Unterschiedliche Vorstellungen gebe es unter anderem, was die Steuerpolitik angehe, sagte Caspary. Union und FDP wollten Steuersenkungen, während die Grünen bisher über Steuererhöhungen gesprochen hätten. Auch das Aufrechterhalten der Schwarzen Null sei nicht "für alle am Tisch" gewünschtes Ziel. Zudem sei man sich bei den Instrumenten zur Herstellung von Stabilität im Euroraum nicht einig. Viel Einigkeit herrsche dagegen etwa beim Thema Bekämpfung von Fluchtursachen.
Die Gespräche seien eine riesige Herausforderung. Sie würden an der Union allerdings nicht scheitern, sagte Caspary. "Die Gespräche werden nicht geführt, um Jamaika tot zu machen, sondern um zu testen, ob man Jamaika hinbekommt". Er sehe den Ball eher bei den beiden kleineren Parteien FDP und Grüne und wie flexibel sie sich zeigten.
Zum künftigen politischen Richtung der Unionsparteien ergänzte Caspary, die Sondierungen stünden der Kursfindung der Union nicht im Weg. Man beschäftige sich mit der Wählerwanderung zur AfD. Die Union wolle solide in der Mitte bleiben und nicht etwa nach rechts schwenken.
Das Interview in voller Länge:
Stephanie Rohde: Vier Parteien, vier Weltsichten - daraus ist in Deutschland noch nie eine Regierung gebildet worden. Seit dieser Woche läuft der Versuch, gestern haben die vier Parteien zum ersten Mal sondiert in großer Runde, und dabei ist unter anderem rausgekommen: In der kommenden Woche will man zunächst die schwierigen Kernthemen Finanzen und Europa in den Angriff nehmen. Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Daniel Caspary, er sitzt für die CDU im Europaparlament und er war bei den Sondierungen gestern Abend dabei. Guten Morgen!
Daniel Caspary: Guten Morgen!
Rohde: Und, Herr Caspary, welche Pflöcke haben Sie gestern eingerammt?
"Erst mal hören, was die anderen wollen"
Caspary: Ja, gestern Abend ging es ja erst mal weniger darum, eigene Pflöcke einzurammen, sondern erst mal zu hören, was wollen denn die anderen, was sind die Konfliktpunkte. Im Großen und Ganzen wurde noch mal deutlich, dass wir beim Thema Europa zum Glück vier Parteien am Tisch haben, die sehr proeuropäisch eingestellt sind. Aber Sie können auch sehen, wenn ich da an viele Detailthemen denke, die gerade auch in den nächsten Wochen abgestimmt werden müssen im Europäischen Rat, wir haben schon noch einige Brocken, die wir während der Koalitions- und Sondierungsgespräche aus dem Weg räumen müssen. Aber wir haben auch Punkte, wo wir jetzt schon Entscheidungen brauchen, weil die Bundesregierung handlungsfähig sein muss, zum Beispiel Glyphosat, die Handelspolitik und andere Fragen.
Rohde: Über die Details würde ich gleich noch gern sprechen. Dieses Mal sind die Sondierungen ja eher vorweggenommene Koalitionsverhandlungen. Das heißt, auch die sehr strittigen Themen sind jetzt schon auf dem Tisch, müssen geklärt werden, unter anderem auch weil die Grünen ans Ende dieser Sondierung einen Parteitag gesetzt haben, der darüber abstimmen soll. Da hat die CDU doch bestimmt jetzt wie alle anderen auch einige Interessen schon ganz klar gemacht und ganz klar rote Linien gezogen, oder?
