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Sonderzahnsprechstunde für Menschen mit Behinderungen

Wer behindert ist, der hat oft schlechte Zähne. Beispielsweise weil er durch eingeschränkte Beweglichkeit Schwierigkeiten beim Zähneputzen hat oder weil er sich zu selten zum Zahnarzt traut. Zum ersten Mal stand das Thema zahnärztliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen am Wochenende in Berlin bei einem internationalen Symposium im Mittelpunkt. Dort gibt es in der Charité für schwierigere Fälle auch eine extra Zahnsprechstunde für diejenigen, die bei einem niedergelassenen Zahnarzt nicht ausreichend betreut werden können.

Von William Vorsatz |
    Schon vor dem Zahnarztbesuch geht es mit den Schwierigkeiten los. Beispielsweise bei der Kommunikation. Behinderte müssen Hürden nehmen, die sich andere Personen gar nicht vorstellen können. Marianne Becke ist Audiotherapeutin, selbst schwerhörig und hat es oft genug erlebt:

    Die Problematik ist die, dass es schon schwierig ist, überhaupt zum Zahnarzt hinzukommen, d.h. einen Termin zu vereinbaren. Wenn man dort ist, hört man nicht, wenn man aufgerufen wird, der Zahnarzt trägt einen Mundschutz, Hörbehinderte müssen aber vom Mund sehen, und da wird es ganz schwierig mit der Kommunikation. Und viele Hörbehinderte vernachlässigen deshalb auch ihre Zahnpflege, weil jeder Arztbesuch Stress ist.

    Wenn sie dann endlich den Weg in die Praxis gefunden haben, ist es für den Erhalt der Zähne oft schon zu spät. So zählen die Behinderten zu jenem Fünftel der Menschen in Deutschland, das einen kritischen Gebisszustand hat. Neben Unverständnis stoßen sie bei manchen Ärzten mitunter auch auf versteckte Ablehnung. Einige der Zahnärzte würden nämlich um ihre andere Klientel fürchten, glaubt Professor Peter Cichon von der Universität Witten/ Herdecke.

    Behinderte kommen ja häufig mit mehreren. Aus organisatorischen Gruppen, wenn sie aus einer Wohngemeinschaft kommen, und wenn dann mal so 4, 5 behinderte im Wartezimmer kreisen, fühlen sich einige Patienten belästigt, und das nehmen die Kollegen dann zum Anlass, zu sagen, diese Klientel passt nicht in unsere Praxis.

    Die Zahnbehandlung von Menschen mit Behinderungen ist zudem aufwendiger als bei anderen Patienten. Das gilt jedoch nicht für jede Art von Behinderung. Viele sind für die Therapie überhaupt nicht relevant. Daher klassifizieren Experten die Patienten nicht nach der Art ihres Handicaps, sondern nach ihrer Fähigkeit, zu kooperieren. An der Berliner Charite gibt es ein spezielles Behandlungszentrum für schwierige Fälle. Die Zahnärztin Imke Kaschke:


    Die Patienten, die wir in der Sondersprechstunde behandeln, sind im Regelfall schon sehr schwerstbehindert, das sind also häufig sehr unkooperative Patienten, es gibt also auch Patienten, die zum Teil, wenn sie zur Kontrolle kommen, gar nicht aus dem Fahrzeug aussteigen, also vor der Klinik im Fahrzeug begutachtet oder inspiziert werden müssen, man hat also häufig bei Patienten übersteigertes Angstempfinden, zum Teil auch Abwehrwehrverhalten gegen zahnärztliche Maßnahmen, manche Patienten reagieren auch schon auf Geräusch oder Geruch in der Zahnarztpraxis, das hängt sicher zum einen mit der Schwere der Grunderkrankung zusammen, aber zum anderen natürlich auch mit Erleben aus früheren Zahnarztbesuchen.

    Nur fünf von Hundert Behinderungen sind angeboren. Der weitaus größeren Teil von 95 Prozent ist dagegen die Folge von Unfallen, Krankheiten oder altersbedingt. Es kann jeden treffen. Zu den Schwerstbehinderten gehören beispielsweise Patienten im Wachkoma oder solche mit mehreren schweren Krankheiten. Bei solchen Patienten können die Pflegekräfte spezielle Hilfsmittel einsetzten. Beispielsweise dreiköpfige Zahnbürsten, die oben, unten und seitlich Borsten haben und damit auch die Kauflächen und Zwischenräume der Zähne leichter reinigen.

    Es gibt aber auch andere Hilfsmittel, zum Beispiel Griffhilfen für motorische beeinträchtige Patienten, wo also der Handgriff der Zahnbürste verstärkt werden kann und das erleichtert. Es gibt auch bestimmte Aufbisshilfen, ich bezeichne das immer als Zahnbank, auf die die Patienten während der Zahnpflege oder aber auch während der zahnärztlichen Behandlung ihre Zähne absetzen können.

    Wenn irgend möglich, möchten behinderte Patienten auch bei der Zahnbehandlung, weitgehend normal behandelt und nicht ausgegrenzt werden. Das bekräftigt Kaschke aufgrund ihre langen Arbeitserfahrung:

    Bei Patienten mit körperlichen Behinderungen, wie es zum Beispiel bei spastischen Behinderungen vorliegt, ist sicherlich der Wunsch des Patienten, möglichst normal behandelt zu werden. Im Gegensatz zu seiner körperlichen Möglichkeit, der Behandlung zu folgen. Das wird also häufig durch spastische Reaktionen während der Behandlung unterbrochen und man muss also im wesentlichen in sehr kleinen Behandlungsintervallen arbeiten und häufig eben auch Einzelleistungen über einen wesentlich längeren Zeitraum durchführen. Da ist eben manchmal eine Füllung nicht in einer Sitzung zu legen, sondern in 2 oder 3 Terminen.

    Für behinderte Patienten, egal wie schwer ihre Einschränkungen sind, gibt es also die durchaus die Chance, ebenso gesunde Zähne zu haben wie andere Menschen. Bei leichten Einschränkungen bleibt der kooperierende niedergelassene Zahnarzt aus der Nähe der Favorit, für schwerere Fälle stehen spezielle Behandlungszentren wie etwa in Berlin oder Witten bereit.