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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Plattdeutsch war früher internationale Geschäftssprache

Einst wurde in ganz Norddeutschland Plattdeutsch gesprochen und das in unzähligen Varianten, denn Unterschiede gab zwischen dem Platt in der Stadt und auf dem Land oder von Dorf zu Dorf. Und heute? Eine Spurensuche in Hamburg.

Von Axel Schröder |
    Kinderlieder auf Platt.
    Kinderlieder auf Platt. (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
    Einen Hamburger zu finden, der Plattdeutsch nicht nur verstehen, sondern auch noch sprechen können, das dauert. Die Großeltern, ja, die konnten das. Aber eben nur die der Einheimischen, nicht die der vielen Zugezogenen.
    "Ich komme aus Unterfranken und verstehe auch nichts, wenn die Plattdeutsch reden!"
    "Plattdeutsch? Nee. Bin aus dem Schwarzwald!"
    Junge Menschen braucht man eigentlich gar nicht zu fragen. Eine höhere Trefferquote hat man bei älteren Menschen:
    "Ja! Das haben wir als Kind bei den Eltern gehört. Wir hatten Wedeler Platt und wir hatten Oldenburger Platt und, ja, so ist das gewesen."
    Die ältere Dame trägt gerade ihren Einkauf nach Hause. Und ein paar Sätze auf Plattdeutsch kann sie auch sagen: "Dat Wedder is scheun. Und se steiht vor mi." - "Das Wetter ist schön und Sie stehen vor mir!" Immerhin. Ein Anfang.
    Einst wurde in ganz Norddeutschland Plattdeutsch gesprochen, in unzähligen Varianten. Unterschiede gab zwischen dem Platt in der Stadt und auf dem Land oder von Dorf zu Dorf. Lange ist das her, rund 500 Jahre. Das erklärt Prof. Ingrid Schröder von der Uni Hamburg:
    "Min Nom is Ingrid Schröder. Ick bün Professorscher an de Universität Hamborch un bin dor toständig för dat Plattdütsche..."
    In den Regalen in ihrem Büro stehen mehrbändige plattdeutsche Wörterbücher, Literatur aus mehreren Jahrhunderten oder Arbeiten über das in niederdeutsch verfasste Hamburger Stadtrecht.
    "Niederdeutsch war während der Hansezeit internationale Geschäftssprache. Die Hansekaufleute hatten ein Handelsnetz vor allem rund um die Ostsee aufgebaut. Und diese Kaufleute kamen aus dem heutigen norddeutschen Raum vor allen Dingen."
    Im 16. Jahrhundert kam die Wende: amtliche Schreiben wurden in immer mehr norddeutschen Städten auf Hochdeutsch verfasst. Und wer etwas auf sich hielt, fing an, die einstige Fremdsprache zu lernen. Heute sprechen nach Angaben des "Plattdeutschen Rats für Hamburg" rund 100.000 Hamburger niederdeutsch. Hartmut Cyriacks gehört dem Rat an, neun Jahre lang arbeitete er als Dramaturg am altehrwürdigen Ohnsorg-Theater in St. Georg. Cyriacks übersetzt Theaterstücke, Texte oder Gedichte ins Plattdeutsche. Und ab und zu muss er nach neuen Wörtern für die alte Sprache suchen. Manchmal übernimmt er dann einfach das entsprechende Wort, "de Compuder" oder "de Software". Und manchmal nutzt er plattdeutsche Begriffe, die möglichst nahe an die Dinge von Heute herankommen:
    "Fürs Handy wird dann zwischendurch auch vom Ackersnacker gesprochen. Man muss natürlich wissen: Woher kommt der Ackersnacker? Der kommt eigentlich vom Feldtelefon."
    Damit es wieder mehr plattdeutsch sprechenden Nachwuchs gibt, wird an mittlerweile neun Hamburger Schulen Sprache als Wahlpflichtfach angeboten. Und auch das Ohnsorg-Theater bietet Workshops speziell für Kinder und Jugendliche, in denen kleine Gedichte und Stücke ins Plattdeutsche übersetzt werden. Und im April fand in der Hansestadt der "Erste Hamburger Plattdeutsch-Tag" statt. Hartmut Cyriacks vom Hamburger Plattdeutsch-Rat ist ganz zuversichtlich, dass die Wertschätzung für die alte Sprache wieder steigen wird.
    "Och, wenn je Platt ni mehr överall hören könnt, so is Platt doch jümmers noch een Sprook, die kannste im Alldach jümmer bruken. Und du kannst dat een oder annern, kannst du villicht sogar mehr op’n Prick utdrücken als up hochdütsch."
    Heißt übersetzt: Plattdeutsch kann man auch im Alltag gut gebrauchen. Und einiges kann man damit sogar besser auf den Punkt – op’n Prick – bringen als auf Hochdeutsch.
    Hartmut Cyriacks wünscht sich, dass noch mehr Schüler Plattdeutsch lernen. Die Grammatik gleicht der des Hochdeutschen, und die Regeln für die Wortbildung seien einigermaßen überschaubar. Verstehen kann de ole Sprook, die alte Sprache ohnehin jeder, glaubt eine alte Hamburgerin auf einer Parkbank in Eimsbüttel:
    "Ich glaube, es verstehen auch alle. Auch, wenn das nicht ganz astrein ist. Et löppt sich allens trecht! Natürlich!"
    Es läuft sich alles zurecht, alles wird gut. Das Hamburger Plattdeutsch bleibt lebendig! Tominnst een lütt beten, zumindest ein kleines bisschen.