Wir sind mit einem "Canadier" unterwegs. Wer seinen Lederstrumpf in jungen Jahren gelesen hat, der weiß, wie das Stechpaddel hier bewegt werden muss. Fürstenberg, eine Wasserstadt. Fast die Hälfte der Stadtfläche besteht aus Seen, die wie die glitzernden Perlen einer Kette durch die gemächliche Havel miteinander verbunden sind. Lassen wir doch Menschen erzählen, die mit im gleichen Boot sitzen. Robert Phillip:
"Genau das ist ja das Faszinierende an der Wasserstadt Fürstenberg, Havel, dass wir quasi von jedem Punkt der Stadt aus, ganz zügig in kürzester Zeit, an wunderschönen Seen stehen können, über weite Wasserlandschaft schauen. Wir haben in Fürstenberg drei schöne Seen im Innenstadtbereich. Und drum herum Wasser ohne Ende, Havellandschaft ohne Ende, Natur pur."
"Also, Sie sind der Bürgermeister und Sie sind einer, der aus den alten, aus den westdeutschen Ländern kommt."
"Ich bin eigentlich hier, weil es dieses Wasser, weil es die Natur hier so gibt.
Und wir sind früher schon als Kinder hier, auch zu DDR-Zeiten, zum Urlaub zur Verwandtschaft gefahren, haben uns den Stechlinsee angeguckt, haben begeistert von dem Wasser geschwärmt. Und das ist eigentlich auch Ursache, warum ich mich hierher beworben habe. Und dann sind wir mit dem Kanu unterwegs, mit dem Kajak, sind zum Baden bei wunderschönsten Klarwasserseen mitten im Wald. Also man nutzt das schon, was man hier hat, weil wir wirklich da, da leben, wo andere zum Urlaub hin kommen, Urlaub machen."
Leben, wo andere Urlaub machen. Vor eintausend Jahren war das hier noch eine sumpfige Ecke, wo Biber und Fischreiher sich Gute Nacht wünschten. Bis die Zisterzienser im nahen Kloster Himmelpfort den Einheimischen beibrachten, wie denn der Boden durch Ablaufkanäle allmählich regulierbarer wird. Es war lange hier eine unterbesiedelte Arm-Leute-Gegend, bis dann irgendwann Handelswege, bis das Flößergeschäft und zuletzt die Sommerfrische, sprich Tourismus, dem Land eine Gegenwart gaben. Und irgendwie ist diese Beschaulichkeit des langsamen Ein-stechens der Paddel auch ein Lebensrhythmus. Peter Alker, dem dieses Boot gehört:
"Selbst wenn man Hektiker ist, hier draußen auf dem Wasser findet man auch zu sich selber. Diese Landschaft beruhigt einfach. Die Havel als gemütlicher, langsam dahinströmender Fluss, durchquert eine wunderschöne Landschaft, vor allem durch Wälder und Seen geprägt. Und hier muss man einfach den hektischen Alltag vergessen. Das fällt alles von einem ab. Der Erholungswert auf dem Wasser und an den Ufern ist einfach enorm. Hinter jeder Biegung, hinter jeder Krümmung der Havel ändert sich die Landschaft. Man entdeckt ständig was neues. Aber muss hin und wieder auch etwas tun mit den Paddeln, denn bei Gegenwind ist man durchaus nicht mehr in der Lage, so gemächlich dahin zu fahren. Also man wird auch hin und wieder gefordert, und das kann ja nicht verkehrt sein."
"Wir kommen hier gerade an diesen Seerosenblättern, die so nebeneinander liegen, vorbei. Da sehe ich mal, wie stabil das ist, wie Mutter Natur dieses weit über handgroße Blatt auf das Wasser gelegt hat. Ich würd’ mich trauen, hier ein
Portemonnaie drauf zu legen. Dann sehe ich hier die Libellen jetzt hüpfen. Was kostet das bei Ihnen, wenn ich das für einen Tag mieten will? Drei Personen würden reinpassen."
"Also, sehen sie mal, das ist ein sehr hochwertiges Boot, ein Dreier-Canadier, und der kostet am Tag 28 Euro. Da fahren sie von Frühmorgens bis Abends, 20 Uhr, können sie sich da auf dem Wasser bewegen, völlig frei."