"Wir wissen, das wird eine Riesenherausforderung"
Caspary: Noch mal, gestern ging es glaube ich weniger darum, rote Linien zu ziehen, und das haben wir auch nicht. Wir haben hart in der Sache diskutiert, da gibt es Themen … nehmen Sie das Thema Finanzen und Steuern, wir hätten gerne Steuersenkungen in einigen Bereichen, die FDP auch, die Grünen haben bisher über Steuererhöhungen gesprochen. Mein Eindruck ist, wir wollen gern die schwarze Null aufrechterhalten, das war nicht für alle am Tisch eine Selbstverständlichkeit. Und jetzt ging es einfach mal darum, gestern Abend, abzuklopfen: Was sind denn die Punkte, die den Parteien besonders am Herzen liegen, wo ist vielleicht ein bisschen mehr Spielraum, es ist ja auch schon einiges nach außen leider gedrungen. Ja, Pflöcke einrammen ist das eine, aber wir kennen ja unsere gegenseitigen Wahlprogramme und wir wissen, dass das eine Riesenherausforderung wird. Und genau darum geht es ja dann in der nächsten Woche und in der übernächsten Woche in den Fachgesprächen zu den bestimmten Themen.
Rohde: Michael Kellner von den Grünen spricht von Geistesblitzen. Welche Geistesblitze oder welche positiven Visionen bringt die CDU denn in diese Sondierungsverhandlungen ein? Oder sehen das alle so wie Angela Merkel, dass man nicht wirklich was ändern muss?
"Wir haben teilweise ein unterschiedliches Menschenbild"
Caspary: Nein, wir wollen doch auf jeden Fall unser Land wieder voranbringen. Schauen wir uns die Große Koalition an, die jetzt zu Ende geht. Auf der einen Seite waren wir erfolgreich, schauen wir doch Deutschland an, wo es heute steht, die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht, so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie in der deutschen Geschichte. Und jetzt geht es aber darum, unsere Wirtschaft und unser Land fit zu machen für die Zukunft. Und das sind ja genau die Themen, wo es dann auch rumpeln wird. Nehmen Sie die Grünen, die ja sagen, wir sind gegen Fahrverbote und wollen die blaue Plakette haben, wir wollen zwar technologisch nicht so richtig was vorgeben, aber wir setzen voll auf Elektromobilität und der Diesel ist vorbei. Und das sind alles Punkte, wo wir halt eine ganz andere Politikauffassung als Union haben. Wir wollen da Technologieneutralität, wir wollen sicherstellen, dass die Wirtschaft entsprechende Freiräume hat, sich zu entfalten. Und ich glaube schon, dass das Konflikte sind, die sich durch die ganzen Koalitionsverhandlungen, egal bei welchem Thema, ziehen werden. Wir kommen hier wirklich von unterschiedlichen Seiten, wir haben ein unterschiedliches Menschenbild teilweise, man darf das nicht unterschätzen. Aber gestern war gut, es hat auch manchmal gerumpelt, zum Beispiel beim Thema Verkehr, aber es gibt auch Bereiche grundsätzlicher Art wie bei der Frage grundsätzliche proeuropäische Ausrichtung, die uns weiterhelfen kann, die Geschichte zu schreiben.
Rohde: Ich muss auch noch mal nachfragen: Also Sie sehen das etwas anders als Angela Merkel, die gesagt hat, sie wüsste nicht, was man ändern sollte?
"Es wird anders werden in Deutschland, damit es gut bleiben kann"
Caspary: Nein, wenn Angela Merkel sagt, sie wüsste nicht, was man ändern sollte, dann sagt sie ja grundsätzlich, unser Land steht erst mal gut da. Aber jetzt geht es doch darum, die Weichen zu stellen, dass Deutschland nicht nur heute dasteht, sondern auch in zehn oder zwanzig Jahren gut dasteht. Und da haben wir schon Riesenaufgaben: Wie stellen wir eine künftige Finanz- und Haushaltspolitik in den nächsten Jahren dar? Oder nehmen Sie das Thema Migration, wie schaffen wir es, die Verunsicherung in der Bevölkerung, die ja leider 2015 entstanden ist, wirklich zu beseitigen, wie sieht ein schlüssiges Konzept aus, mit dem wir Fluchtursachen bekämpfen? Da gibt es zum Beispiel viel Einigkeit. Wie schaffen wir es auf der anderen Seite, die europäische Außengrenze besser zu sichern? Da haben wir ein gemeinsames Interesse, aber unterschiedliche Vorstellungen. Und von daher, natürlich wird es anders werden in Deutschland, aber es muss ja auch anders werden, damit es gut bleiben kann.
