Rüstungsinvestitionen
Was soll mit den Sonderausgaben für die Bundeswehr erreicht werden?

Die Bundeswehr soll als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg aufgerüstet werden. 100 Milliarden Euro hat die Bundesregierung als Sondervermögen bereitgestellt. Bis die Ausrüstungsmängel behoben sind, wird es trotzdem viele Jahre dauern.

    Ein Fahrschulpanzer als Kampfpanzermodell der Bundeswehr fährt über den Truppenübungsplatz.
    Wohin wird sich die Bundeswehr nach Russlands Angriff auf die Ukraine entwickeln? (picture alliance/dpa - Philipp Schulze)
    Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich der Blick Deutschlands auf die Verteidigungsfähigkeit des eigenen Landes und als Bündnispartner geändert. Von einer Zeitenwende sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar 2022 in seiner Regierungserklärung und kündigte 100 Milliarden Euro Sonderausgaben für die Verteidigung an. Das Geld ist inzwischen zur Verfügung gestellt – konkret getan hat sich bislang wenig.

    Wie begründet die Bundesregierung das Sondervermögen?

    In der Sondersitzung des Bundestags am 27. Februar 2022 sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende. Die Welt sei nicht mehr dieselbe wie vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Es gehe jetzt darum, "Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. (...) Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen“, sagte Scholz. „Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.“
    Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), seit 19. Januar 2023 Nachfolger von Christine Lambrecht (SPD), erklärte zum Amtsantritt, der Bundeswehr komme in der Zeitenwende eine Schlüsselrolle zu. „Es geht um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit“, aber auch um die weitere Unterstützung der Ukraine. Im Interview der Woche im Deutschlandfunk sagte Pistorius dazu am 26.02.2023: "Das Signal am Ende muss klar sein, Russland darf mit einem solchen Überfall, mit einem solchen Angriffskrieg nicht durchkommen, nicht seine Ziele erreichen. Das ist die Botschaft. Ich rede nicht von einem militärischen Sieg zwingend – das ist eine Option –, sondern es kann eben auch ein Ergebnis am Verhandlungstisch sein, es kann ein Rückzug sein der russischen Truppen. Das spielt am Ende erst einmal keine Rolle. Entscheidend ist, dass das Ergebnis eines ist, dass die Ukraine für sich als souveräner Staat akzeptiert."

    Welche Rüstungsgüter sollen angeschafft werden?

    Das Sondervermögen soll die Anschaffung von Rüstungsgütern in großem Stil ermöglichen. Nach einer Beschaffungsliste, auf die sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags verständigt hat, soll der größte Teil der Gelder mit fast 41 Milliarden Euro für die Luftwaffe verwendet werden, unter anderem für US-Tarnkappen-Kampfjets vom Typ F-35 und Transporthubschrauber des US-Herstellers Boeing, ferner sind eine Eurofighter-Version für elektronische Kampfführung sowie die Bewaffnung der Heron-Drohne geplant. Daneben sollen neue Korvetten und mindestens eine Fregatte für die Marine angeschafft werden sowie Nachfolger für den Schützenpanzer Marder und den Truppentransporter Fuchs. 2023 seien für Ausgaben schon etwa 30 Milliarden gebunden, sagte Verteidigungsminister Pistorius (26.02.2023).
    Ein amerikanisches Kampfflugzeug des Typs F-35.
    Die us-amerikanische F-35 gilt derzeit als das modernste Kampfflugzeug weltweit - und kann auch als Träger von Atomwaffen dienen (dpa / picture alliance / MAXPPP)
    Mitte Dezember 2022 gab der Bundestag grünes Licht für die ersten Finanzierungen im Umfang von 13 Milliarden Euro. Dazu gehört auch die Entscheidung für den Kauf eines neuen Sturmgewehrs als Nachfolgemodell für das G-36, die Beschaffung von militärischen Funkübertragungssystemen, die Nachrüstung des Schützenpanzers Puma sowie neue Überschneefahrzeuge.

    Wie schnell kann das Geld in Wehrhaftigkeit umgesetzt werden?

    Auch wenn sich durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine die Haltung zu Rüstungsinvestitionen in Deutschland gewendet hat, lassen sich die Defizite der Bundeswehr nicht unmittelbar aufholen. Auch weil in den vergangenen Jahren der Fokus auf Auslandseinsätze gelegt wurde. Nun ist der Kernauftrag, die Landesverteidigung (festgehalten in Artikel 87a des Grundgesetzes), wieder in den Fokus gerückt.