Völlig frei und losgelöst. Und wir sind jetzt verabredet mit der Malerin
Annemarie Marzke. Sie erwartet uns auf einem alten Kajütboot, unter einem Sonnenschirmchen und sie malt: Impressionen einer Flusslandschaft. Auf ihrem Bild spiegeln sich Bäume im Wasser:
"Und das ist die Havel, die nach Steinhavel-Mühle führt, im Rücken haben wir den Röblinsee."
"Was haben Sie für eine Beziehung zu diesen Wassern?"
"Ich bin hier praktisch groß geworden, habe anschließend in Berlin an der Humboldt-Universität studiert. Nicht einfach bloß gucken und nichts empfinden und wahrnehmen, sondern wirklich in die Tiefe schauen. Das ist wie, wenn sie einem Menschen ins Gesicht schauen, in die Augen schauen. Das sagt mehr als manchmal der Mund. Und so ist es hier auch. Und ich erinnere mich noch an die Zeit: ’ne braune Ziege hatten wir, hier entlang gefahren mit unserem Äppelkahn. Und dann hier links in die Buschanlage rein und da durfte dann die Ziege mal grasen. In der Stadt geht das ja sonst nicht. Und so habe ich von Kindheit an ein Gefühl für Natur. Innere Begeisterung für unsere Landschaft gibt einem die Kraft, stundenlang und tagelang und auch wochenlang dort zu sitzen. Man sieht Wasser. Aber was eigentlich alles da noch zu sehen ist: Das sieht nicht jeder."
Impressionen einer Flusslandschaft. Und vielleicht, lieber Hörer zu Hause, können Sie sich ja auch selber ein Bild dieser Landschaft aus den unterschiedlichen Beschreibungen skizzieren. Und wir paddeln nun nach Fürstenberg rein. Das heißt, die Häuserfronten stehen an den Straßen und die Gartengrundstücke stoßen dann ans Wasser. Datschen, noch gedeckte Frühstückstische, kleine Anlegestellen für ein Boot. Ein Schild: "Alte Reederei". Freundliche Gesichter, wir bandeln mal an:
"Wir sitzen im Garten und freuen uns über Besuch. Herzlich willkommen. Im Moment fühle ich mich vor allem wohl, nicht? Die Sonne scheint, das Wasser plätschert, es ist einfach nett hier."
"Alte Reederei, was reedern Sie?"
"Ja, es ist wirklich das Haus, das Objekt, das Lagerhaus eines früheren Reeders, das wir übernommen haben, und jetzt den großen Raum umgebaut haben zu Ferienwohnungen."
"Hier haben sie, sehe ich, einen Steg direkt angelegt. Also hier kann ich auch schwimmen, das Wasser ist sauber. Es gibt doch diese schöne Renoir-Dinger ‚Frühstück im Grünen’. Hier ist das quasi eins zu eins."
"Das haben Sie sehr schön geschildert. Wir sind besonders gut geeignet für Familien und für Pärchen. Ich hab zwei kleine Appartements für verliebte Pärchen. Wunderbare Sache."
"Hier bin ich Mensch, hier kann ich’s sein."
"Es gibt ja dieses neudeutsche Wort ‚Entschleunigung’. Ich muss da immer zweimal darüber nachdenken. Entschleunigung bedeutet ja einfach, aus der Hektik aussteigen, ruhiger leben, langsamer leben. Und damit auch ein Stück weit bewusster und vielleicht auch gesünder. Das kann ich hier."
Wir wechseln nun in die Stadt. Fürstenberg liegt wie eine Halbinsel, von Seen und Havelarmen umgeben. Wir kommen zum Schloss, einer Dreiflügelanlage. Hier fährt im Juni 1810 die populäre, noch junge preußische Königin Luise vor. 34 Jahre alt, eine geborene Prinzessin Mecklenburg - Strelitz. Sie kommt von Berlin-Charlottenburg in offener Kutsche und im Gefolge ihrer Equipage, 35 Bedienstete, Kleiderkoffer und Hutschachteln zu einem sommerfrischen Besuch ihrer Heimat.
