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Sonderangebote schalten Verstand aus

Beim Anblick von Sonderangeboten endet bei vielen Menschen die Vernunft: Das vermeintliche Schnäppchen wird gekauft, auch wenn es eigentlich recht teuer ist. Denn der angeblich so rationale Verbraucher ist in Wirklichkeiten von unterbewussten Emotionen getrieben.

Von Ingeborg Breuer |
    "Und da gab es auch diese nette Studie aus Kalifornien: Die haben Probanden den gleichen Wein zu verschiedenen Preisen angeboten und die Probanden haben den vermeintlich teureren Wein auch besser beurteilt. Und das konnte man auch im Gehirn nachweisen."

    Doktor Bernd Weber, Neurowissenschaftler an der Universität Bonn, weiß, wie subjektiv Geschmacksurteile häufig sind. Denn unser Urteil über ein Produkt hat oftmals weniger mit dessen Qualität, sondern mehr mit dessen Image - mit Preis, Design oder dem Markennamen - zu tun. Auch Professor Gerhard Raab von der Fachhochschule Ludwigshafen kennt Beispiele dafür.

    "Wenn man Personen Coca-Cola und Pepsi Cola anbietet in einem Glas, und die Personen wissen nicht, in welchem Glas ist was, dann präferieren ungefähr 50 Prozent Pepsi und 50 Prozent Coca Cola. Wenn sie nun aber diesen Test nicht mehr als Blindtest machen, und die Personen bekommen die entsprechende Büchse hingestellt und sie wissen also, was sie trinken, dann präferieren 70 bis 75 Prozent Coca-Cola."

    Warum manche Marken erfolgreich sind und andere weniger, wüssten Marketingfachleute zu gern. Sie geben Milliarden dafür aus, den Geschmack der Konsumenten richtig zu treffen, wenn sie für ihre Produkte werben. Doch schon vor annähernd 100 Jahren gab der amerikanische Industrielle Henry Ford zu, dass die Hälfte aller Werbeausgaben vergebens ist. Nur welche Hälfte, das konnte er nicht sagen - und so ist es allen Marktforschungen zum Trotz bis heute. Der Neuropsychologe Doktor Christian Scheier besitzt in Hamburg eine Marketingberatung.

    "Man muss immer feststellen, dass von zehn Produkten, die auf den Markt kommen, acht floppen, also nach einem Jahr wieder weg sind. Das kostet die deutsche Wirtschaft über zehn Milliarden Euro. Das zeigt, dass die Macht beim Verbraucher liegt und nicht beim manipulierenden Unternehmen."

    Seit geraumer Zeit arbeiten auch Hirnforscher daran, Licht ins Dunkel des Konsumentenschädels zu bringen. Neuromarketing heißt der seit einigen Jahren boomende Wissenschaftszweig, der dabei helfen soll, das menschliche Kaufverhalten besser zu verstehen. Der Neurowissenschaftler Doktor Bernd Weber erforscht im Life and Brain Center der Universität Bonn die hirnphysiologische Basis ökonomischer Entscheidungen; zum Beispiel, warum viele Menschen so gern - vermeintliche - Schnäppchen machen.

    "Wir haben vor Kurzem noch einmal ein Experiment wiederholt, indem wir in der Fußgängerzone Probanden Dreierpacks angeboten haben, die zusammen 2,99 gekostet haben oder Produkte, die, wenn man drei davon gekauft hätte, 2,25 gekostet hätten. Und im Endeffekt haben 78 Prozent der Passanten, die da vorbei gegangen sind, das Dreierpack gekauft, obwohl es teurer war, als wenn sie die Einzelutensilien gekauft hätten."

    Sind Konsumenten also dumm? Oder können sie einfach nicht rechnen? Bernd Weber steckte Testpersonen in den Kernspintomografen und schaute ihnen dort sozusagen beim Einkaufen zu. Der röhrenförmige Apparat macht sichtbar, wo das Gehirn gerade arbeitet, anders gesagt, wo das Gehirn gerade gut durchblutet ist. Bernd Weber zeigte seinen Probanden nun durch eine Videobrille verschiedene Produkte, die mit Preisen und manchmal auch mit Rabattschildern versehen waren. Und sahen die Testpersonen auf ihrem virtuellen Einkaufsbummel ein Rabattschildchen, dann stellte Bernd Weber fest, dass die Hirnregion für rationale Kontrolle in gedankenlose Trägheit verfiel. Dagegen kam das sogenannte Belohnungszentrum des Gehirns, der Nucleus accumbens, so richtig in Schwung. Der Neurowissenschaftler stellte fest:

    "Wenn man Rabattsymbole repräsentiert im Kernspin, dass da Bereiche im Gehirn aktiv sind, die mehr so mit Emotionalem oder Bauchentscheidungsverhalten zusammenhängen; also nicht wirklich die kognitiven Areale, die zeigen, dass man stark drüber nachdenkt, sondern Bereiche, die so mit Bauchempfindungen zusammenhängen. Und wenn Menschen solche großen Packungsangebote analysieren müssen, werden mehr rationale Bereiche aktiv, die nachrechnen. Und das kann offensichtlich durch dieses Bauchgefühl überstimmt werden, dass die Leute dann eher zu diesen größeren Packungen greifen und denken, es sei günstiger."
    Jede Kaufentscheidung spielt sich also im Gehirn wie folgt ab: Das Belohnungszentrum - wenn ich das kaufe, geht es mir gut - muss so weit aktiviert werden, dass der Schmerz über den Preis dagegen geringfügig erscheint, diese Hirnregion ihre Aufmerksamkeit also weitgehend zurückfährt; oder, wie im Falle des Rabattversprechens, dass das Kontrollsystem zur Unterdrückung impulsiven Verhaltens vorübergehend außer Kraft gesetzt wird. Der Neuropsychologe Doktor Christian Scheier, Mitverfasser eines Buchs "Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketing":

    "Wenn mein Gehirn ein Produkt sieht, das es haben möchte, dann leuchtet das Belohnungssystem auf im vorderen Stirnhirn. Das Habenwollen ist da markiert. Und wenn dann der Preis aufleuchtet, aktiviert sich das Schmerzzentrum, die sogenannte Insula. Das scheint mir sehr plausibel zu sein, dass im Gehirn ein Streit zwischen Belohnen wollen und Schmerz stattfindet. Also vier Euro für einen Kaffee ausgeben, das ist erst mal ein Premiumschmerz. Und die Marke führt dazu, dass ich den auf mich nehme. Umkehrt: Wenn zum Beispiel in der Automobilindustrie über Rabattschlachten geworben wird, was passiert da eigentlich? Dann ist da eine Schmerzlinderung kommuniziert. Gleichzeitig zeigen andere Studien, dass im Gehirn Loyalität, dass ich bei einer Marke bleibe, auch im Belohnungssystem reguliert wird. Und eine Fokussierung auf Rabatte lässt die Loyalität erodieren, weil man dem Gehirn nicht sagt, dass man bei einer Marke oder einem Hersteller bleiben soll."

    Fast zwangsläufig kommt es bei den neurophysiologischen Untersuchungen zum Kaufverhalten der Menschen zu einer Allianz zwischen Industrie und Wissenschaft. Als eine der ersten Firmen in Deutschland finanzierte zum Beispiel DaimlerChrysler im Jahr 2004 eine Testserie an der Universität Ulm. Der Autokonzern wollte herausfinden, wie Männer auf das Design eines Sportwagens, einer Limousine oder das eines Kleinwagens reagieren. Und - wenn wundert es - beim Anblick schneller Schlitten zeigte das Belohnungszentrum im Gehirn erhöhte Aktivität, genauso wie es an dieser Stelle bei Drogen oder Sex geschieht. Nun ist das keine wirklich überraschende Erkenntnis.

    Allerdings: Im Kernspin objektiviert sich das, was vorher bloß vermutet wurde. Hier werden Wünsche auch dann verraten, wenn sie dem potenziellen Kunden gar nicht bewusst sind; zum Beispiel, dass die besonders hübschen Models einer Werbekampagne A stärkere Glücksgefühle bei Betrachtern hervorrufen - obwohl diese ihre Sympathie für die unspektakulären Frauen auf den Fotos einer Werbekampagne B bekundeten. Flunkern ist also - im Gegensatz zum Fragebogen - im Kernspintomografen nicht möglich. Professor Gerhard Raab veröffentlichte in diesem Jahr das Buch "Neuromarketing":

    "Das sind natürlich Fragen, die spannend sind für das Marketing. Und auch da zeigt sich, was man bislang vermutet hat. Es gab schon immer die Vermutung, das besonders Hirnareale wie das limbische System, was sehr stark für Emotionen und das Belohnungszentrum im Gehirn zuständig ist, verbunden ist mit der starken Wirkung bekannter Marken. Nur man konnte es bisher nicht zeigen im Gehirn."

