Mahdi Robe liebt Sambusa, kleine frittierte Gebäckstücke mit einer Rindfleisch- und Gemüsefüllung. Die vom Baraka Store sind die besten, findet er, aber frische Sambusa gibt es erst am Abend wieder. Also kauft er stattdessen eine kleine Tüte im Geschäft gegenüber, im Mogadishu Store, einem der ersten somalischen Geschäfte auf Lewistons Hauptstraße. Heute reiht sich dort ein Halal-Laden an den nächsten. Und einer davon gehört Mahdi Robe selbst.
"Wir haben viele Gewürze, Kleidung und für Lewiston schon ziemlich außergewöhnlich - Kamelfleisch."
In einer Gefriertruhe im hinteren Teil lagert er sein Kamelfleisch, importiert nicht aus seiner Heimat Somalia, sondern aus Australien. Die Einrichtung sieht improvisiert und ein bisschen chaotisch aus, umgedrehte Getränkekisten dienen als Stühle. Auf dem Fliesenboden liegt Kinderspielzeug. Mahdi trägt eine Häkelmütze und über der weißen Tunika einen Nike-Kapuzenpulli. Seine Kunden sind in erster Linie Somalis, die Frauen bunt verschleiert. Weiße verirren sich kaum in den Laden des 29-Jährigen. Aber es werden mehr, meint Mahdi.
"Die Somalis leben in anderen Vierteln als die Alteingesessenen hier in Maine, aber langsam mischt es sich. Wir lernen ihre Sprache, die Kultur und Sitten und die Leute hier in Maine lernen uns kennen und unsere Kultur und Religion. Es dauert einfach ein bisschen."
Klein-Mogadischu
Einige Straßen von Mahdis Laden entfernt wohnt Peter Nyberg. Er ist in Lewiston geboren und aufgewachsen. Er hat den Verfall der katholisch geprägten Stadt erlebt, als Anfang der 60er die Textilfabriken schlossen, die Innenstadt verwaiste, die Einwohnerzahl auf 30.000 sank, bis schließlich Anfang 2000 die ersten somalischen Flüchtlinge kamen. "Little Mogadishu", wie es hier genannt wird, eine heruntergekommene Wohnbausiedlung, in der einst die Fabrikarbeiter und heute Flüchtlingsfamilien wohnen, liegt ganz in der Nähe seines Hauses, und trotzdem, sagt er, gibt es kaum Berührungspunkte.
"Meiner Meinung nach sind sie nicht gut integriert. Das ist nicht unbedingt ihre Schuld. Integration geht nun mal langsam. Bei den jungen Somalis ist es besser. Viele Menschen in Lewiston haben ihre Vorbehalte gegenüber den Flüchtlingen und umgekehrt merke ich bei den Neuangekommenen, dass sie uns gegenüber immer in Habacht-Stellung sind."
Besonders die ältere Generation tue sich mit dem neuen Gesicht ihrer Heimatstadt schwer, meint Peter.
"Sie glauben, dass sie Amerika und diese Stadt aufgebaut haben und, dass es jetzt von Leuten übernommen wird, die nicht wie sie in den Fabriken geschwitzt haben. Ein anderer Punkt ist, dass politisch anerkannte Flüchtlinge besser unterstützt werden, als jene Amerikaner, die von Sozialhilfe leben."
Die finanzielle Unterstützung der Somalis ist ein heißes Eisen in Lewiston. Schnell kommen beim Thema Flüchtlinge die teuren Autos zur Sprache, mit denen Somalis angeblich unterwegs sein sollen, bezahlt vom Staat, heißt es. Solche Geschichten bekommt auch Phil Nadeau von Lewistons Stadtverwaltung immer wieder zu hören.
"Von dem, was sie an Unterstützung bekommen, kriegen sie nicht mal ein halbes Auto. Ein anderer Mythos ist der von der Flüchtlingsfrau im Supermarkt, die ihren Großeinkauf nicht zahlen kann und der Geschäftsinhaber winkt sie einfach entnervt durch, weil er sie nicht versteht."
Gutscheine statt Bargeld
Die finanzielle Unterstützung der US-Regierung für anerkannte Flüchtlinge ist auf acht Monate begrenzt. Doch das wissen die wenigsten Amerikaner, sagt Nadeau. Früher waren es 36 Monate, aber diese Zeiten sind längst vorbei. Auch müsse man zwischen Flüchtlingen und Asylsuchenden unterscheiden. Denn Menschen, die sich bereits in den USA befinden, deren Flüchtlingsstatus aber noch offen ist, bekommen bis zur Klärung überhaupt keine Hilfe aus Washington. Asylsuchende sind damit auf Unterstützung aus den einzelnen Staaten angewiesen. Maine ist dabei großzügiger als andere. Das sprach sich in der amerikanischen Somali-Gemeinde schnell rum. Um den Andrang auf Lewiston zu bremsen und gleichzeitig die Integration der Zugezogenen zu beschleunigen, begann die Stadt finanzielle Unterstützung an Auflagen zu koppeln.
"Wir gucken uns die Anträge genau an und wer sich weigert, Englischkurse zu besuchen, der wird vom Programm für 120 Tage ausgeschlossen."
Asylsuchende müssen ihre Anträge monatlich erneuern. Statt Bargeld werden Gutscheine ausgehändigt. Mittlerweile läuft vieles rund in der Stadtverwaltung. Aber immer noch sind 50 Prozent der Immigranten arbeitslos. Es gab Momente, in denen das Sozialprojekt Lewiston zu scheitern drohte, sagt Nadeau. Etwa 2003, als Mitglieder der Word Church of the Creator, einer Glaubensgemeinschaft mit rassistischen Tendenzen, zu einer Anti-Immigrations-Demo in der Stadt aufriefen und Medienvertreter aus aller Welt anrückten.
"Der große Knall kam aber nicht. 4.000 friedliche Gegendemonstranten haben ein eindeutiges Zeichen gesetzt, nämlich dass Somalis in Lewiston willkommen sind. Darüber hat dann aber leider kaum einer berichtet."
Die Stadt war bis zum Eintreffen der ersten Somali-Familien zu fast 100 Prozent katholisch. Heute leben dort über 6000 Muslime. Die Religion aber, sagt Phil Nadeau, habe bei den zu bewältigenden Aufgaben eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Moscheen sind entstanden. Das Menü in den Schulen wurde um eine schweinefleischfreie Option erweitert, und in der Innenstadt entstanden Halal-Märkte, in denen Flüchtlinge Fleisch kaufen können, das den islamischen Speisevorschriften entspricht. Katholiken und Muslime leben friedlich nebeneinander, 2006 aber hielten beide Gemeinden kurz den Atem an, sagt Phil Nadeau, der Mann der Stadtverwaltung.
"Jemand hatte einen gefrorenen Schweinekopf in die Moschee gerollt. Das war ein entscheidender Moment, bei dem das Vertrauen beider Seiten auf die Probe gestellt wurde. Die Stadt hat damals sofort reagiert und ganz klar demonstriert, dass sie so ein Verhalten nicht toleriert."
Auch Mahdi Robe hat von dem Schweinekopfvorfall gehört, doch das ist viele Jahre her, sagt er.
"Wir haben uns hier nie bedroht gefühlt. Im Gegenteil. Ich liebe dieses Land, diese Stadt und wir haben das Gefühl, dass wir Teil der Gesellschaft geworden sind."