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Sondierungsgespräche
"Da ist großes Misstrauen gegenüber der Union"

"Die letzten vier Jahre waren für uns als SPD nicht angenehm." Sarah Philipp, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, ist skeptisch, was eine Neuauflage der GroKo angeht. Dennoch glaube sie, dass es zu Sondierungsgesprächen kommen werde, sagte sie im Dlf.

Sarah Philipp im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Sie sehen das Logo der SPD, davor unscharf eine Person, die vorbeigeht.
    Sarah Philipp von der SPD in NRW betonte im Dlf, dass es bei Sondierungsgesprächen mit der CDU nicht nur um Überschriften, sondern um Inhalte gehen müsse (picture-alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Sarah Philipps. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, Wahlkreis Duisburg. Guten Morgen!
    Sarah Philipp: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Frau Philipp, bitte zunächst Ihre persönliche Meinung. Sollte der SPD-Vorstand heute Sondierungen zustimmen?
    Philipp: Ich gehe davon aus, dass das passieren wird. Ich war letzte Woche als Delegierte auf dem Bundesparteitag. Ich habe unserem Antrag zugestimmt, dass wir ergebnisoffen mit der Union reden. Jetzt hat es am Mittwoch dieses erste Treffen gegeben, ohne dass da schon konkret was besprochen worden ist. Von daher haben die Gespräche ja noch gar nicht richtig angefangen. Deswegen gehe ich davon aus und halte es auch erst mal für sinnvoll, dann jetzt auch weitere Gespräche zu führen.
    "Die letzten vier Jahre waren für uns als SPD nicht angenehm"
    Heinemann: Und wenn die stattfinden, wie schätzen Sie dann die Chancen für eine weitere Unions-SPD-Koalition ein?
    Philipp: Das ist eine schwierige Frage. Es ist auch so, dass ich weiterhin sehr skeptisch bin, dass viele Mitglieder sehr skeptisch sind, was eine Neuauflage der GroKo angeht. Da ist großes Misstrauen gegenüber der Union, auch gegenüber der Kanzlerin. Die letzten vier Jahre waren für uns als SPD nicht angenehm. Das hat das Wahlergebnis im September auch eindeutig gezeigt. Von daher: Auch wenn jetzt Gespräche geführt werden, heißt das immer noch nicht, dass es zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommt.
    Sarah Philipp, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen.
    Sarah Philipp, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. (Zoltan Leskovar)
    Heinemann: Wie wird konkret in Ihrem Ortsverein, in Duisburg über die GroKo diskutiert?
    Philipp: Ich hatte Anfang der Woche Weihnachtsfeier im Ortsverein. Da ist natürlich auch darüber gesprochen worden. Ich habe vom Bundesparteitag berichtet und da hat sich keiner spontan für eine Große Koalition ausgesprochen. Wir haben sehr viel über Themen gesprochen, die uns wichtig sind, die auf jeden Fall jetzt besprochen werden müssen. Wir haben aber auch sehr viel auf die letzten vier Jahre zurückgeblickt und sind zu dem Schluss gekommen, oder mehrheitlich war das die Meinung, eher Skepsis, eher Ablehnung. Von daher ist das auch an der Basis sehr, sehr schwierig und kein besonders beliebtes Thema.
    "Es darf nicht nur um Überschriften gehen"
    Heinemann: Waren das denn vier schlechte Jahre?
    Philipp: Na ja. Wenn man sich die Inhalte anschaut, die wir durchgesetzt haben - Stichwort Mindestlohn -, dann sind da ja durchaus Erfolge oder gute Politik auch gemacht worden - Erfolge für die Sozialdemokratie. Aber wenn man am Ende feststellen muss, dass man mit seinen guten Ergebnissen bei den Leuten nicht durchgedrungen ist, dann ist das natürlich ein Problem.
    Das zweite Problem, was ich sehe - und das ist auch wichtig jetzt aus meiner Sicht für die weiteren Gespräche -, es darf nicht nur um Überschriften gehen, sondern da muss am Ende auch wirklich ein runder Inhalt bei rauskommen. Ein gutes Beispiel für mich ist immer die Mietpreisbremse. Wir haben zwar eine Mietpreisbremse, das war eine wichtige Forderung von uns. Die ist am Ende aber durch diverse Kompromisse und Hintertürchen so weich gespült worden, dass sie de facto nicht funktioniert hat. Von daher: Mietpreisbremse als Überschrift - ja, gibt es -, aber mit CDU zusammen einfach keine, die funktioniert. Von daher muss man da sehr genau aufpassen.