In diesem Schloss in Fürstenberg findet dann ein festliches Begrüßungsessen mit ihrem Vater, dem Herzog, statt. Die preußische Königin fühlt sich etwas schlapp. Oder auf den Punkt gebracht, es beginnt ein vierwöchiges, langsames Dahinscheiden. Man reist weiter zum nahen Schloss Hohenzieritz. Diagnostiziert eine leichte Sommergrippe statt einer ausgewachsenen Lungenkrankheit. Der preußische König eilt hinzu, es kommen Berliner Kapazitäten, doktern, untersuchen, verschreiben, verschweigen, streiten und verwerfen. Luise stirbt vier Wochen später im väterlichen Schloss. Ihr feierlicher Leichenzug zurück nach Charlottenburg führt auch wieder über Fürstenberg.
Als das Trauergeleit und der Katafalk hier unter Glockengeläut auf dem Marktplatz anhält, da ist diese heutige neoklassizistische Kirche noch nicht erbaut. Heute, sommers auch eine Konzertkirche. Und wir hören Antonio Vivaldi aus der Wasser-stadt Venedig.
Und nur zur Vervollständigung des "Königin-Luise-Mythos". Klammer auf: Königin der Herzen. 1871 wird Luises Sohn, der schon hochbetagte Wilhelm I., in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Wir blicken vom Schloss aus über den Stadtpark auf den Schwedtsee. Surfer, Boote. Wer nicht informiert ist, mag die helle Einfassung am gegenüberliegenden Seeufer, gute zwei Kilometer entfernt, beim Dorf Ravensbrück für eine mondäne Fünf-Sterne-Urlaubsanlage halten. Musikfragmente wabern herüber.
Es ist die "Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück". Das einzige Frauen –
Konzentrationslager des Dritten Reiches. Die bekannte Schauspielerin Iris Berben unternahm dort vor einigen Tagen eine See-Lesung. Sie zitierte aus Aufzeichnungen, Briefen von Frauen aus dem Grauen von Ravensbrück. Iris Berben:
"Johanna Krause, aus ihren Erinnerungen: In der Nacht wachte ich auf, weil wir aussteigen sollten. Wir waren in Ravensbrück angekommen. Ich hatte glücklicherweise noch meine Sachen an. Mein Mann hatte mir einen Maßmantel aus englischem Stoff geschenkt. Er hat mir immer schöne Sachen geschenkt. Im Vieh-wagen war es kalt gewesen, es hatte nur zehn Grad. Wir mussten also aussteigen und durch die Nacht zum Konzentrationslager Ravensbrück laufen. Wir standen die ganze Nacht draußen vor dem Lager. Aus Auschwitz war eben ein Zug ange-kommen. In diesem Moment habe ich erst gesehen, was wirklich los war. Die Menschen waren furchtbar heruntergekommen. Sie hatten nichts als Lumpen an, stinkend, dreckig und verlaust. Ich war ja noch in meiner Privatkleidung. Ich hatte auch noch keine Läuse, zu dieser Zeit. Wir standen die ganze Nacht vor dem Lager. Ich hatte wunderbare, gefütterte Stiefel an, eine Bluse und meinen Mantel. Die Auschwitzer hatten gar nichts."
Bis 1945 werden im KZ Ravensbrück rund 132.000 Frauen und Kinder registriert, Jüdinnen, Politische, Sinti, Roma. Ab 1942 kommt auch ein Männer–KZ hinzu. Wie viele Häftlinge an Ravensbrück zu Grunde gegangen oder vergast worden sind, ist nicht mehr zu ermitteln. Berben:
"Elisabeth Sommer – Lovkivitz, Budapest, aus einem Erinnerungsbericht von 1995: Hier wurden die Männer und Jungen über 14 Jahren von uns getrennt, und in das Männerlager transportiert. Mein kaum 14-jähriges Paulchen ging mit den Männern. Ein furchtbarer Schmerz und die tiefsten Hoffnungslosigkeiten ergriffen mich. Ich hielt Ivan an der Hand und stand wie versteinert da. Ivan blieb mit mir in der Baracke Nr. 12, Mütter mit Kindern. Die erste Nachricht, die ich über Paul bekam, war ein zerfetztes Papierchen, das mir ein guter Freund, Dr. Bella Rosenberg, aus dem Männerlager zukommen ließ. Beunruhigen sie sich nicht wegen Paul, wir passen auf ihn auf. Ich trug das zerfetzte Papierchen ständig bei mir. Und, ja, wenn meine Verzweiflung unerträglich wurde, zog ich das Zettelchen hervor und las es. Hundertmal, um Kraft zu schöpfen. Irmgard Konrad aus Berlin: In Ravensbrück kamen wir dann alle gemeinsam zu Siemens. Und wir sind an der Mauer entlang gegangen, rauf zu Siemens. Und wir sehen sie ständig. Fürstenberg. Man sah vor allen Dingen die große Kirche, mit einem riesengroßen Turm. Ich habe heute noch den Blick vor meinen Augen. Man musste damit fertig werden. Du sahst die schöne Umgebung und du sahst den See und hinten das Städtchen, in das du nicht hinein konntest."
