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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Plattdeutsch als Eisbrecher

In Schleswig-Holstein schnackt rund ein Viertel der Bevölkerung aktiv Platt. Drei Viertel aller Menschen verstehen es - das haben Erhebungen aus dem Jahre 2007 ergeben. Doch wie in vielen anderen Regionen stellt sich auch im Land zwischen den Meeren die Frage: Verschwindet mit den älteren Menschen auch irgendwann das Platt?

Von Johannes Kulms |
    Kinderlieder auf Platt.
    Verschwindet mit den älteren Menschen auch das Plattdeutsche? (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
    Bärbel Oje: "So, die nächste Zahl is de 70."
    Ältere Dame: "70!"
    Oje: "Jawoll, de 70. Wer hätt die of sin Kort?"
    Montagvormittag im nordfriesischen Haselund. Draußen vor der Tür pfeift immer wieder der Wind. Drinnen, im Aufenthaltsraum des Ambulanten Pflegedienstes Johannes Carstensen, geht es ruhig und gemütlich zu. Die meisten Anwesenden konzentrieren sich auf das Bingo-Spiel. Auf Plattdeutsch.
    "Dat neechste is en Bild und dat is en Voss!... En Voss – wer kann dat översetten?"
    Plattdeutsch-Hochburg Nordfriesland
    Ein knappes Dutzend älterer Damen und Herren sind an diesem Vormittag in die Tagespflegeeinrichtung gekommen. Am Tisch – und damit am Bingo-Spiel – sitzen ausschließlich Frauen. Die drei Herren haben es sich dagegen ein paar Meter weiter entfernt auf Sesseln und Sofas bequem gemacht und dösen vor sich hin oder scheinen in Gedanken versunken.
    Dass Nordfriesland eine der Plattdeutsch-Hochburgen in Schleswig-Holstein ist, ist gerade an diesem Vormittag in der Pflegeeinrichtung unüberhörbar.
    "Ick wessel ganz gau. Weil ick häv masse Kunschaft in plattdütsch und masse in hochdüütsch. Und je nachdem, wat ick wet, wat ihr schnacken deit – ick wet, du schnackst hochdüütsch – also schnack ich automatisch hochdütsch. Und sonst schnack ick Platt", sagt Bärbel Oje, die das Team der Tagesbetreuung leitet. Jeden Tag von 9 bis 17 Uhr läuft die Tagesbetreuung. Manche Damen und Herren kommen täglich, manche nur einmal die Woche. Rund Zwei Drittel von ihnen sind dement, sagt Oje. Gerade für diese Gruppe spielt das Plattdeutsche eine sehr wichtige Rolle, erklärt Oje – nun auf hochdeutsch.
    "Man kriegt oft einen schnelleren und besseren Zugang, wenn man weiß, dass sie plattdeutsch aufgewachsen sind. Auch wenn sie im Erwachsenenalter viel Hochdeutsch berufsbedingt gesprochen haben, findet man einen schnelleren Zugang, wenn man Plattdeutsch kann. Die fühlen sich schneller zu Hause, hier sind sie willkommen. Wenn man ‚Moin‘ sagt ‚Kann ich dir de Jack afnehmen‘ dann fühlen sie sich schneller zu Hause als wenn man sagt, ‚Darf ich Sie bitten, mir Ihre Jacke zu geben‘. Das ist formell und, naja, wir Nordfriesen sind nicht ganz so formell."
    Weniger Distanz mit Plattdeutsch
    Einer Pflegekraft, die kein Plattdeutsch spricht, begegnen die älteren Damen und Herren distanzierter, meint die 50-Jährige. Denn die Sprache ist tief verankert.
    "Die plattdeutschen Wörter, die lernt man als Kind, die sind immer da, das hilft natürlich. Aber wenn Sie jetzt fragen, was gestern war oder vorgestern oder am Wochenende war, dann können die Leute das nicht erzählen."
    Im Tagungsraum geht es inzwischen weiter mit vorlesen. Eine 93-Jährige Dame hält ein Buch in ihrer Hand und fährt mit den Finger durch die Zeilen. Der Titel:
    "Twei Hens höden Kattenkinder – Zwei Hennen hüten Katzenkinder"
    "Plattdeutsch bringt mir auch Spaß, aber Hochdeutsch auch. Ich weiß nicht, ich mag gerne vorlesen."
    Doch nicht jedem und jeder hier im Raum fällt das mit dem Vorlesen und dem Schnacken auf platt so leicht. Zum Beispiel der Sitznachbarin, die gebürtig aus dem Lippe-Land stammt.
    "Wenn jemand uns platt anspricht, dann sagen wir: 'Halt!' Weil wir das auf andere Art hören müssen. Und ob ich es noch lerne, weiß ich nicht."
    Sprachkurse für Pflegekräfte
    Für zugezogene Pflegekräfte werden in Schleswig-Holstein inzwischen sogar spezielle Plattdeutsch-Kurse organisiert. Im September zum Beispiel vom Nordkolleg in Rendsburg. Ein Einstellungskriterium seien Plattdeutschkenntnisse zwar nicht, meint Christian Carstensen, aber sicherlich von Vorteil. Der 32-Jährige führt den Pflegedienst in Haselund in zweiter Generation, zusammen mit seinem Bruder. Er spricht selber fließend Platt.
    "Also, ich glaube schon, dass das immer weniger wird. Das merke ich auch in meinem privaten Umfeld. Mein Sohn ist jetzt in der Krippe und wir sprechen mit ihm Plattdeutsch, aber er kommt da mit sehr viel Hochdeutsch wieder. So merkt man das schon, dass das da weniger wird. Aber es gibt viele in meinem Alter bzw. in meinem Freundeskreis spreche ich eigentlich überwiegend Plattdeutsch."
    Stirbt das Plattdeutsch also allmählich aus? Lange schien die Entwicklung in diese Richtung zu gehen. Doch das Zentrum für Niederdeutsch in Holstein blickt inzwischen optimistischer in die Zukunft und verweist auf Eltern, die selbst kein Plattdeutsch gelernt hätten und nun darauf drängen, dass es die Kinder nachholen. Oder die 29 Modellschulen in Schleswig-Holstein, die seit 2014 Plattdeutsch ab der ersten Klasse unterrichten. Nein, eine Trendwende sei das noch nicht. Wohl aber ein Mentalitätswandel, so das Niederdeutsch-Zentrum.