Sigrid Fischer: Alle Jahre wieder - das Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg. Das startet heute und Was man da so alles unter einen Hut bringt: Performances, Theater, Konzerte, Film, Bildende Kunst, Schülerworkshops, Thementage mit Vorträgen und Diskussionen. András Siebold, künstlerischer Leiter dieses Festivals auf Kampnagel - wie schafft man es, dass da nicht so eine Beliebigkeit entsteht im Programm.
András Siebold: Das ist tatsächlich immer eine große Herausforderung. Wir stehen ja immer vor einer riesigen Auswahl, weil wir weltweit reisen und gucken und tatsächlich die ganze Welt voll ist mit interessanten Künstlern, die auch sehr radikal an neuen Formen arbeiten. Manila, Argentinien und so, da sind wirklich super Sachen. Und was wir eigentlich immer machen, ist, dass wir irgendwo mal anfangen und sagen: Ok, wir haben ein paar zentrale Produktionen. Und dann gucken wir: Wie können wir von da ausgehend - so rhizomatisch eigentlich - gucken, dass die anderen Produktionen dazu passen, dass ein Netz aus Verbindungen entsteht. Dass es letztendlich so etwas wie eine Festival-Architektur gibt und das Ganze zusammenhält.
Wir haben noch länger mit András Siebold gesprochen -
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Fischer: Das Netz, wie Sie sagen - oder ich würde mal sagen: auch der Schirm, unter den Sie das so stellen - ist ja auch immer so ein bisschen politisch oder hat einen politischen Anspruch. Wenn ich zumindest so im Programm Ihr Vorwort lese - Bedrohung der Demokratie durch digitale Technologie zum Beispiel, politische Macht in der digitalisierten Welt und so - muss sich Kunst heute eigentlich mit Politik auseinadersetzen? Oder sagen wir: solche Festivals?
Künstlerische Gegenwartsdiagnosen
Siebold: Naja, das ist etwas, was sich automatisch ergibt durch die Künstler und die Produktionen, die wir zeigen. Weil wir ein Festival sind, das keine Reinterpretationen von klassischen Stücken zeigt, sondern Arbeiten zeigt, die alle Kreationen sind - also aus dem Jetzt entwickelt sind. Das sind alles Künstler, die sich mit ihrer Gegenwart auseinandersetzen. Jemand wie Eisa Jocson zum Beispiel, Choreografin aus Manila, macht eine Arbeit mit dem Ballett aus Manila, in der es darum geht, dass die Solisten dieses Manila-Balletts von Disneyland Hongkong weggekauft werden sozusagen - der Einfluss der globalen Entertainment-Industrie auf die lokale Ballett-Tradition in Manila. Die Themen, die oft politisch sind, kommen sozusagen durch die Künstler selbst. Und das bildet das Programm ab.
Fischer: Das heißt, wir können dann feststellen oder Sie stellen fest, wenn Sie da um die Welt reisen: Es wird dann einfach zurzeit ganz viel Kunst gemacht, die - ja - politische Inhalte hat. So ist das wohl, weltweit scheinbar.
Siebold: So ist das wohl. Und wir merken es ja selbst: An dem amerikanischen Präsidenten kommt - ob man es will oder nicht - im Moment niemand vorbei. Der ist seit zehn Monaten Top-News. Jeden Tag. Wenn man die Zeitung aufschlägt, das Internet aufmacht, steht da als erstes Trump. Und der Mann hat jetzt gerade seinen eigenen Fernsehkanal letzte Woche bekannt gegeben: Real News. Also jemand, der eingreift in das Spiel mit Realität und Fiktion, der plötzlich entscheiden will, was gehört in die Welt der Fiktion, was ist real, was ist Fake News, was ist Real News. Und das ist eigentlich ein Thema, was in der Kunst sehr oft behandelt wird: das Spiel mit Realität und Fiktion. Wir haben es mit Bühnen-Räumen zu tun, wo immer eine Fiktion stattfindet, wo aber die Realität natürlich verarbeitet wird. Das heißt: Plötzlich kommt jemand wie der amerikanische Präsident und mischt sich in unser Programm ein. Natürlich müssen wir darauf reagieren.
Fischer: Jetzt hatten wir gerade die Kritik an der documenta Athen, die auch schon dafür kritisiert wurde, dass Kunst dort nur noch politisch deutbar war und politisch aufgeladen war und dass das eigentlich nicht mehr Kunst ist unbedingt. Also: Wie ist da so Ihre Position?