Ravensbrück am Eingang zur Hölle. Oder anders gesagt, Paradies, Urlaubsparadies und Hölle sind hier dicht beieinander. Und es scheint so, als ob Mutter Natur sich geradezu darin erschöpft, etwas "gut" machen zu wollen. Stolze Schwaneneltern ziehen hier vor dieser Gedenkstätte ihre Runde und führen ihre Jungen aus. Etwas entfernt eine Marina, ein Hausboothafen, wo man führerschein-freie Hausboote für Tage und Wochen mieten kann. Ein älteres Ehepaar kommt so eben von einwöchiger Wassertour zurück. Ihre Reisenotizen:
"Wir haben da ein Boot gemietet. Und zwar bei dieser Firma Locaboat, bei der wir vielleicht schon zehn Mal gefahren sind. In Frankreich, auf vielen französischen Kanälen, auch in der Lagune von Venedig, wo wir vor zwei Jahren waren. Und jetzt wollten wir eigentlich mal wieder was anderes sehen, wenn die Landschaft so schön ist, sind wir hierher gegangen. Und es war viel schöner, als wir uns das vorgestellt haben. Viel schöner, als wir’s gedacht haben."
"Waren Sie in Rheinsberg?"
"Natürlich, das hat alles mein Mann uns am Schiff erzählt. Und wir haben eine Rundfahrt gemacht und sind vor’m Schloss stehen geblieben und haben es angeguckt. Also, das hat keins gehabt, weder Venedig noch Burgund. Das hat hier einen ganz anderen Flair. Die Vögel, die Reiher, die wir gesehen haben. Das ist doch was. Das sieht man doch bei uns gar nimmer mehr."
"Genau das ist ja das Faszinierende an der Wasserstadt Fürstenberg, Havel, dass wir quasi von jedem Punkt der Stadt aus, ganz zügig in kürzester Zeit, an wunderschönen Seen stehen können, über weite Wasserlandschaft schauen. Wir haben in Fürstenberg drei schöne Seen im Innenstadtbereich. Und drum herum Wasser ohne Ende, Havellandschaft ohne Ende, Natur pur."
"Also, Sie sind der Bürgermeister und Sie sind einer, der aus den alten, aus den westdeutschen Ländern kommt."
"Ich bin eigentlich hier, weil es dieses Wasser, weil es die Natur hier so gibt.
Und wir sind früher schon als Kinder hier, auch zu DDR-Zeiten, zum Urlaub zur Verwandtschaft gefahren, haben uns den Stechlinsee angeguckt, haben begeistert von dem Wasser geschwärmt. Und das ist eigentlich auch Ursache, warum ich mich hierher beworben habe. Und dann sind wir mit dem Kanu unterwegs, mit dem Kajak, sind zum Baden bei wunderschönsten Klarwasserseen mitten im Wald. Also man nutzt das schon, was man hier hat, weil wir wirklich da, da leben, wo andere zum Urlaub hin kommen, Urlaub machen."
