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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Die Retter der Oberharzer Mundart

Mit dem Ende des Bergbaus in der Oberharz begann auch ein alter Dialekt, die Oberharzer Mundart, zu verschwinden. Übrig blieben nur noch ein paar einzelne Sprachrelikte. Seit zwei Jahren bemüht sich deshalb ein Verein um den Erhalt dieses Dialekts, der sich deutlich von anderen Mundarten abgrenzt.

Von Dietrich Mohaupt |
    Alte Bergbautechnik: ein Kehrrad am Kaier-Wilhelm-Schacht in Clausthalzellerfeld
    Jahrhundertelang war der Oberharz geprägt vom sehr ergiebigen Silberbergbau. Die Einflüsse der Bergleute aus den verschiedensten Regionen sind bis heute in der Oberharzer Mundart enthalten. (Deutschlandradio / Dietrich Mohaupt)
    Es ist eine gemütliche Runde bei Kaffee und Kuchen in der Gaststätte Ringer Zechenhaus in Clausthal-Zellerfeld, dem Domizil des Arbeitskreises Oberharzer Mundart:
    "So – Glück Auf Zackels, es freit mich ja, dass ihr gekumme seid! Zuerscht frach ich mal den Horschte aus Lautenthal, was es bei seinem Harz-Club neues gibt – erzähl mal, Horschte!"
    Erste Überraschung für mich – ich kann den Vereinsvorsitzenden Ulrich Wehmann ganz gut verstehen. Das Ewerharzerische klingt vertraut – viele hochdeutsche Elemente, aber doch irgendwie anders. Besagter Horschte – Horst Edert – stellt kurz die Kaffeetasse ab und berichtet wunschgemäß aus seinem Harz-Club:
    "Jeden letzten Donnerschtach im Monat mache mer unner Mundartraffen – und da kumme alle zusamme, die noch de Ewerharzer Mundart beharrschen, un da kumme a Leit zusamme, die hern wolln, wie han denn de Ewerharzer so gesprochen."
    Begrüßung "Auf" entstammt dem "Glück Auf" der Bergleute
    Ganz einfach – sie haben in erster Linie gesprochen wie die Bergleute, die seit Jahrhunderten das Leben im Oberharz prägten. Aber … bitte keine falschen Vorstellungen, meldet sich Ulrich Wehmann eilig wieder zu Wort – ewerharzerisch war nie eine berufsspezifische Fachsprache:
    "Die Oberharzer Mundart war keine spezielle Untertage-Gruppensprache, sondern sie war eine Alltagssprache. Übrig geblieben ist – als Relikt sozusagen – dass sich die Oberharzer mit dem einfachen 'Auf' begrüßen, und dabei leicht den rechten – leicht!! – den rechten Arm heben und den Zeigefinger ausstrecken … 'Auf!' … und alle wissen Bescheid, dass es dem ursprünglichen 'Glück Auf' der Bergleute zum Aus- und Einfahren entstammt."
    Der Vereinsvorsitzende hat extra für dieses Treffen die wichtigsten Daten zur Geschichte der Oberharzer Mundart auf einem DIN-A4-Zettel zusammengefasst. Schon im Jahr 983, steht da, hat Kaiser Otto I. Sachsen, Ost-Franken und Böhmer als Bergleute in seine Gruben in Goslar und Zellerfeld geholt. Im 15. Jahrhundert brachten Bergleute aus verschiedenen Regionen des Kaiserreichs niederdeutsche und Nordthüringische Sprachelemente mit, im 16. Jahrhundert kamen Einflüsse aus hochdeutschen Regionen und aus Tirol hinzu.
    Oberharzer Mundart lässt sich nicht in eine Dialekt-Schublade stecken
    In Lautenthal und Wildemann lebten schließlich um 1580 immer mehr Bergleute aus dem Erzgebirge und Meißen – und in der Bergstadt Clausthal machte sich im 17. Jahrhundert dann noch der sprachliche Einfluss französisch-hugenottischer Bergleute deutlich bemerkbar – die Einflüsse sind bis heute erhalten geblieben.
    "Nehmen wir das Oberharzer Wort 'trittoir' – besteht aus dem französischen 'trottoir', also 'der Weg', und dem Oberharzer 'Tritt', also mehrstufiger Zugang zu einem Haus."
    Insgesamt finden sich die Spuren von zehn verschiedenen Sprachen beziehungsweise Mundarten im ewerharzerischen. Das ist kein regionales Platt, kein Erzgebirgisch, wie vielfach behauptet – die Oberharzer Mundart lässt sich nicht einfach so in eine bestimmte Dialekt-Schublade stecken, meint Ulrich Wehmann.
    Dafür ist sie viel zu sehr Schmelztiegel verschiedener Einflüsse – mit Eigenarten, die sie deutlich von anderen Mundarten abgrenzen. Peter Wiehr vom Arbeitskreis blättert auf der Suche nach einem passenden Beispiel in einem Büchlein und stößt auf einen kurzen "Harzer Spruch":
    "De Harzer Schprohch, die klingt su schien, un kann ä jeder wull verstiehn. Se hott kä 'ö' und hott kä 'ü', doch klingt se mollig schpät und frieh. Un biste fremd, denn lernse ahch, doch kannstes net, schtieh kän in Wagh."
    Kein "ö", kein "ü" und auch kein Dativ
    Kein "ö", kein "ü" – und das "e" am Ende eines Wortes, bei "Wiese" zum Beispiel, lässt man auch gerne mal weg. Ach ja, und dann gibt es da ja noch die Sache mit dem Dativ, den man sich über die Jahrhunderte ganz einfach abgewöhnt habe, erzählt Ulrich Wehmann:
    "Wenn einer sagt 'Mit wem sprichst Du da denn?', sagt der Oberharzer: Mit wan sprichst’n Du da? – Die Antwort wäre dann: Mit dem! – im Oberharz sagt man: Mit dan!"
    Und weil er gerade so schön in Schwung ist – hier noch ein weiteres sehr griffiges Beispiel für die Besonderheiten der Oberharzer Mundart:
    "Unnere Hämoht is do, wo de Hasen Hosen hähßen und de Hosen Huhsn."
    Alles klar – oder etwa nicht?
    "Das ist übersetzt: Unsere Heimat ist dort, wo die Hasen Hosen heißen und die Hosen Huhsn."
    Ja, es dauert ein bisschen, aber nach einer Weile hat man sich ganz gut reingehört in diesen Dialekt, an dem sie im Arbeitskreis Oberharzer Mundart wirklich mit viel Herzblut hängen – nach dem Motto:
    "Unnre Schproch, o liewe Harzer, sei uns heilig, teier, warth, käner schprach drvon verachtlich. Nischt for uns hott gressern Warth, is ärscht unnre Schproch noch wack, den leit gans dr Harz in Drack."