Zu viel politische Kunst?
Siebold: Ich finde, da ist eine große Gefahr. Das zeigt sich bei der documenta auch. Die ist vielleicht ein bisschen an ihrem eigenen Anspruch gescheitert. Und das ist immer ein Problem beim Kuratieren, dass die Geste der Wahl plötzlich alles überschattet. Also der Inhalt nicht mehr so eine Rolle spielt, sondern nur noch die Auswahl, die Zusammenstellung, das Thema und so weiter.
Fischer: Also Hauptsache politisch - dann nimmt man es.
Siebold: Hauptsache politisch, genau. Und das Thema ist wichtiger als letztendlich die eigentlich Arbeit. Bei uns ist es aber so, dass wir zwar sehr politische Stücke durch das ganze Festival zeigen - so eine Arbeit wie Force Entertainment, die jetzt gerade zum Theatertreffen auch in Berlin eingeladen wurde, ist eine ganz tolle Paraphrase auf das Gefangensein in einer Endlosschleife. Die haben ein Stück gemacht, wo eine Situation in einer Gameshow, die anderthalb Minuten dauert, einfach 70 mal wiederholt wird. Und natürlich immer in Variation, aber es ist ein ganz tolles Bild für so etwas wie Brexit, für den Wahnsinn der Entertainment-Industrie, die uns gerade angreift. Also noch einmal das Stichwort Manila, Disney-Kultur, aber auch amerikanischer Präsident, der direkt aus einer Gameshow in das Oval Office eingezogen ist.
Mit der Kunst gegen den Populismus
Fischer: Kann denn Kunst gegen Populismus oder Trump etwas ausrichten, wenn man ja einmal davon ausgehen muss, dass die Kunst, auch die Sie da präsentieren auf Kampnagel, nicht die Massen erreicht, die genau anfällig sind für Populismus.
Siebold: Wir erreichen vielleicht nicht die Massen, aber wir geben, glaube ich, ein Statement, was doch ziemlich weit sichtbar ist. Wir sind ja in der ganzen Stadt auch mit unseren Plakaten vertreten. Wo wir einen Künstler als Kandidaten präsentieren, in sozusagen einer Zeichensprache, die ein bisschen an den politischen Wahlkampf angelehnt ist - mit einem Slogan "Mit Sicherheit unsicher". Das steht in der ganzen Stadt und natürlich ist so ein Slogan jetzt nach G20 noch einmal besonders brisant. Weil in Hamburg sehr viel gerade über Sicherheit und Unsicherheit diskutiert wird. Das heißt: Da zeigt sich schon, dass auch Kunst eine größere Sichtbarkeit kriegen kann und so ein Festival als Statement natürlich eine Stadt auch bestimmen kann.
Fischer: Das machen Sie ja mit Blick auch hier auf das Wahljahr in Deutschland, in das Sie Juan Dominguez, so heißt Ihr Spitzenkandidat, da herumlaufen lassen. Ist mir nicht ganz klar, was das für eine Aktion sein soll. Was macht der da drei Wochen, wenn der da herumschleicht?
Siebold: Wir zeigen, dass das Spiel mit Realität und Fiktion bei uns in der Kunst eigentlich besser aufgehoben ist als in der Politik. Jemand wie Trump redet nur über: Was ist Fiktion? Was ist Realität? Und so weiter. Und jemand wie Juan Dominguez, der ist ganz klar eine Kunstfigur, der ist ein Künstler. Aber es ist gleichzeitig auch ein Spiel mit der Realität, weil, indem wir ihn in der ganzen Stadt als Wahlwerbung sozusagen präsentieren, greifen wir natürlich auch in eine Realität der Stadt ein. Ein Slogan wie "Mit Sicherheit unsicher", der darunter steht, setzt sich mit einer konkreten Realität auseinander in der Stadt Hamburg, wo über Sicherheit und Unsicherheit nach G20 sehr viel diskutiert wird.
Fischer: Ab heute bis 27. August läuft das Sommerfestival auf Kampnagel. "Mit Sicherheit unsicher" - ja, so steht das auf dem Programm vorne drauf. András Siebold, dann wünsche ich Ihnen drei anregende Festivalwochen!
Siebold: Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg findet vom 09. bis 27.08.2017 statt.