Leben, wo andere Urlaub machen. Vor eintausend Jahren war das hier noch eine sumpfige Ecke, wo Biber und Fischreiher sich Gute Nacht wünschten. Bis die Zisterzienser im nahen Kloster Himmelpfort den Einheimischen beibrachten, wie denn der Boden durch Ablaufkanäle allmählich regulierbarer wird. Es war lange hier eine unterbesiedelte Arm-Leute-Gegend, bis dann irgendwann Handelswege, bis das Flößergeschäft und zuletzt die Sommerfrische, sprich Tourismus, dem Land eine Gegenwart gaben. Und irgendwie ist diese Beschaulichkeit des langsamen Ein-stechens der Paddel auch ein Lebensrhythmus. Peter Alker, dem dieses Boot gehört:
"Selbst wenn man Hektiker ist, hier draußen auf dem Wasser findet man auch zu sich selber. Diese Landschaft beruhigt einfach. Die Havel als gemütlicher, langsam dahinströmender Fluss, durchquert eine wunderschöne Landschaft, vor allem durch Wälder und Seen geprägt. Und hier muss man einfach den hektischen Alltag vergessen. Das fällt alles von einem ab. Der Erholungswert auf dem Wasser und an den Ufern ist einfach enorm. Hinter jeder Biegung, hinter jeder Krümmung der Havel ändert sich die Landschaft. Man entdeckt ständig was neues. Aber muss hin und wieder auch etwas tun mit den Paddeln, denn bei Gegenwind ist man durchaus nicht mehr in der Lage, so gemächlich dahin zu fahren. Also man wird auch hin und wieder gefordert, und das kann ja nicht verkehrt sein."
"Wir kommen hier gerade an diesen Seerosenblättern, die so nebeneinander liegen, vorbei. Da sehe ich mal, wie stabil das ist, wie Mutter Natur dieses weit über handgroße Blatt auf das Wasser gelegt hat. Ich würd’ mich trauen, hier ein
Portemonnaie drauf zu legen. Dann sehe ich hier die Libellen jetzt hüpfen. Was kostet das bei Ihnen, wenn ich das für einen Tag mieten will? Drei Personen würden reinpassen."
"Also, sehen sie mal, das ist ein sehr hochwertiges Boot, ein Dreier-Canadier, und der kostet am Tag 28 Euro. Da fahren sie von Frühmorgens bis Abends, 20 Uhr, können sie sich da auf dem Wasser bewegen, völlig frei."
Völlig frei und losgelöst. Und wir sind jetzt verabredet mit der Malerin
Annemarie Marzke. Sie erwartet uns auf einem alten Kajütboot, unter einem Sonnenschirmchen und sie malt: Impressionen einer Flusslandschaft. Auf ihrem Bild spiegeln sich Bäume im Wasser:
"Und das ist die Havel, die nach Steinhavel-Mühle führt, im Rücken haben wir den Röblinsee."
"Was haben Sie für eine Beziehung zu diesen Wassern?"
"Ich bin hier praktisch groß geworden, habe anschließend in Berlin an der Humboldt-Universität studiert. Nicht einfach bloß gucken und nichts empfinden und wahrnehmen, sondern wirklich in die Tiefe schauen. Das ist wie, wenn sie einem Menschen ins Gesicht schauen, in die Augen schauen. Das sagt mehr als manchmal der Mund. Und so ist es hier auch. Und ich erinnere mich noch an die Zeit: ’ne braune Ziege hatten wir, hier entlang gefahren mit unserem Äppelkahn. Und dann hier links in die Buschanlage rein und da durfte dann die Ziege mal grasen. In der Stadt geht das ja sonst nicht. Und so habe ich von Kindheit an ein Gefühl für Natur. Innere Begeisterung für unsere Landschaft gibt einem die Kraft, stundenlang und tagelang und auch wochenlang dort zu sitzen. Man sieht Wasser. Aber was eigentlich alles da noch zu sehen ist: Das sieht nicht jeder."
Impressionen einer Flusslandschaft. Und vielleicht, lieber Hörer zu Hause, können Sie sich ja auch selber ein Bild dieser Landschaft aus den unterschiedlichen Beschreibungen skizzieren. Und wir paddeln nun nach Fürstenberg rein. Das heißt, die Häuserfronten stehen an den Straßen und die Gartengrundstücke stoßen dann ans Wasser. Datschen, noch gedeckte Frühstückstische, kleine Anlegestellen für ein Boot. Ein Schild: "Alte Reederei". Freundliche Gesichter, wir bandeln mal an:
"Wir sitzen im Garten und freuen uns über Besuch. Herzlich willkommen. Im Moment fühle ich mich vor allem wohl, nicht? Die Sonne scheint, das Wasser plätschert, es ist einfach nett hier."
"Alte Reederei, was reedern Sie?"
