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Sonderwirtschaftszonen in Polen (5/5)
Was wird aus Walbrzych?

Die PiS-Regierung will die Sonderwirtschaftszonen auf ganz Polen auszuweiten. Schlechte Nachrichten für Walbrzych. Seit dem Zechensterben Mitte der 90er-Jahre kämpfte die Stadt um eine Perspektive. Mit ihrer Zone wendete sich das Blatt. Wenn jetzt die ausländischen Unternehmen gehen, geht auch die Hoffnung.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster |
    Der alte Rathausplatz mit Springbrunnen im polnischen Walbrzych (Waldenburg)
    Alter Rathausplatz in neuem Glanz: Walbrzych (Waldenburg) profitiert von EU-Geldern und von der Sonderwirtschaftszone (Deutschlandradio/ Grenzgänger)
    Wasserfontänen schießen in den blauen Himmel am "Plac Magistracki" . Auf den Bänken rund um den achteckigen, steinernen Springbrunnen sitzen vor allem Senioren, passen auf ihre Enkel auf oder dösen in der Sonne - und genießen den Blick auf das mit Türmchen und Erkern verzierte neugotische Rathaus von Walbrzych, Waldenburg.
    Pani Anna schiebt sanft eine Kinderkarre vor und zurück. Im Schatten des Verdecks schläft ihr Enkelkind. "Das ist Nina", sagt Pani Anna und lächelt unter ihrem Sonnenhut. Die Rentnerin kümmert sich um die Kleine, während die Eltern arbeiten. Wo ihr Sohn beschäftigt ist? Pani Anna lächelt – in der Sonderwirtschaftszone am Stadtrand, genau wie die halbe Nachbarschaft, erzählt sie:
    "Ich finde diese Zone gut, weil sie geholfen hat, die Infrastruktur zu verbessern und weil es dort Arbeit gibt", sagt Pani Anna. Die jungen Menschen werden dort angelernt. Sie müssen Walbrzych nicht verlassen, um einen Job zu finden.
    Polens "Wilder Westen" ohne Perspektive
    Aus dem ersten Stock des Rathauses blickt Arkadiusz Grudzien über rote Geranien hinweg auf den Magistratsplatz.
    "Wenn Sie vor 25 Jahren hier aus dem Fenster geblickt hätten, hätten sie nur graue Gebäude gesehen, kaputte Straßen und viel Staub in der Luft. Man konnte kaum atmen", sagt er. Jetzt sind die Bürgerhäuser renoviert, der Platz neu gepflastert. Grudzien, heute rechte Hand des Bürgermeisters, war vor 25 Jahren noch ein Kind. Doch die Erinnerung hat sich eingebrannt.
    "Meine Mutter verlor ihre Arbeit. Mein Vater musste etwas Neues suchen, um Geld zu verdienen. Genau wie 30.000 andere Kohlekumpel. Heute ist Walbrzych keine Industriestadt mehr. Mitte der 90er ist hier alles zusammengebrochen. Es war ein riesiges Unglück, in verschiedener Hinsicht: sozial, psychologisch und natürlich ökonomisch."
    Viele kehrten der Stadt den Rücken. Hoffnungslosigkeit zog ein. Die Kriminalitätsrate stieg. Das hier war Polens "Wilder Westen", sagt Grudzien. Als die arbeitslosen Kumpel schließlich begannen, mit bloßen Händen im Stadtpark nach Kohle zu graben, erlangte Walbrzych auch international traurige Berühmtheit, erinnert sich der 37-Jährige. Mit der Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone wollte die damalige Warschauer Zentralregierung gegensteuern, neue Arbeitsplätze in der abgehängten Region schaffen.
    "Meiner Meinung nach – und so denken viele hier – kam der Startschuss für die Sonderwirtschaftszone viel zu spät. Die letzte Zeche schloss 1995. Die Zone war aber erst 2000 voll funktionsfähig. Fünf Jahre in einer Region mit solchen Umbrüchen – das ist viel zu lang."
    Schwarz-glänzende Erinnerung: Kohle-Verkauf auf einem Markt in Walbrzych. Früher lebte die ganze Stadt vom Bergbau.
    Schwarz-glänzende Erinnerung: Kohle-Verkauf auf einem Markt in Walbrzych. Früher lebte die ganze Stadt vom Bergbau. (Deutschlandradio/ Grenzgänger)
    Kein wirkliches Miteinander
    Toyota, NSK oder Faurecia – vor allem die internationale Automobilidustrie und ihre Zulieferer zog es nach Walbrzych. Tausende neue Arbeitsplätze entstanden. "Das half, auch wenn nicht alle alten Kumpel einen neuen Job gefunden haben", sagt Grudzien. Die Arbeitslosigkeit liegt heute nur noch bei rund acht Prozent. Die Ansiedlung schafft aber auch neue Sorgen:
    "Natürlich ist es gefährlich, wenn sich alles auf eine Branche konzentriert. Wir haben das bei der Kohle ja erlebt. Wir denken, das Management der Zone sollte darüber nachdenken, wie es neue Technologien hier ansiedeln könnte. Aus dem IT-Bereich zum Beispiel. Ich kenne keinen Grund, warum das nicht klappen sollte."
    Die Stadt und die Zone, sie leben – so scheint’s - mehr nebeneinander her als miteinander. Arkadiusz Grudzien beschreibt das ganz nüchtern:
    "Zwischen der Stadt Walbrzych und der Sonderwirtschaftszone gibt es keine enge Zusammenarbeit. Die gab es noch nie. Ihre Entscheidungen trifft die Verwaltung der Zone unabhängig von der Stadt. Auch welche Unternehmen sie hier ansiedelt. Wir haben darauf keinen Einfluss. Und die fragen uns auch nicht, was wir denn wollen und denken. Müssen sie auch nicht. So ist das eben."
    Unsichere Zukunft
    Grudzien zuckt mit den Schultern. So geht es nun seit gut zwei Jahrzehnten. Die Verwaltungen der einzelnen Sonderwirtschaftszonen agieren unabhängig voneinander, sind aber alle dem Warschauer Wirtschaftsministerium unterstellt. Die Zonen-Verwaltung unterstützt die Unternehmen bei der Ansiedlung, die Kommune sorgt für die passende Infrastruktur. Sie baut Straßen, Strom- und Wasserleitungen. Wie riesige Raumschiffe stehen die großen Produktionshallen am Rande der alten Bergbaustadt. Walbrzych profitiert, weil neue Arbeitsplätze entstehen. Steuern an die Kommune müssen die Unternehmen hier zunächst nicht abführen, sagt Grudzien. Erst eine Firma in der Zone zahlt.
    Arkadiusz Grudzien tritt nochmal ans Fenster, blickt auf den neugestalteten Magistratsplatz, die sanierten Altbauten. Hierfür flossen vor allem EU-Mittel, sagt der 37-Jährige. Allein aus dem Steueraufkommen der Stadt wäre das nicht zu finanzieren gewesen. Doch jetzt plagen Walbrzych neue Sorgen: Die Warschauer PiS-Regierung hat entschieden, die Sonderwirtschaftszonen auf ganz Polen auszudehnen.
    "Unserer Ansicht nach kann das ziemlich gefährlich werden für Walbrzych und für die Sonderwirtschaftszone. Gute Transport- und Schiffswege für die produzierten Waren zu haben, ist heute entscheidend. Wir aber liegen im äußersten Südwesten Polens, umgeben von Bergen. Wir fürchten, dass wir unsere Sonderstellung verlieren werden. Aber wie und wann das passiert? Wir wissen es nicht."