Rohde: Herr Caspary, die Union ist mit Angela Merkel ja auf das schwächste Ergebnis seit der ersten Bundestagswahl 1949 abgestürzt. Wie wollen Sie verhindern, dass die Wahlgewinner, die Grünen und die FDP, diese Schwäche der Union bei den Verhandlungen ausnutzen?
Caspary: Also ich sehe uns nicht geschwächt. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse an, wir haben mit Angela Merkel immer ungefähr in dem Bereich Mitte 30 gelegen. Wir hatten dann einmal den Ausreißer dank Angela Merkel vor vier Jahren. Ich denke, wir sollten die Ergebnisse jetzt nicht an den letzten vier Jahren messen, sondern wir sollten schauen, wie es insgesamt ist. Wir erleben in Europa - weil Sie zu Beginn Europa angesprochen haben -, die Kollegen sind begeistert, die sagen, wie habt ihr das in Deutschland geschafft, Angela Merkel wird zum vierten Mal Kanzler werden in dieser schwierigen, in dieser unruhigen Zeit! Die französischen Kollegen sagen zu mir: Schaut mal, Macron in Frankreich ist jetzt der große Held, er hat aber auch nur ungefähr ein Drittel der Stimmen, wie Angela Merkel bei uns. Wir sollten das Ergebnis nicht gutreden, aber wir sollten es auch nicht schlechtreden. Angela Merkel ist wiedergewählt und das ist eine klare Botschaft.
Rohde: Sie sagen, Ihre Kollegen in Europa sind begeistert. Weniger begeistert sind ja Parteikollegen in der CDU. Zum Beispiel wenn man nach Sachsen guckt, da kommen Stimmen, die sagen, die Partei muss wieder mehr nach rechts rücken. Können Sie solche grundlegenden Kursfragen in den Sondierungen als Union einfach ausblenden?
"Die Mehrheit der Bevölkerung ist in der Mitte und da ist auch die Union"
Caspary: Nein, wir blenden das ja auch gar nicht aus. Aber nehmen Sie jetzt da die Frage, schauen Sie sich die AfD-Wählerschaft an - und darauf nehmen ja einige jetzt in der Partei Bezug -, da kommt ungefähr ein Drittel der AfD-Wähler von der Union, das beschäftigt uns sehr, aber zwei Drittel auch nicht. Und die Vielschichtigkeit, warum Menschen uns nicht gewählt haben, die ist groß. Wir haben ja leider nicht nur in die eine Richtung verloren, sondern auch in Richtung anderer Parteien. Und ich kann uns nur allen dazu raten, ganz gezielt zu überlegen, wie wollen wir als Union stehen. Und die Union ist eine Partei der Mitte. Wir hatten immer den Anspruch, dass es möglichst rechts von uns keine Partei geben darf, aber wenn auf der anderen Seite dann eine Partei entsteht, die ja schon fast rechtsradikal ist, dann sollten wir nicht den Fehler machen, dahin abzuschwenken, sondern wir sollten solide in der Mitte bleiben. Wir sollten solide nach Mehrheiten suchen, die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist in der Mitte und da ist auch die Union.
Rohde: Solide in der Mitte bleiben. Lassen Sie uns über Europa sprechen! Grüne und mit Einschränkungen ja auch die CDU wollen mehr Geld für Europa ausgeben, die FDP dagegen weniger. Wie wollen Sie die FDP dazu bewegen, mehr Geld locker zu machen für Europa?