"Ja, es ist wirklich das Haus, das Objekt, das Lagerhaus eines früheren Reeders, das wir übernommen haben, und jetzt den großen Raum umgebaut haben zu Ferienwohnungen."
"Hier haben sie, sehe ich, einen Steg direkt angelegt. Also hier kann ich auch schwimmen, das Wasser ist sauber. Es gibt doch diese schöne Renoir-Dinger ‚Frühstück im Grünen’. Hier ist das quasi eins zu eins."
"Das haben Sie sehr schön geschildert. Wir sind besonders gut geeignet für Familien und für Pärchen. Ich hab zwei kleine Appartements für verliebte Pärchen. Wunderbare Sache."
"Hier bin ich Mensch, hier kann ich’s sein."
"Es gibt ja dieses neudeutsche Wort ‚Entschleunigung’. Ich muss da immer zweimal darüber nachdenken. Entschleunigung bedeutet ja einfach, aus der Hektik aussteigen, ruhiger leben, langsamer leben. Und damit auch ein Stück weit bewusster und vielleicht auch gesünder. Das kann ich hier."
Wir wechseln nun in die Stadt. Fürstenberg liegt wie eine Halbinsel, von Seen und Havelarmen umgeben. Wir kommen zum Schloss, einer Dreiflügelanlage. Hier fährt im Juni 1810 die populäre, noch junge preußische Königin Luise vor. 34 Jahre alt, eine geborene Prinzessin Mecklenburg - Strelitz. Sie kommt von Berlin-Charlottenburg in offener Kutsche und im Gefolge ihrer Equipage, 35 Bedienstete, Kleiderkoffer und Hutschachteln zu einem sommerfrischen Besuch ihrer Heimat.
In diesem Schloss in Fürstenberg findet dann ein festliches Begrüßungsessen mit ihrem Vater, dem Herzog, statt. Die preußische Königin fühlt sich etwas schlapp. Oder auf den Punkt gebracht, es beginnt ein vierwöchiges, langsames Dahinscheiden. Man reist weiter zum nahen Schloss Hohenzieritz. Diagnostiziert eine leichte Sommergrippe statt einer ausgewachsenen Lungenkrankheit. Der preußische König eilt hinzu, es kommen Berliner Kapazitäten, doktern, untersuchen, verschreiben, verschweigen, streiten und verwerfen. Luise stirbt vier Wochen später im väterlichen Schloss. Ihr feierlicher Leichenzug zurück nach Charlottenburg führt auch wieder über Fürstenberg.
Als das Trauergeleit und der Katafalk hier unter Glockengeläut auf dem Marktplatz anhält, da ist diese heutige neoklassizistische Kirche noch nicht erbaut. Heute, sommers auch eine Konzertkirche. Und wir hören Antonio Vivaldi aus der Wasser-stadt Venedig.
Und nur zur Vervollständigung des "Königin-Luise-Mythos". Klammer auf: Königin der Herzen. 1871 wird Luises Sohn, der schon hochbetagte Wilhelm I., in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Wir blicken vom Schloss aus über den Stadtpark auf den Schwedtsee. Surfer, Boote. Wer nicht informiert ist, mag die helle Einfassung am gegenüberliegenden Seeufer, gute zwei Kilometer entfernt, beim Dorf Ravensbrück für eine mondäne Fünf-Sterne-Urlaubsanlage halten. Musikfragmente wabern herüber.
Es ist die "Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück". Das einzige Frauen –
Konzentrationslager des Dritten Reiches. Die bekannte Schauspielerin Iris Berben unternahm dort vor einigen Tagen eine See-Lesung. Sie zitierte aus Aufzeichnungen, Briefen von Frauen aus dem Grauen von Ravensbrück. Iris Berben:
"Johanna Krause, aus ihren Erinnerungen: In der Nacht wachte ich auf, weil wir aussteigen sollten. Wir waren in Ravensbrück angekommen. Ich hatte glücklicherweise noch meine Sachen an. Mein Mann hatte mir einen Maßmantel aus englischem Stoff geschenkt. Er hat mir immer schöne Sachen geschenkt. Im Vieh-wagen war es kalt gewesen, es hatte nur zehn Grad. Wir mussten also aussteigen und durch die Nacht zum Konzentrationslager Ravensbrück laufen. Wir standen die ganze Nacht draußen vor dem Lager. Aus Auschwitz war eben ein Zug ange-kommen. In diesem Moment habe ich erst gesehen, was wirklich los war. Die Menschen waren furchtbar heruntergekommen. Sie hatten nichts als Lumpen an, stinkend, dreckig und verlaust. Ich war ja noch in meiner Privatkleidung. Ich hatte auch noch keine Läuse, zu dieser Zeit. Wir standen die ganze Nacht vor dem Lager. Ich hatte wunderbare, gefütterte Stiefel an, eine Bluse und meinen Mantel. Die Auschwitzer hatten gar nichts."
