt nicht zuletzt an Bürgern wie Elmi, die bereit sind ihr Geld in den Aufbau der Heimat zu investieren. Übrigens nicht nur aus sozialen Beweggründen, wie Elmi offen einräumt:
"Wir glauben, dass man in einem Land umso mehr Geld verdienen kann, je mehr man vorher investiert hat. Wir machen also nichts Verrücktes."
Für die Trasse über das Gebirge haben Elmi und seine Unterstützer nach eigenen Angaben immerhin schon 1,5 Millionen Dollar ausgegeben. Vor drei Jahren fing Elmi mit dem Projekt an, dafür hat er weitere Spender und Sponsoren gesucht, aber immer wieder auch eigenes Geld investiert.
Somaliland braucht Arbeitsplätze
Davon hat er reichlich. Nach seiner Rückkehr aus Kuweit eröffnete er zwei Hotels, von denen vor allem das Haus in der Hauptstadt ausgezeichnet zu laufen scheint. Abends sind die Restaurants drinnen und draußen immer voll besetzt. Das Hotel gilt für die politische Elite genauso wie für die normalen Bürger als wichtigster gesellschaftlicher Treffpunkt in Hargeisa. Nach eigenen Angaben beschäftigt Elmi Abdulkadir rund 300 Angestellte. Für seine Heimat ist das von großer Bedeutung, denn kaum etwas braucht Somaliland so dringend wie Arbeitsplätze vor allem für junge Menschen. Sie stellen etwa 70 Prozent der Bevölkerung, sind aber meist arbeitslos und träumen von Europa. Elmi hofft, dass mit Hilfe der neuen Straße weitere Arbeitsplätze entstehen werden, etwa der Tourismus angekurbelt werden könnte und sich an der Küste fischverarbeitende Industrie niederlässt.
"In den vergangenen drei Jahren ist die Piste schon viel besser geworden. Die Strecke ist auch kürzer, weil wir sie begradigt haben. Statt mehrerer Tage braucht man jetzt nur noch zwei bis drei Stunden."
Jetzt soll die Trasse noch asphaltiert werden - geschätzte Kosten: zwölfeinhalb Millionen Dollar. Wer Elmi zuhört, glaubt ihm sehr schnell, dass es mit diesem Asphalt-Belag klappen wird. Zwar existiert schon eine gut ausgebaute geteerte Straße von Hargeisa in die Hafenstadt Berbera, doch diese Strecke ist mit rund 200 Kilometern doppelt so lang wie der kürzeste Weg durch die Berge. Viel zu lang, findet auch Ali Abdi Hersi. Er ist der leitende Ingenieur des Straßenbau-Projekts. Vor drei Jahren lebte er noch in Kanada. Drei Jahrzehnte lang baute er dort Straßen, Brücken und kümmerte sich um Infrastruktur-Einrichtungen. Dann, als Rentner, kehrte er zurück nach Somaliland. Er möchte seiner Heimat sein Wissen und seine Erfahrung zur Verfügung stellen.
"Vielleicht ist ja die fehlende internationale Anerkennung Somalilands sogar ein Geschenk Gottes. Denn sonst hätten wir uns nämlich genau wie alle anderen Staaten überall Geld geliehen. So aber bauen wir unser Land auf unsere Weise auf. Wir sagen zwar manchmal: Wir bewegen uns so langsam voran wie eine Schildkröte, und die fehlende Anerkennung kostet uns auch Geld und Chancen. Aber das ist immer noch besser, als sich überall in der Welt zu verschulden."