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Sondierungsgespräche
"Integrationsfähigkeit unseres Landes hat eine Grenze"

"Wir brauchen weitere sichere Herkunftsstaaten und das weitere Aussetzen des Familiennachzugs der subsidiär Geschützten", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Dlf. Eine unbegrenzte Zuwanderung nach Deutschland dürfe es nicht geben. Das habe man innerhalb der Union vereinbart und die Grünen müssten das akzeptieren.

Alexander Dobrindt im Gespräch mit Chrstiane Kaess |
    Beide stehen vor Mikrofonen von Fernsehteams.
    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betont Unions-Haltung zur Obergrenze. (Maurizio Gambarini / dpa)
    Christiane Kaess: Die schwarze Null bei der Haushaltspolitik oder doch mehr Schulden, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages in dieser Legislaturperiode oder doch weniger Entlastungen – so einig, wie es zunächst aussah, waren sich die verhandelnden Politiker für eine mögliche Jamaika-Koalition nach den Gesprächen am Dienstagabend dann doch nicht. Zum Thema Finanzen und Haushalt waren anscheinend schon Kompromisse gefunden; die aber stellte dann der Grünen-Politiker Jürgen Trittin in Frage. Die FDP reagierte sauer. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann zweifelte an der Verhandlungsfähigkeit der Grünen. – Heute Vormittag gehen die Gespräche weiter.
    Am Telefon ist jetzt Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag und bei den Sondierungsgesprächen dabei. Guten Morgen, Herr Dobrindt.
    Alexander Dobrindt: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Kurzer Rückblick auf die Runde am Dienstagabend. Nachdem die Grünen die Ergebnisse dann wieder in Frage gestellt hatten, da hieß es aus der FDP: Wenn die Grünen künftig an jedem Morgen danach die Kompromisse des Vorabends aufkündigen, könnten wir uns die künftigen Sondierungsrunden schenken. – Sehen Sie denn die Grünen auch als so unzuverlässige Gesprächspartner?
    Dobrindt: Man muss zumindest mal festhalten, dass offensichtlich die Interpretation am Tag danach etwas anderes war als das, was wir am Abend vereinbart haben. Es gibt ja auch ein Papier, bei dem man sein gemeinsames Verständnis noch mal deutlich gemacht hat. Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir Entlastungen von Familien und das Abschaffen des Solis gemeinsam mit Investitionen schaffen können. Das heißt, beides geht: Investieren in Zukunftstechnologien und gleichzeitig Entlastungen durchzuführen. Dass das dann am nächsten Tag wieder in Frage gestellt worden ist – na ja, da wird man heute als erstes mal wieder eine Runde drüber reden müssen.
    Kaess: Und ganz offen hat es auf alle Fälle auch gehakt beim Umgang mit der Türkei. Da sagt die CSU, wir wollen den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen; die Grünen sind dagegen. Jetzt im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen, die Freilassung von Peter Steudtner: Haben die Grünen recht mit ihrer Position? Wäre der Abbruch der Beitrittsverhandlungen jetzt tatsächlich erst recht das falsche Signal?
    Dobrindt: Nein, sie haben natürlich nicht recht. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass die Türkei keine Vollmitgliedschaft der EU bekommen kann. Das war in dieser Runde auch unstrittig. Die Frage ist, welche andere Art der Partnerschaft kann man sich vorstellen. Das ist etwas, was im Diskussionsprozess natürlich ist. Aber ein Land, das mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit so umgeht, wie es die Türkei tut, das kann natürlich nicht Mitglied der Europäischen Union werden. Für uns ist deswegen auch logisch, dass man da ehrlich miteinander umgeht und der Türkei auch sagt, wenn eine Mitgliedschaft nicht möglich ist, dann muss man auch die Beitrittsverhandlungen abbrechen können. Da gibt es natürlich noch Diskussionen, das kann man verstehen, gerade auch mit den Grünen, aber in der Konsequenz bleibt es dabei, dass die Türkei nicht zur EU gehören kann.
    Kaess: Herr Dobrindt, jetzt sagen Sie, ehrlicher Umgang miteinander. Aber ist die Position der CSU da nicht reiner Populismus? Denn um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, da bräuchte man ja die Einstimmigkeit in der EU, und die gibt es dazu überhaupt nicht.
    Dobrindt: Populismus ist es doch, wenn man immer wieder behauptet, es gäbe eine Perspektive für die Türkei in der EU, obwohl sich schon seit langem alle relativ einig sind, dass zumindest die Vollmitgliedschaft nicht möglich ist.
