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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Bairisch als Bonustrack

Michael Watzke berichtet für den Deutschlandfunk aus Bayern. Der gebürtige Westfale hat einen Traum: Er möchte, dass seine Tochter zweisprachig aufwächst: deutsch und bairisch. Kein leichtes Unterfangen, aber zum Glück gibt es den Kindergarten, dort wird Zweisprachigkeit praktiziert.

Von Michael Watzke |
    Der Motivwagen 72 (CSU - Willkommenskultur), eine CSU-Vogelscheuche mit einem "NO-Refugees!"
    Michael Watzke lebt in Bayern und möchte, dass seine Tochter auch bayrisch kann. (dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen)
    Autor: "Was ist das?"
    Finchen: "Eine Kürsche!"
    Autor: "Eine Kürsche?"
    Finchen: "Kürsche!"
    Autor: "Nein, in Bayern sagt man Kirsche."
    Finchen: "Kirsche!"
    Autor: "Genau!"
    Bairisch-Unterricht im Hause Watzke. Ich möchte, dass meine kleine Tochter Josephine, zweieinhalb Jahre alt, Mundart lernt. Schließlich ist sie ein echtes Münchner Kindl.
    "Wie sagt man in Bayern, wenn man sich begrüßt?"
    "Servus!"
    "Servus?"
    "Servus!"
    "Servus! Und wenn Du Auf Wiedersehen sagst, Finchen, was sagst Du dann?"
    "Tschüüs!"
    "Naaa, Finchen, dann sagst Du Pfiat di!"
    "Pfiat di!"
    "Super!"
    Meine Liebe zum bairischen Dialekt kommt wahrscheinlich aus dem Film "Wer früher stirbt, ist länger tot". Der kleine Hauptdarsteller dieser Tragikomödie spricht einfach zu zauberhaft.
    "Grüß Gott, i bin der Schneider Sebastian. Vom Kantlerwirt. Sie hamm gwiss an Haufen derlebt, gell? Aber jetzt wird’s nimmer lang dauern!"
    Mein Traum ist, dass Josephine zweisprachig aufwächst: Deutsch und Bairisch. Das Problem: als gebürtiger Westfale bin ich nicht gerade der beste Bairisch-Lehrer. Ich bin ein bisschen neidisch auf Josephines Kindergartenfreund Veit, dessen Vater Martin ihn beim Abholen stets mit den Worten begrüßt:
    "Minga, Oida! Das kann der Kleine auch schon ganz gut. Also: München, Alter. Das ist das Begrüßungsritual von meinem Jungen und mir. Hab i ganz witzig gfunden, und meistens ziehen wir’s durch."
    Bei Martin und Veit funktioniert das einwandfrei.
    "Weil, mir reden ja nur Bairisch. Er schnappt das auf, und so wie die anderen quatschen, so quatscht er dann auch."
    Nur: Meine Frau und ich reden daheim eher nicht Bairisch. Deshalb scheitern viele meiner Versuche, meiner Tochter urbairische Redewendungen beizubringen. Wie etwa "pfenningguat".
    "Pfiffigurt!"
    Oder das berühmt-berüchtigte…
    "Oachkatzlschwoaf!"
    "Oaschquatschlschoaß!"
    "Das müssen wir nochmal üben, unser bayerisches Kind!"
    Arme Josephine, ständig wird sie von ihrem Vater verbessert. Glücklicherweise besucht sie den Kindergarten des bayerischen Landtags. Die dortigen Betreuerinnen sind bilingual. Sie sprechen Hochdeutsch und Bairisch, erklärt Kindergartenleiterin Tanja Klopp:
    "Letztendlich ist es wie eine zweite Sprache für die Kinder. Und das kann eben sehr gut gelingen. Ich glaube, dass das auch der Grund ist, warum Kinder aus so einer Einrichtung so viel Bairisch mitnehmen können."
    Können, aber nicht müssen. Letztlich entscheiden das die Kinder und ihre Eltern.
    "Ich bin da das beste Beispiel. Absolut in Oberbayern aufgewachsen. Schon im Kindergarten nur Bairisch gesprochen. In allen Vereinen auch. Aber die Eltern kamen aus Hessen, immer Hochdeutsch gesprochen. Und wie man, glaube ich, ganz gut heraushören kann: Ich könnt‘ schon den Dialekt sprechen, aber er ist bei mir nicht authentisch. Das hör man sofort. Es gibt aber auch die anderen Fälle, hab‘ ich auch schon erlebt, dass die Eltern zwar hochdeutsch reden, aber die Kinder so integriert sind, dass sie mit der bairischen Sprache aufgehen. Ich glaube, das ist einfach Typussache."
    Josephine ist vom Typ her beides, glaube ich. Manchmal ist sie ein urbayerisches Madel – ganz ohne mein Zutun. Wenn sie nein sagt, sagt sie "Naaa!" Und neulich, als ich ihr Broccoli auf den Teller legte, da sagte sie:
    Finchen: "Pfui Teifi!"
    Autor: "Pfui Teifi?"
    Finchen: "Will ein Milchbrötchen!"
    Autor: "Aber in Bayern sagt man Milchsemmel!"
    Finchen: "Milchsemmel!"
    Natürlich will ich kein bayerischer Oberlehrer werden. Sprache lernen Kinder schließlich ganz nebenbei. In vielen ländlichen Gegenden Bayerns wird darüber gestritten, wieviel Dialekt in Krippen und Schulen gesprochen werden soll. Lange Zeit war Mundart hierzulande an höheren Schulen verpönt, gar verboten. Mittlerweile sprechen Lehrer und Betreuer wieder häufiger Bairisch. Im Integrationsgesetz, das der bayerische Landtag neulich wegen der vielen Flüchtlinge beschlossen hat, steht sogar ausdrücklich drin, Flüchtlingskinder sollten die lokale Mundart lernen. Ob das sinnvoll ist? Für mein Kind, denke ich, geht Hochdeutsch vor. Bairisch ist der Bonustrack, auf den Josephine hoffentlich nicht verzichten will.
    Kindergartenleiterin Tanja Klopp sagt, "dass Sprachbildung auch viel damit zu tun hat, wie die spätere Biografie sein könnte. Wie erfolgreich man sein wird. Und da muss man dann schon aufpassen, dass Hochdeutsch etwas ist, was Kindern geläufig ist im Ohr. Wenn man sich als Betreuer bemüht, und dann kommt ab und zu was bayerisches mit – wir sollen ja auch authentisch bleiben – dann ist das ne gute Mischung."
    Authentisch bleiben – ein guter Vorsatz. Auf Bairisch übrigens: Mia san mia.