    So haben sich Deutschlands Militärausgaben entwickelt:

    Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland
    Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland. Der Verteidigungsetat ist seit 2015 stetig gestiegen. (Statista/SIPRI)
    Nach den ersten bewilligten Finanzierungen im Dezember 2022 sprach der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, von einem "Startpunkt" für die Umsetzung der Projekte aus dem Sondervermögen. "So schnell hatten wir solche Summen bisher noch nie mit einer Finanzierungszusage versehen", sagte Zorn. "Wir sind im Überschallbereich unterwegs (...) und genau in der Geschwindigkeit muss es weitergehen", ergänzte der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz.
    Mehr Tempo ist auch klarer Wille der Politik. Im Juli 2022 stimmte der Bundestag einer bis Ende 2026 befristeten Lockerung der Regeln für die Auftragsvergabe bei der Materialbeschaffung zu. Damit können die zuständigen Vergabestellen schneller Aufträge erteilen und Material beschaffen. Außerdem können Teilaufträge unter bestimmten Voraussetzungen zusammen vergeben werden. Zudem soll die gemeinsame Beschaffung von EU-Ländern erleichtert werden.

    Keine unmittelbare Verbesserung der Lage

    Trotzdem sind keine unmittelbaren Verbesserungen der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erwarten. Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, bilanzierte im November 2022, dass es noch keine große Verbesserung bei der Ausstattung der Truppe gebe. "Momentan ist die materielle Einsatzbereitschaft des Heeres nicht größer als am 24. Februar", sagte Mais der "Süddeutschen Zeitung". Das habe auch damit zu tun, dass Material an die Ukraine abgegeben worden sei, dieses müsse nun ersetzt werden. Es werde Jahre dauern, bis sich das Sondervermögen auf gesamter Breite in der Truppe auswirken werde.
    Am Tag der russischen Invasion hatte Mais die Einsatzfähigkeit im sozialen Netzwerk Linkedin scharf kritisiert. Die Bundeswehr stehe nach Jahren der Sparpolitik "mehr oder weniger blank da" und habe nur begrenzte Optionen gegenüber Russland, schrieb der Generalleutnant.
    Die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr führen seit Jahren zu Diskussionen. Immer wieder erweisen sich militärische Systeme als nicht einsatzbereit. Das zeigte sich auch im Dezember 2022: Bei einer Übung der Bundeswehr fielen alle 18 eingesetzten "Puma"-Schützenpanzer mit technischen Problemen aus. Die Fahrzeuge waren eigentlich ab Januar für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO eingeplant. Dort sollen sie nun durch Panzer vom Typ Marder ersetzt werden. Trotz der Mängel konnte Deutschland bislang stets die Anfragen der NATO erfüllen, indem aus allen Truppenteilen Ausrüstung zusammengetragen wurde.

    Dafür werden die Verteidigungsausgaben verwendet:

    Welche Rolle spielt das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der NATO?

    Bundeskanzler Scholz hatte in seiner Rede im Bundestag Ende Februar 2022 auch gesagt, Deutschland werde "von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts" in Verteidigung investieren. Das hatte zu der Erwartung geführt, dass zusätzlich zu dem 100-Milliarden-Paket auch der Verteidigungshaushalt steigt. Inzwischen ist klar, dass dies nicht der Fall ist. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO soll mit Hilfe des 100-Milliarden-Pakets eingehalten werden, das Geld aus dem Sondertopf wird also auf das Zwei-Prozent-Ziel angerechnet.
    Das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der NATO, dem Deutschland zuletzt beim NATO-Gipfel in Wales 2014 zugestimmt hatte, also nach der Annexion der Krim und dem Kriegsausbruch in der Ukraine, besagt, dass die Mitgliedsstaaten des westlichen Bündnisses mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ihre Verteidigung aufwenden sollen. Der deutsche Verteidigungsetat ist seit 2015 stetig gestiegen, zuletzt 2021 auf rund 50 Milliarden Euro. Doch das reicht nicht aus, um die NATO-Vorgabe einzuhalten: Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wären in Deutschland etwa 70 bis 80 Milliarden Euro. "Wir müssen uns auf den Weg machen, dass wir das im Querschnitt der nächsten Jahre erreichen, auch unter Einbeziehung des Sondervermögens" sagte Pistorius. "Dann kommen wir an einen Punkt, dass wir die notwendigen Investitionen in der Bundeswehr tätigen können." 

    Studie: Zwei-Prozent-Ziel trotz Sondervermögen nur für zwei Jahre gesichert

    Anfang Dezember 2022 hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Studie veröffentlicht, nach der das Zwei-Prozent-Ziel mit dem Sondervermögen nur in den Jahren 2024 und 2025 erreicht werden kann. Kurzfristige Beschaffungen kämen nicht schnell genug voran und ab 2026 sei mit einer Lücke von 9,7 Milliarden Euro zu rechnen, die sich in den Jahren danach weiter vergrößern würden. Der Prognose des IW zufolge müsste der reguläre Verteidigungsetat "um mindestens fünf Prozent" pro Jahr ohne Hinzurechnung des Sondervermögens anwachsen, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.

    Was hat das Sondervermögen mit der Schuldenbremse zu tun?