    Kaess: Sie stellen es so dar, als könnten Sie die Beitrittsverhandlungen abbrechen, und das geht ja auch nicht.
    Gemeinsame Linie bei der EU?
    Dobrindt: Sie können ja gerne mit den Nachbarländern Deutschlands reden in der Europäischen Union und werden feststellen, dass es dafür keine Unterstützung gibt, dass die Türkei Mitglied der EU wird. Deswegen sollten wir an dieser Stelle ehrlich sein.
    Kaess: Aber auch nicht für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen.
    Dobrindt: Na gut. Wir haben es ja noch gar nicht probiert, ob man eine gemeinsame Linie in Europa hinbekommt. Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist, eine gemeinsame Linie für den Abbruch hinzubekommen, als dass es jemals eine Gemeinsamkeit für eine Vollmitgliedschaft der Türkei gibt.
    Kaess: Klar ist, Herr Dobrindt, dass das Thema Migration und Flüchtlinge Konfliktpotenzial bietet bei den Gesprächen heute. Für die Grünen ist der Familiennachzug für bestimmte Flüchtlinge so etwas wie ein Herzensanliegen. Die CSU will das Aussetzen des Familiennachzugs bei Menschen mit subsidiärem Schutz – das betrifft zum Beispiel viele syrische Flüchtlinge. Wie will man da zusammenkommen?
    Dobrindt: Wir haben ja ein Regelwerk zur Migration vereinbart zwischen CDU und CSU. An diesem Regelwerk geht nichts vorbei. Das gilt. Da steht drin, dass wir Entscheidungs- und Rückführungszentren einführen wollen, aus denen heraus dann bei Ablehnung eines Asylantrages direkt zurückgeführt werden kann. Wir brauchen weitere sichere Herkunftsstaaten und wir brauchen in der Tat das weitere Aussetzen des Familiennachzugs der subsidiär Geschützten. Ansonsten können wir Integrationsleistungen in Deutschland nicht in dem Maße erbringen für die Schutzbedürftigen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Integrationsfähigkeit unseres Landes eine Grenze hat, und die haben wir ja auch miteinander als CDU/CSU vereinbart. Wir wollen schließlich nicht, dass mehr als maximal 200.000 Menschen in unser Land kommen können, aus humanitären Gründen, weil man ansonsten auch denen nicht gerecht werden kann und auch unserer Gesellschaft nicht gerecht werden kann. Das müssen die Grünen akzeptieren, da ist Bewegung gefordert.
    Kaess: Sie sagen, das müssen die Grünen akzeptieren. Aber Sie sind ja gegen sehr viele dieser Punkte. Muss sich letztendlich nicht doch die Union bewegen, denn die FDP tut das ja auch schon?
    Dobrindt: An diesen Punkten kann es keine Bewegung geben. Das sind die Vereinbarungen zwischen CDU und CSU, die dringend notwendig sind, damit ein Jahr wie 2015 nicht wieder passieren kann. Es darf keine unbegrenzte und unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland mehr geben, und dazu sind das die mindestnotwendigen Anforderungen.
    "Das können wir in diesem Land nicht leisten"
    Kaess: Mir geht es jetzt ganz konkret, Herr Dobrindt, noch mal um diesen Familiennachzug. Die CSU hat da ja gar kein Sachargument mehr in der Hand, denn diese hohen Zahlen an Familienmitgliedern, die am Anfang da kursierten, für manche auch als Schreckgespenst, die sind ja weitestgehend widerlegt.
    Dobrindt: Nein, die sind nicht widerlegt, sondern auch da gibt es unterschiedliche Meinungen und auch Zahlen dazu. Für uns ist klar, dass hier auch ein Effekt stattfindet. Das heißt, da werden einzelne Familienmitglieder geschickt, damit dann genau der Familiennachzug stattfinden kann. Das überfordert uns. Das würde auch die von uns festgesetzten Grenzen wieder deutlich überschreiten. Das können wir in diesem Land schlichtweg nicht leisten und da gilt auch das, was unser früherer Bundespräsident gesagt hat: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind beschränkt. Das muss man sich auch immer wieder selber sagen.
    Kaess: Aber Sie sind ja auch für Integration, und da gibt es dieses starke Argument, dem auch viele zustimmen, dass man sagt, die Integration der hier lebenden Flüchtlinge, die gelingt mit der Familie viel besser.
    Dobrindt: Die Integration kann nicht gelingen, wenn so viele Menschen hier herkommen, dass eine Integrationsleistung nicht mehr gewährleistet ist, und genau diese Gefahr besteht.
