"Wir lernten uns mit 14 Jahren im Jungmädelbund kennen. Sie war wie ein feuriger wilder Junge, trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt und hatte mit Vorliebe eine blaue Fischerbluse oder eine Winterbluse ihres Bruders an. Sie war lebhaft, keck, mit heller klarer Stimme, kühn in unsern wilden Spielen und von einer göttlichen Schlamperei."
So beschreibt Susanne Hirzel im Buch von Robert Zoske ihre ehemalige Freundin Sophie Scholl.
"Letzten Endes ging es um die ‚Freiheit‘. Diesem Ziele wollten wir unser Leben weihen, hätten jedoch niemandem genauer sagen können, was das ist: ‚Freiheit‘."
Wenn es etwas gibt, das das vielfältige Leben Sophie Scholls zusammenhält, dann ist es wohl ihr Kampf um Freiheit. Aber muss man sich hüten, den Begriff vorschnell mit heutigen Vorstellungen von Selbstverwirklichung zu verbinden.
Das Motiv der Freiheit
Freiheit ist für Sophie Scholl ein Ringen um das richtige Leben, und das wird nirgends so deutlich wie in den Briefen an ihren und von ihrem langjährigen Freund und Geliebten Fritz Hartnagel. In ihnen wird ständig das Verhältnis von Nähe und Distanz neu ausgelotet. Er sucht die Nähe – auch die körperliche –, während sie immer wieder auf Distanz geht und die Liebe zu Gott über alles stellt. Zoske zitiert einen Brief vom Dezember 1940, den Fritz Hartnagel als Soldat aus dem besetzten Frankreich schreibt:
"Wenn jeder von uns beiden seinen ganzen Trost und Halt im ‚Höheren‘ findet, dann ist der eine dem anderen wohl überflüssig geworden. Was wollen wir noch voneinander? Ich suchte in Dir einen Menschen, zu dem man immer kommen kann mit seiner Last. Und ich hoffte dasselbe für Dich zu sein."
Die Reaktion Sophie Scholls erfolgt wenige Tage später.
"Der Zentralsatz dieses Briefes benannte die beiden ‚Herren‘ klar, zwischen denen man sich entscheiden müsse:
‚Glaubst Du nicht, daß das Geschlecht könnte vom Geiste überwunden werden?‘
Sie sah Eros und Spiritualität unversöhnlich gegenüberstehen und wollte nur einem ‚Herren‘ dienen. Eine mönchisch-nonnenhafte Leibfeindlichkeit dominierte Sophies Denken."
Welch Unterschied zur anfangs beschriebenen wilden Lebenslust Sophie Scholls. Und genau das macht die Qualität des Buches aus. Es schildert die Widerständige, wie sie im Untertitel genannt wird, in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Bloß nicht mitlaufen oder mitmachen bei dem, was die anderen halt so machen, das hatten die Scholl-Kinder von ihren schwäbischen Eltern – sie eine fröhliche Pietistin, er ein weltoffener Kulturprotestant – mit auf den Weg bekommen.
Keine Pazifistin sondern radikale Kämpferin
Und es ist ein Verdienst von Zoske, dass er deutlich macht, dass der Nationalsozialismus nicht nur reaktionär war, sondern auch revolutionär – und gerade für Kinder und Jugendliche sehr attraktiv. Er zitiert das Gelöbnis, das Sophie Scholl bei ihrem Eintritt im Bund Deutscher Mädel 1934 ablegte:
"Klare Augen wollen wir haben und tätige Hände. Stark und stolz wollen wir werden: Zu gerade, um Streber oder Duckmäuser zu sein, zu aufrichtig, um etwas scheinen zu wollen, zu gläubig, um zu zagen und zu zweifeln, zu ehrlich, um zu schmeicheln, zu trotzig, um feige zu sein."
Und diese Begeisterung für das neue Deutschland war keine kurze Episode. Sophie Scholl zog das nationale Erwachen dem bürgerlichen Mittelmaß auch dann noch vor, als Deutschland längst Krieg führte. Die inzwischen 19-Jährige lehnte den Überfall auf Frankreich zwar ab, aber zugleich machte sie aus ihrer Verachtung der Franzosen keinen Hehl. Diese hätten Paris bis zum letzten Schuss verteidigen müssen, schreibt sie und zeigt dabei einen erstaunlichen – oder erschreckenden - Rigorismus.
"Sophie Scholl war keine Pazifistin, sondern eine radikale, auch gewaltbereite Kämpferin. Ihre Überzeugung, ideelle Werte müssten ‚bis zum letzten Schuß‘ verteidigt werden, erinnert sehr an Hitlers Durchhaltebefehl an die in Stalingrad eingeschlossenen Männer: ‚Verbiete Kapitulation. Die Armee hält ihre Position bis zum letzten Soldaten und zur letzten Patrone und leistet durch ihr heldenhaftes Aushalten einen unvergesslichen Beitrag zur Rettung des Abendlandes.‘"
Dem Gewissen folgen
Wann und warum aber löste sich Sophie Scholl schließlich vom Nationalsozialismus? Zoske ist ehrlich genug, auf eine letztgültige Antwort zu verzichten, doch seine Begründungen wirken einleuchtend. Es war ein schrittweiser Prozess, der mit der wachsenden Gewalt des Regimes zu tun hatte und mit seiner Forderung nach Konformität und Gehorsam. Denn das bedeutete für Sophie Scholl etwas, was sie nicht ertragen konnte.
"Freiheitsbeschränkung. Darin spiegelt sich ihr höchst ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus, das sich von glühendem Fanatismus über eine langsame Ernüchterung zu erbittert-verzweifelter Gegnerschaft 1942 wandelte."
Als sie im Sommer ´42 von den Flugblattaktionen der Weißen Rose um ihren Bruders Hans hörte, zögerte sie nicht lange und schloss sich der Widerstandsgruppe an. Sie habe sich schuldig gefühlt, führt Robert Zoske aus.
"Für den Gesamterfolg des Nationalsozialismus konnte man sie nur marginal mitverantwortlich machen. Aber Schuld ist relativ, und im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatte sie jahrelang tatkräftig zur emotionalen Akzeptanz des Regimes beigetragen. Hinzu kam jetzt: Wer noch im Herbst 1942 angesichts eines millionenfachen Mordens tatenlos wegschaute, akzeptierte Unrecht, verstrickte sich – so sah es Sophie – Tag für Tag in Schuld."
Der Rest ist bekannt: Am 18. Februar 1943 werden Hans und Sophie Scholl beim Abwerfen von Flugblättern in der Universität München verhaftet, vier Tage später hingerichtet. "Ich bereue meine Handlungsweise nicht", sagte Sophie Scholl am Ende der Vernehmung. Der Mut ihrer Tat wird nicht kleiner, nur weil sie das Regime zuvor lange unterstützt hat.
Robert M. Zoske: "Sophie Scholl. Es reut mich nichts. Porträt einer Widerständigen"
Propyläen Verlag, 448 Seiten, 24 Euro.
Propyläen Verlag, 448 Seiten, 24 Euro.