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Sondersitzung "Kölner Silvesternacht"
Kommunikationspannen offengelegt

Um einen möglichen Vertuschungsversuch ging es im Landtags-Untersuchungsausschuss. Hatte das Innenministerium angewiesen, im Polizeibericht zu den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht das Wort "Vergewaltigung" zu streichen? Simone Brand ist Obfrau der Piraten-Fraktion im Landtag von NRW. Für sie sei das Ziel eigentlich schon erfüllt. Die restliche Arbeit sei nicht zielführend und reiner Wahlkampf.

Von Moritz Küpper |
    Simone Brandl, MdL, Sprecherin Piraten-Fraktion
    Wann wer was erfahren hat, das spiele für den Aufklärungskontext dieses Ausschusses überhaupt keine Rolle, meint Simone Brandl von den Piraten. (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Eigentlich sind Sommerferien in Nordrhein-Westfalen, und eigentlich hat auch der Landtag Sommerpause.
    Doch vor Raum E3 A02 wird sich an diesem Dienstagmorgen eingedeckt – Kaffeetassen klimpern, ein Wasser wird bestellt.
    Sondersitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Kölner Silvesternacht".
    "Ich finde das absolut unsäglich."

    Simone Brand ist Obfrau der Piraten-Fraktion im Landtag von NRW. Sie kann nicht verstehen, warum die Abgeordneten aus der Sommerpause zurückkommen mussten, sie kann die Aufregung um die Frage, ob möglicherweise wichtige polizeiliche Telefonverbindungsdaten rund um diesen Silvester-Einsatz gelöscht worden sind, nicht nachvollziehen.
    "Es geht dabei ja, dabei nicht darum, dass eine Pressemitteilung zurückgehalten werden sollte oder storniert werden sollte, sondern es geht um eine interne Meldung, ob die zurückgehalten, storniert werden sollte und wann, wer was erfahren hat, das spielt für den Aufklärungskontext dieses Ausschusses überhaupt keine Rolle."
    Verabschiedung vom eigentlichen Untersuchungsziel
    Und doch ist auch Brand an diesem Dienstagmorgen gekommen. Natürlich. Die 48-Jährige, dunkelrot-gefärbte Haare, trägt einen grauen Pullover sowie zahlreiche schwere Halsketten. Wie immer nimmt sie neben den SPD-Vertretern Platz. Der Ausschuss, so Brand, habe viel herausgefunden, habe die Kommunikationspannen zwischen der Kölner Polizei, Bundespolizei und Ordnungsamt offengelegt. Aber:
    "Wenn es jetzt um das Klein-Klein geht, der Ereignismeldung, der Stornierungswünsche und so, dann verabschieden sich die anderen Fraktionen meiner Meinung nach immer mehr von dem eigentlichen Untersuchungsziel."
    Der Grund: Der Landtagswahl-Termin im Mai 2017. Die Opposition mit CDU und FDP versucht, die Ereignisse von Köln zu nutzen, um den Regierungsparteien, SPD und Grüne, zu schaden. Doch das ist nur die eine Trennlinie, wie Daniela Junghans erklärt, die als WDR-Korrespondentin fast alle 33 Sitzungen des U-Ausschusses verfolgt hat:
    "Auf der einen Seite hat man die CDU vor allem, die natürlich versucht, zu zeigen: Da ist in der Landesregierung was strukturell schief gelaufen. Auf der anderen Seite hat man dann die SPD, die immer besonders genau darauf achtet, was denn die Bundespolizei möglicherweise falsch gemacht hat, weil die untersteht dem CDU-Bundesinnenminister, und die natürlich versucht, ihren NRW-Innenminister komplett aus der Schusslinie zu bringen."
    Diese parteipolitische Linie – SPD und Grüne für die Landespolizei, CDU und FDP für die Bundespolizei – lässt sich auch auf den Einsatz übertragen. Denn: Die Landespolizei war in der Silvesternacht für den Bereich Bahnhofsvorplatz und Domplatte zuständig, die Bundespolizei für den Hauptbahnhof selbst. Und zwischen all den Linien bewegt sich: Piratin Simone Brand. Ihr geht es offenbar tatsächlich um die Sache, darum, was an Silvester passiert ist. Und: Wie man es hätte verhindern können. Das hat auch WDR-Korrespondentin Junghans gemerkt.
    "Ich finde, sie stellt halt an vielen Stellen andere Fragen, als es die anderen Parteien machen. Ich finde, sie hat auch einen sehr starken Fokus auf die Opfer."
    Brand habe sich beispielsweise durch alle Anzeigen gearbeitet.
    "Unter den Journalisten wird sie durchaus auch, glaube ich, dafür geschätzt, dass sie eben eine neutralere Position einnimmt, die sie natürlich auch automatisiert durch ihre Rolle und durch ihre Partei (hat). Und die Tatsache, dass die Piraten ja wahrscheinlich im nächsten Landtag ja nicht mehr vertreten sein werden, das macht natürlich auch freier in der Arbeit in so einem Ausschuss, denke ich."
    Ursprünglich wollten die Piraten diesen Ausschuss gar nicht. Und ursprünglich wollte auch Brand den Job als Obfrau nicht. Doch die Fraktion beschloss: Die führende Piraten-Position müsse angesichts der Opfer der Silvesternacht eine Frau übernehmen. Ohnehin sind Brands Themen Integration, Flüchtlingspolitik. Doch durch die Enthaltung der Piraten bei der Einsetzung des Ausschusses darf Brand nun keine eigenen Beweisanträge stellen, behilft sich in diesen Fällen mit Anträgen über Bande, also bei ihren Fraktionskollegen.
    Rolle gefunden
    So viel Politik hat die Seiteneinsteigerin Brand, die vorher Psychologie studierte und bei einem Glücksspiel-Anbieter ein Service-Center mit 350 Mitarbeitern aufgebaut hatte, mittlerweile gelernt. Im Jahr 2009 traf sie erstmals auf die Piraten, drei Jahre später zog sie in den Landtag ein. Nun – gegen Ende des wohl einmaligen Ausfluges – scheint Brand ihre Rolle gefunden zu haben:
    "Wenn ich natürlich jetzt hier, in diesem besonderen Ausschuss, auch noch mal, ich sag mal, die Qualität der politischen Arbeit der Piraten in den Fokus stellen kann und das auch vielleicht positiv bemerkt wird, würde mich das natürlich sehr freuen."
    Dieses Schicksal teilt sie mit einem anderen, prominenten Piraten: Auch Martin Delius in Berlin, Vorsitzender des dortigen Untersuchungsausschusses zum Planungsdesaster beim Bau des Berliner Flughafens BER, bekam viel Lob für seine Arbeit – und wird im September nicht erneut ins Parlament einziehen. Die Piraten-Fraktion in NRW mit Obfrau Brand würde im Mai nächsten Jahres dann – Stand heute – als Letzte die Segel streichen. Doch bis dahin wird es noch viele Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Kölner Silvesternacht" geben. Obwohl, so Brand in der bekannten Offenheit, mit dem, was bisher herausgearbeitet wurde, sei …
    "… das Ziel eigentlich schon erfüllt. Und die restlichen zwei Drittel Arbeit, die jetzt noch kommen, das ist unnützig, das ist nicht zielführend, und das ist reiner Wahlkampf."
    Sie wird trotzdem zu jeder Sitzung kommen. Egal, ob Sommerpause ist – oder nicht.