Bis 1945 werden im KZ Ravensbrück rund 132.000 Frauen und Kinder registriert, Jüdinnen, Politische, Sinti, Roma. Ab 1942 kommt auch ein Männer–KZ hinzu. Wie viele Häftlinge an Ravensbrück zu Grunde gegangen oder vergast worden sind, ist nicht mehr zu ermitteln. Berben:
"Elisabeth Sommer – Lovkivitz, Budapest, aus einem Erinnerungsbericht von 1995: Hier wurden die Männer und Jungen über 14 Jahren von uns getrennt, und in das Männerlager transportiert. Mein kaum 14-jähriges Paulchen ging mit den Männern. Ein furchtbarer Schmerz und die tiefsten Hoffnungslosigkeiten ergriffen mich. Ich hielt Ivan an der Hand und stand wie versteinert da. Ivan blieb mit mir in der Baracke Nr. 12, Mütter mit Kindern. Die erste Nachricht, die ich über Paul bekam, war ein zerfetztes Papierchen, das mir ein guter Freund, Dr. Bella Rosenberg, aus dem Männerlager zukommen ließ. Beunruhigen sie sich nicht wegen Paul, wir passen auf ihn auf. Ich trug das zerfetzte Papierchen ständig bei mir. Und, ja, wenn meine Verzweiflung unerträglich wurde, zog ich das Zettelchen hervor und las es. Hundertmal, um Kraft zu schöpfen. Irmgard Konrad aus Berlin: In Ravensbrück kamen wir dann alle gemeinsam zu Siemens. Und wir sind an der Mauer entlang gegangen, rauf zu Siemens. Und wir sehen sie ständig. Fürstenberg. Man sah vor allen Dingen die große Kirche, mit einem riesengroßen Turm. Ich habe heute noch den Blick vor meinen Augen. Man musste damit fertig werden. Du sahst die schöne Umgebung und du sahst den See und hinten das Städtchen, in das du nicht hinein konntest."
Ravensbrück am Eingang zur Hölle. Oder anders gesagt, Paradies, Urlaubsparadies und Hölle sind hier dicht beieinander. Und es scheint so, als ob Mutter Natur sich geradezu darin erschöpft, etwas "gut" machen zu wollen. Stolze Schwaneneltern ziehen hier vor dieser Gedenkstätte ihre Runde und führen ihre Jungen aus. Etwas entfernt eine Marina, ein Hausboothafen, wo man führerschein-freie Hausboote für Tage und Wochen mieten kann. Ein älteres Ehepaar kommt so eben von einwöchiger Wassertour zurück. Ihre Reisenotizen:
"Wir haben da ein Boot gemietet. Und zwar bei dieser Firma Locaboat, bei der wir vielleicht schon zehn Mal gefahren sind. In Frankreich, auf vielen französischen Kanälen, auch in der Lagune von Venedig, wo wir vor zwei Jahren waren. Und jetzt wollten wir eigentlich mal wieder was anderes sehen, wenn die Landschaft so schön ist, sind wir hierher gegangen. Und es war viel schöner, als wir uns das vorgestellt haben. Viel schöner, als wir’s gedacht haben."
"Waren Sie in Rheinsberg?"
"Natürlich, das hat alles mein Mann uns am Schiff erzählt. Und wir haben eine Rundfahrt gemacht und sind vor’m Schloss stehen geblieben und haben es angeguckt. Also, das hat keins gehabt, weder Venedig noch Burgund. Das hat hier einen ganz anderen Flair. Die Vögel, die Reiher, die wir gesehen haben. Das ist doch was. Das sieht man doch bei uns gar nimmer mehr."