    Doch wird die Wissenschaft hier nicht zum Büttel der Industrie, die mit deren Geldern und in deren Diensten den gläsernen Kunden erforschen will, die möglicherweise nach dem Kaufknopf im Gehirn suchen lässt, um ihre Produkte sicher an den Mann oder die Frau zu bringen? Verbraucherschützer protestieren jedenfalls. Und in der Tat, meint Professor Gerhard Raab, Psychologe an der Fachhochschule Ludwigshafen, werden neurophysiologische Untersuchungen dazu genutzt, um die Wirkung zum Beispiel eines bestimmten Designs zu testen.

    "Natürlich kann man verschiedene Markenfarben mal testen und das untersuchen. Was macht man im Augenblick? Man testet die Leute: Hier würde dir der Farbton besser gefallen oder kann man sich daran besser erinnern? Oder man beobachtet, welche Bereiche werden bei dieser Farbgestaltung, dieser Verpackung besonders angesprochen? Werden denn eher die emotionalen Zentren angesprochen, geht es in den Bereich präfrontale Cortex, wo man sehr kontrolliert. Man ist dann nicht nur angewiesen auf Befragung."

    Aber, meint Gerhard Raab, vom gläsernen Kunden oder von der Entdeckung eines Kaufknopfs im Gehirn, den geschickte Marketingstrategen manipulieren könnten, sei man
    weit entfernt. Man betreibe eher Grundlagenforschung. Und schließlich sei das Aufleuchten des Belohnungszentrums im Gehirn ja auch kein Beweis dafür, dass ein Produkt wirklich gekauft werde. Dies hebt auch Christian Scheier hervor, der selbst Chef einer Marketingberatung ist.

    "Im Moment hat man Angst vor manipulierenden Unternehmen mit der Blackbox Gehirn. Fakt ist: Der Steuerknüppel sitzt ganz eindeutig [beim Verbraucher]. Das ist auch von der Theorie her so, weil: Wir haben schon über Belohnung gesprochen. Der Mensch kann, tut nur, was ihn belohnt. Und wenn das Unternehmen das nicht trifft, dann prallt er beim Konsumenten ab. Wenn das Unternehmen die Belohnungen trifft, hat der Konsument immer noch die Möglichkeit, sein explizites System zu nehmen und zu sagen, also dass ist jetzt zu teuer und ich kaufe das nicht."

    Gerhard Raab wiederum sieht in den neurowissenschaftlichen Untersuchungen sogar eher einen aufklärerischen Sinn. Gerade hat er eine Studie abgeschlossen, in der er die hirnphysiologischen Grundlagen der Kaufsucht erforschte. Sieben bis acht Prozent der Deutschen sind kaufsüchtig in einem klinischen Sinn und können ihr Konsumverhalten nicht mehr kontrollieren. In seiner Studie legte Gerhard Raab Kaufsüchtige wie auch Normalkonsumenten in den Kernspintomografen. Beiden Gruppen wurden 50 Euro versprochen, für die sie aus einer Menge von 100 Produkten diejenigen erwerben konnten, die ihnen gefielen.

    "Und dann haben wir geguckt, welche unterschiedlichen Prozesse, welche Areale sind bei den Kaufentscheidungen beteiligt, bei Normalen und bei Kaufsüchtigen. Und was wir feststellten, dass bei diesen Kaufsüchtigen viel stärker dieser Nukleus Accumbens aktiviert wird; also im Prinzip ein Punkt, der einen Impuls auslöst, etwas tun zu müssen und verbunden wird mit Belohnung. Der Effekt bei den normalen Käufern, der war deutlich niedriger."

    Doch noch auffallender bei der Gruppe der Kaufsüchtigen war, dass ihr Kostenbewusstsein, also der Preis, den sie für diese Produkte zu bezahlen hätten, nur gering entwickelt war.

    "Wenn sie etwas kaufen, müssen sie normalerweise einen Preis bezahlen. Das ist ja nichts anderes als eine Bestrafung, lernpsychologisch gesehen. Und normalerweise werden Verluste immer signalisiert durch Aktivität in der sogenannten Insula im Gehirn. Genau diese Aktivität konnten wir bei den Kaufsüchtigen nicht feststellen. Und genau das Gegenteil ist bei den Normalen der Fall."

    Für Gerhard Raab beweisen solche Ergebnisse, dass Menschen ihr Verhalten nicht "einfach so" verändern können; so nach dem Motto, wenn du nur wolltest, könntest du ja mit dem Kaufen aufhören. Vielmehr müsse eine Therapie - wie bei jeder Sucht im Übrigen - darauf abzielen, dass Hirnaktivitäten umgepolt werden, damit eine dauerhafte Verhaltensänderung erzielt werden kann.