    Das über Schulden finanzierte Sondervermögen ist von der Ampel-Koalition nicht als Teil von jährlichen Haushaltsverhandlungen geplant und soll über mehrere Jahre nach der Einrichtung zur Verfügung stehen. Damit erhofft sich die Bundesregierung eine bessere Planbarkeit für Militärausgaben. Im entsprechenden Gesetzesentwurf zur Errichtung des Sondervermögens steht: "Es wird das Instrument eines Sondervermögens gewählt, weil diese Finanzierungsaufgabe sehr umfangreich und von längerer Dauer sein wird." Und weiter: "Das Finanzierungsvolumen ist im Rahmen der Schuldenregel nicht zu realisieren."
    Das sogenannte Sondervermögen ist also kein Bestandteil des laufenden Haushalts 2022. Damit belastet es zwar die Staatsverschuldung Deutschlands, aber die Kredite dafür sollen von der Schuldenbremse, die ab 2023 wieder eingehalten werden soll, ausgenommen sein. Weil das "Sondervermögen" getrennt vom Haushalt geführt wird, werten Kritiker es als Schattenhaushalt und kritisieren, dass die eigentliche Haushaltslage der Bundesrepublik somit nicht transparent sei.

    Warum heißt es Sondervermögen und nicht Sonderschulden?

    Sondervermögen ist ein feststehender haushaltsrechtlicher Begriff – er bezeichnet einen Extrahaushalt oder Nebenhaushalt, der vom gesamten Haushaltsplan unabhängig betrachtet wird. De facto handelt es sich beim Sondervermögen des Bundes für die Bundeswehr um zusätzliche Schulden, die aber von der Schuldenbremse ausgenommen sind. Weil dieser Umstand für Laien nicht klar aus dem Begriff hervorgeht, kritisieren viele seine Verwendung in der breiten Öffentlichkeit.
    Laut Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler ist es das 28. derartige Sondervermögen – ihm zufolge summieren sich die Schulden aus solchen Nebenhaushalten inklusive des Sondervermögens für die Bundeswehr auf 250 Milliarden Euro.

    Wie wurde das Sondervermögen eingerichtet?

    In Artikel 87a des Grundgesetzes wurde im Juni 2022 ein neuer Absatz eingefügt: "Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." Durch die Verankerung im Grundgesetz soll sichergestellt werden, dass die Mittel nicht für andere Zwecke eingesetzt werden können. Für die Grundgesetzänderung brauchte die Ampelkoalition allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit und war daher auf Stimmen aus der Opposition angewiesen.
    Die Ampelparteien hatten sich zuvor darauf eingelassen, das 100-Milliarden-Paket allein der Bundeswehr zugute kommen zu lassen – das hatten CDU und CSU gefordert. Maßnahmen etwa zum Schutz vor Cyberangriffen, wie sie die Grünen gefordert hatten, sollen nicht aus den Sonderausgaben, sondern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von den Grünen sprach Ende Mai 2022 im Deutschlandfunk von einem guten Kompromiss.
    Neben der Grundgesetzänderung brauchte es noch ein Bundesgesetz zur Errichtung des Sondertopfes. Dieses wurde ebenfalls vom Bundestag erlassen. In dem Gesetz ist festgelegt, dass das zuständige Bundesfinanzministerium die Kredite für das Sondervermögen aufnehmen darf und, dass es einmal im Jahr über Ein- und Ausgaben informieren muss. Aufgelöst wird dieser Topf, sobald dessen finanzielle Mittel aufgebraucht sind.

    Zustimmung und Kritik

    Eine breite Front von Verteidigungs- und Außenpolitikexperten in der Wissenschaft hatte den Geldregen für die Bundeswehr bereits nach der ersten Ankündigung von Scholz begrüßt: Zustimmung kam unter anderem von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP), dem German Marshall Fund und dem Institut für Sicherheitspolitik Kiel (ISPK). Immer wieder war allerdings besonders aus der Wissenschaft der Vorbehalt zu hören, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr grundlegend reformiert werden müsse, damit das Geld auch effizient eingesetzt wird.
    Grundsätzliche Kritik am Sondervermögen übten mehr als 600 Vertreter aus Politik und Wissenschaft sowie Prominente in einem öffentlichen Appell. "Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht“, schreiben die Initiatoren auf ihrer Website. Das Bündnis fordert eine breite gesellschaftliche Debatte „über die höchste Steigerung der Rüstungsausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg“ und die „Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad“.
    Kritik kommt auch vom Bund der Steuerzahler. Dessen Präsident Reiner Holznagel hält es zwar für richtig, dass die Bundeswehr besser ausgerüstet wird, der Weg über einen weiteren Schattenhaushalt sei jedoch falsch. Die Sonderausgaben drohten weitere Finanzprobleme nach sich zu ziehen, so Holznagel: Das "Sondervermögen" schaffe zwar Entlastung bei Investitionen, künftige Unterhalts- und Instandsetzungskosten seien im regulären Bundeswehretat jedoch nicht eingepreist.
    Quellen: Marcus Pindur, Stephan Detjen, Constanze Pilaski, Frank Capellan, Nina Voigt, Deutscher Bundestag, AFP, dpa, pto