    Kaess: Herr Dobrindt, wird eigentlich die Obergrenze in den Gesprächen mit FDP und Grünen überhaupt kein Problem mehr sein, weil die Vereinbarung zwischen CSU und CDU, die Sie auch schon angesprochen haben, die sieht ja ohnehin nur noch eine Obergrenze light vor, also keine starre Zahl mehr?
    Dobrindt: Nein, das ist nicht richtig. Wir haben sehr deutlich formuliert, dass es sich um eine Grenze von maximal 200.000 Menschen handeln kann, die nach …
    "Keine unkontrollierte Zuwanderung mehr nach Deutschland"
    Kaess: Die flexibel verändert werden kann.
    Dobrindt: Nein! Es gibt eine Regelung, dass der Deutsche Bundestag – da gehören Entscheidungen auch zukünftig über solche Fragen wieder hin – darüber entscheiden muss, wenn es eine Veränderung notwendig macht, zum Beispiel, wenn die wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht so gut bleibt und deswegen auch unsere Integrationsleistung nicht so stark sein kann zukünftig, dass auch diese Grenze nach unten gesetzt werden kann. Das ist, glaube ich, auch Teil der Ehrlichkeit zu sagen, dann muss ein Deutscher Bundestag so eine Entscheidung treffen können.
    Dass man daraus jetzt macht, das sei keine Grenze mehr, die wirklich funktioniert, ist eine vollkommen falsche Interpretation, sondern das ist zum ersten Mal ein Regelwerk, das wirklich das garantiert, was notwendig ist, nämlich dass wir keine unkontrollierte Zuwanderung mehr nach Deutschland haben.
    Kaess: Aber Sie sagen selber, Veränderung an der Zahl ist möglich. Wäre das dann die Kompromisslinie mit FDP und Grünen?
    Dobrindt: Ich sehe da überhaupt keine Kompromisslinie. Das ist zwischen CDU und CSU genau so vereinbart, dass in Situationen wie zum Beispiel, dass man aus wirtschaftlichen Gründen feststellt, dass eine Zahl 200.000 zu hoch ist und sie abgesenkt werden muss, ein Deutscher Bundestag das auch tun kann.
    Wie weiter mit Air Berlin?
    Kaess: Herr Dobrindt, ich möchte Ihnen zum Schluss noch kurz eine ganz andere Frage stellen, denn als ehemaliger Bundesverkehrsminister hat Sie gestern ein Problem eingeholt, das in Ihre Amtszeit fällt: die Insolvenz von Air Berlin. Die Bundesregierung, die war zwar bereit, einen Überbrückungskredit von 150 Millionen Euro für das Unternehmen Air Berlin zu bezahlen, aber nicht für eine Transfergesellschaft für die Beschäftigten. Und seit gestern ist klar, die wird tatsächlich auch nicht kommen. Jetzt stehen mehrere tausend Beschäftigte demnächst auf der Straße. Warum haben Sie diese Menschen im Regen stehen lassen?
    Dobrindt: Wir haben ja das Gegenteil getan. Wir haben ja dafür gesorgt, dass die Flugzeuge nicht gegroundet werden müssen, das heißt am Boden bleiben. Bei einem Insolvenzfall hätte das sofort stattfinden müssen. Das wäre fatal gewesen für viele hunderttausend Fluggäste und übrigens für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Durch unseren Überbrückungskredit von 150 Millionen haben wir dafür gesorgt, dass es Verkaufsverhandlungen geben konnte und die ja auch erfolgreich sind. Die Lufthansa beispielsweise, die einen erheblichen Teil des Unternehmens Air Berlin übernimmt.
    Kaess: Aber das hat nicht für alle Beschäftigten gereicht.
    Dobrindt: Ja. Andere Teile sind jetzt nicht momentan in einen Verkaufsprozess gegangen und zu einem neuen Eigentümer. Das ist klar, dass in einem Unternehmen, das insolvent geht, nicht alle Teile weitergeführt werden können, weil es ja ganz offensichtlich auch unprofitable Teile gegeben hat. Und ob eine Transfergesellschaft stattfindet, ist Aufgabe der Arbeitsagentur, die so was dann auch organisieren muss und machen kann. Wir haben allerdings eine gute wirtschaftliche Lage. Wir haben freie Stellen. Wir haben es hier bei Air Berlin mit hoch qualifizierten Mitarbeitern zu tun, die am Arbeitsmarkt auch alle eine Chance haben. Deswegen wird die Arbeitsagentur die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um diese Menschen zu unterstützen.
    Kaess: Alexander Dobrindt war das. Er ist Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Dobrindt: Danke schön, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.