    "Die Frage ist ja: wie viel Verhandlungsspielraum ist da eigentlich noch"
    Heinemann: Kann man in der nächsten GroKo doch verbessern.
    Philipp: Kann man machen. Aber die Frage ist ja, wie viel Verhandlungsspielraum ist da eigentlich noch. Man muss über Inhalte jetzt reden, das ist sehr wichtig. Aber wenn man gerade aus einer Großen Koalition kommt und wenn man vier Jahre lang Kompromisse geschlossen hat und sehr viel verhandelt hat, dann stellt sich für mich die Frage, wie viel Verhandlungsmasse, wie viel Kompromissfähigkeit ist da überhaupt noch vorhanden und was kann da eigentlich an Inhalten für die nächsten vier Jahre jetzt noch rauskommen.
    Heinemann: Eines ist klar: Ohne GroKo können Sie überhaupt keine Inhalte umsetzen.
    Philipp: Ja, das ist richtig. Aber die Frage ist ja perspektivisch: Möchte ich irgendwann mal wieder dahin kommen, dass ich als SPD vielleicht 30 Prozent oder wie viel Prozent auch immer, auf jeden Fall stärker dastehe und dann ganz viele Inhalte umsetzen kann, irgendwann auch wieder in die Situation komme, dass ich den Anspruch habe, den Kanzler zu stellen? Möchte ich das irgendwann? Oder gehe ich das Risiko ein, dass ich jetzt Kompromisse eingehe, vielleicht auch faule Kompromisse eingehe, und dann beim nächsten Mal nicht 20 Prozent, sondern 15 Prozent habe? Das ist die große Gefahr, die ich dabei sehe, und dann setze ich gar nichts mehr um.
    Heinemann: Frau Philipp, Sie sagten eben, wir sind mit unseren Themen nicht durchgedrungen. Ist das ein Problem der GroKo, oder ist das nicht vielmehr ein Problem der SPD-Führung?
    Philipp: Sicherlich über die Koalitionsgespräche hinaus oder die Sondierungsgespräche hinaus, die jetzt anstehen, muss man natürlich auch schauen, was haben wir als Partei eigentlich falsch gemacht. Die Gespräche und die Regierungsbildung, das ist das eine, aber das zweite ist natürlich auch die Frage, wie geht es mit der SPD weiter. Was ist passiert bei der Bundestagswahl, dass wir noch schlechter abgeschnitten haben als beim letzten Mal, und wie kann man das besser machen.
    Man muss jetzt, glaube ich, sehr genau aufpassen, dass diese ganzen Gespräche nicht davon ablenken, dass wir als Partei eine ganze Menge zu tun haben mit uns selbst, auch was die Kommunikation angeht, was die Außendarstellung angeht.
    Ich glaube, wenn sich die Leute unser Parteiprogramm durchlesen, ohne dass da jetzt irgendwo SPD draufsteht, dann können viele Leute das unterschreiben und sagen, ja, finde ich eigentlich gut, hört sich gut an, macht Sinn. Aber sobald man dann am Infostand steht, hat man das Problem, dass die Leute einem entweder nicht glauben, oder sagen, das hättet ihr ja schon ganz lange machen können.
    "Maximalforderungen jetzt direkt am Anfang sind nicht besonders klug"
    Heinemann: Karl Lauterbach, Ihr Gesundheitsexperte, hat jetzt gesagt, die SPD müsse auf jeden Fall die Bürgerversicherung durchsetzen, sozusagen als Bedingung schon für die Sondierungsgespräche. Ist es klug, mit Maximalforderungen in solche Gespräche zu gehen?
    Philipp: Ich glaube, Maximalforderungen jetzt direkt am Anfang sind nicht besonders klug. Gleichwohl - das habe ich ja schon gesagt - sind Inhalte wichtig. Wir haben ja auch auf dem Parteitag nicht nur beschlossen, dass wir Gespräche führen, sondern haben auch wichtige Inhalte für uns definiert. Da gehört das Ende der Zwei-Klassen-Medizin auf jeden Fall dazu. Das ist für uns Sozialdemokraten ein wichtiges Thema, genauso aber wie Investitionen in Infrastruktur, das Thema Rente, das Thema gute Löhne oder auch bezahlbarer Wohnraum. Aber es ist wichtig, mit so einem Inhaltsbündel da reinzugehen. Aber von vornherein da irgendwelche Grenzen abzustecken, macht wahrscheinlich nicht viel Sinn.
    Heinemann: Sarah Philipp, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen aus dem Wahlkreis Duisburg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Philipp: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.