"Das Hauptproblem wird nicht die Union sein"
Caspary: Mir geht es weniger darum, mehr Geld locker zu machen, sondern als Erstes mal darüber zu sprechen, was sind die Aufgaben. Und was gestern deutlich wurde: Alle Partner sehen die Riesenherausforderung der künftigen Entwicklungshilfe, Perspektive für die Staaten. Wir haben ein gemeinsames Ziel mit dem Aufbau der europäischen Verteidigungsunion, wir wollen den Euro weiter stabil halten und stärken, und da kommt man dann sehr schnell darauf, dass, wenn man Aufgaben an die Europäische Union gibt, dann muss man auch übers Geld reden. Und deswegen, ich bin auch da zuversichtlich, eine Lösung zu finden. Denn auf der anderen Seite, die Geschichte Transferunion oder anderes, da sind sich ja zum Beispiel wieder Union und FDP einig und die Grünen sehen das im Detail ein bisschen anders. Das wird ja genau die Herausforderung werden, wie schaffen wir es, diese wirklich mal eher gemeinsamen Interessen von zwei Partnern, mal eher gemeinsame Gegeninteressen zu anderen Partnern, wie schaffen wir, das zusammenzubringen? Ich glaube, das Hauptproblem wird nicht die Union sein. Wir wollen aufrichtig sondieren, an uns wird das Thema Jamaika nicht scheitern, ich sehe eher den Ball bei den anderen, wie flexibel sind vor allem die beiden kleineren Partner.
Rohde: Dann lassen Sie es uns ganz konkret machen! Die Liberalen wollen Verfahren für geordnete Staatsinsolvenzen in der Eurozone, der Rettungsschirm ESM soll auslaufen langfristig, die CDU will den Rettungsschirm aber weiterentwickeln. Ist das für Sie verhandelbar?
Caspary: Ja, für uns geht es erst mal … Genau, die Frage ist doch jetzt erst mal, Staatsinsolvenz, da finden Sie auch bei uns etliche Sympathien. Es geht doch mal darum, diese organisierte Unverantwortlichkeit wieder in eine Verantwortlichkeit zu bringen. Und das Zweite, wir wollen den Währungsfonds oder den ESM weiterentwickeln, zum Beispiel als Union in Richtung eines europäischen Währungsfonds. Aber die Überschrift ist das eine, und halt jetzt noch um die Inhalte, dass wir ein Instrument brauchen, Stabilität in Europa aufrechtzuerhalten, dass uns so eine Krise wie 2009 nicht mehr passieren kann, dass die Europäische Union auch Möglichkeiten hat, auf Krisen zu reagieren. Da haben wir doch wieder ein gemeinsames Ziel und jetzt müssen wir schauen, wie werden wir das Ziel erreichen. Da gibt es halt noch unterschiedliche Vorstellungen, und deswegen ist gerade gut, dass wir das Kernthema Haushalt und Europa am Dienstagabend schon mal versuchen anzugehen.
Rohde: Herr Caspary, noch eine Frage: Hat die Union eigentlich einen Plan B in der Tasche, falls der CSU-Chef Horst Seehofer im laufenden Verfahren abgesägt wird in Bayern?
"Die Gespräche wurden nicht geführt, um Jamaika totzumachen"
Caspary: Wir brauchen keinen Plan B. Horst Seehofer ist guter Ministerpräsident, das ist auch gestern Abend wieder deutlich geworden, dass er die Themen drauf hat, die Befindlichkeiten in der Bevölkerung sehr stark spürt. Und wir brauchen keinen Plan B, weil wir wollen aufrichtig Jamaika sondieren. An der Union wird es nicht scheitern und auch Horst Seehofer wird da einen starken Beitrag leisten, wie er es gestern Abend gemacht hat.
Rohde: Und gilt für die Jamaika-Sondierung: Scheitern diese Gespräche, dann scheitert Merkel?
Caspary: Die Jamaika-Gespräche werden an uns nicht scheitern, und gestern Abend wurde deutlich: Wir haben alle Seiten klare Punkte, wo wir uns schwertun. Aber gestern Abend wurde auch deutlich, die Gespräche wurden nicht geführt, um Jamaika totzumachen, sondern gestern Abend wurden die Gespräche geführt, um zu testen, ob wir Jamaika hinbekommen. Und noch mal, an uns in der Union wird es nicht scheitern.
Rohde: Das sagt Daniel Caspary, er sitzt für die CDU im Europaparlament und war bei den Sondierungen gestern Abend dabei. Vielen Dank fürs Gespräch!
Caspary: Ich danke Ihnen, einen guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.