    "Wir machen solche Untersuchungen, bevor die betroffenen Personen in Psychotherapie gehen. Wir gucken dann, wenn diese Therapie abgeschlossen ist, wenn bestimmte Stimuli dargeboten werden, Kaufanreize geboten werden, hat sich dann im Gehirn was verändert? Und das wär auch eine wunderbare Form zu gucken und damit effizientere Therapien entwickeln zu können. Man muss aber auch gucken: Es ist Anfang in dieser Forschungstätigkeit und es sind sehr aufwendige Untersuchungen."

    Die Psychologie behauptete immer schon die Existenz eines Unbewussten. Die Neurowissenschaft macht dieses buchstäblich sichtbar; macht sichtbar, dass es auch in der ökonomischen Welt eben durchaus emotional und keineswegs vor allem rational vorgeht. Und dies übrigens nicht nur bei Konsumentenentscheidungen. Auch auf den Finanzmärkten, so konnte die Welt im vergangenen Jahr erfahren, werden Entscheidungen getroffen, bestimmt vor allem von Emotionen wie Angst oder Gier. Das nüchterne Kalkulieren von Kosten und Nutzen, wie es bei Geldangelegenheiten eigentlich zu erwarten wäre, ist keineswegs die Norm. Dies zeigte Doktor Bernd Weber vom Life and Brain Institut der Universität Bonn erst kürzlich in einem Experiment zur sogenannten "Geldwert-Illusion". Damit ist gemeint, dass Menschen in inflationären Zeiten die Kaufkraft ihres Geldes überschätzen. Auf die Frage: "Was hätten Sie lieber: eine dreiprozentige Gehaltserhöhung bei fünf Prozent Inflation? Oder eine zweiprozentige Gehaltskürzung bei stabilen Preisen?" entscheiden sich die meisten Menschen für mehr Geld im Portemonnaie. Und das, obwohl die reale Kaufkraft des Einkommens in beiden Fällen um zwei Prozent sinkt. Der Mensch wird also gern durch mehr Geld belohnt, auch wenn er sich nicht mehr dafür kaufen kann.

    "Und dazu haben wir Probanden eingeladen und sie im Kernspin arbeiten lassen. Und das in zwei verschiedenen Welten. In der Welt eins konnten sie zwischen 60 bis 90 Euro verdienen für die Arbeit, die sie gemacht haben. Und in der Welt zwei gab es einen Aufschlag von 50 Prozent. Vor dem Experiment haben wir den Probanden zwei Kataloge gezeigt für die jeweilige Welt. Die Kataloge waren identisch, nur die Preise waren auch unterschiedlich, also in der zweiten Welt waren die Preise 50 Prozent höher. Das heißt, das Geld, das die Probanden in dem Kernspin verdient haben, mussten sie auch in dem entsprechenden Katalog ausgeben. Das heißt, in der ersten Welt konnten sie es in dem Standardkatalog ausgeben, und in der zweiten Welt in dem, wo die Preise 50 Prozent höher waren, aber auch ihr Einkommen 50 Prozent höher. Wenn jetzt das Gehirn rein auf die Kaufkraft reagiert, müsste es keinen Unterschied zeigen. Man sah in der zweiten Welt, in der die Einkommen höher waren, nominell, aber nicht real, man sah in der zweiten Welt eine höhere Aktivierung des Belohungssystems."

    Der Homo oeconomicus ist eine Modellvorstellung der Wirtschaftstheorie. Es ist der Mensch, der ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkt und handelt. Rationalität und das Streben nach maximalem Nutzen bestimmen sein Handeln. Doch nach den Erkenntnissen der Neuroökonomie und des Neuromarketings muss dieser Mensch, meint Gerhard Raab, ins Reich der Fabel verwiesen werden.

    "Man muss diesen Homo oeconomicus … das ist ein Fabelwesen. Es ist ganz schön zu sagen, die Konsumenten suchen sich Informationen wegen ihrer Kaufentscheidungen, das trifft sicher in einigen Fällen zu, aber die meisten Entscheidungen werden sehr stark durch Emotionen bestimmt und sind weit weniger rational bestimm,t als wir glauben. Das wusste man schon lange, was man heute weiß, ist, dass man besser erklären kann, was sind die Ursachen und was sind die Prozesse, die dafür verantwortlich sind."