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Sorge vor Spionage
Konflikte beim wissenschaftlichen Austausch mit China

Dem US-Forscher Charles Lieber von der Harvard-Universität wird vorgeworfen, von China gekauft worden zu sein. Er hatte Fördergelder aus China erhalten, dies aber gegenüber seinem Arbeitgeber und US-Behörden verschwiegen. Die Sorge vor Spionage wächst – nicht nur in den USA.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Ralf Krauter |
Ein mit Mund- und Kopfschutz verhüllter Wissenschaftler bringt mit einer Pipette Flüssigkeit in eine Petrischale. Das geschieht unter dem Objekt einer Kamera.
In Deutschland ist die Debatte über mögliche Risiken durch illegalen Wissenstransfer nach China bislang verhalten (picture alliance / dpa / AP / Mark Schiefelbein)
Charles Lieber wurde angeklagt, gegenüber dem Verteidigungsministerium und dem FBI die Unwahrheit über sein Engagement im chinesischen "1.000 Talente-Programm" gesagt zu haben. Für sein Engagement soll er hohe Geldsummen erhalten haben. Auch seiner Universität, der Harvard University, und den National Institutes of Health (NIH) gegenüber, soll er seine Verflechtungen mit diesem Programm und der Wuhan University of Technology verschwiegen beziehungsweise darüber gelogen haben.
Ohne Wissen von Harvard soll er sich bereiterklärt haben, an der Wuhan University of Technology ein Forschungslabor zu leiten und chinesische Studenten für zweimonatige Praktika in sein US-Labor zu holen. Für seine Aktivitäten soll er sehr große Geldsummen erhalten haben.

Ralf Krauter: Charles Lieber ist ein renommierter Nanowissenschaftler. Woran genau arbeitet er?
Dagmar Röhrlich: Er hat spezielle Fertigungsmethoden für Nanomaterialien entwickelt. Bei seinen US-Forschungen geht es um den Einsatz dieser Nanomaterialien in Medizin und Biologie – etwa als Sensoren. Diese feinsten Drähte sollen von anderen Laboratorien auch in der Entwicklung von Batterien eingesetzt werden – und genau das soll das Forschungsfeld sein, dass Charles Lieber in China verfolgt – was allerdings seine Freunde und Kollegen sehr erstaunt und was sie bezweifeln.
Förderung gegenüber US-Behörden nicht offengelegt
Krauter: Nach allem, was bekannt ist, hat Charles Lieber größere Summen aus China erhalten, die er seinem Arbeitgeber und US-Fördermittelgebern gegenüber verheimlicht hat. Aber er ist nicht der erste, dem vorgeworfen wird, von den Chinesen gekauft worden zu sein, oder?
Max-Planck-Direktor: "Meine Forschung wurde zerstört, ich war verzweifelt."
Seit Videos von Versuchsaffen aus dem Labor von Nikos Logothetis veröffentlicht wurden, kämpft der Hirnforscher am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik um seinen Ruf. Nun hat Logothetis angekündigt, künftig in China zu forschen. In Deutschland fehlt ihm die Rückendeckung für seine Arbeit.

Röhrlich: Nein. 2018 bereits hat der US-Generalbundesanwalt ein Programm gestartet, mit dem der Wissenstransfer nach China unterbrochen werden soll. Ein ehemaliger Los-Alamos-Wissenschaftler hat sich vor kurzem schuldig bekannt, der US-Regierung gegenüber falsche Angaben gemacht zu haben. Und auch am Moffitt Cancer Centrum in Tampa mussten sechs Wissenschaftler gehen, weil auch sie ihre Beteiligung am "1.000 Talente-Programm" verschwiegen zu haben.
Außerdem wurden bereits zwei chinesische Studenten unabhängig voneinander verhaftet, weil sie Forschungsdaten aus dem Land geschmuggelt haben sollen. In den USA, so die Vermutung, wird es demnächst noch mehr Anklagen und Verhaftungen von Wissenschaftlern wegen ihrer Chinakontakte geben.
Krauter: Hat diese Überprüfung der Kontakte, die Wissenschaftler in den USA mit China haben, eventuell auch politische Hintergründe? Also ist die Wissenschaft quasi ein neues Schlachtfeld, auf dem das Weiße Haus und die Führung in Peking ihren Streit um die globale Vormachtstellung austragen?
Röhrlich: Das spielt mit Sicherheit eine große Rolle – nur ist das Problem auch real, ebenso real wie die Tatsache, dass natürlich keineswegs jeder chinesische Wissenschaftler ein Spion ist und jede Kooperation des Teufels. Es ist ein sehr schwieriges Feld, für das das Bewusstsein erst noch entwickelt werden muss.
Von chinesischer Seite aus fließt viel Geld – für Projekte, Institute, Personen – und es geht um spannende Forschungen mit sehr guten Wissenschaftlern – und das ist ein großer Anreiz für Kooperationen.
Initiative soll Transfer von US-Wissen nach China eindämmen
Ralf Krauter: Wie reagieren die US-Hochschulen auf die Entwicklung?
Röhrlich: 133.000 chinesische Doktoranden sollen an US-Universitäten arbeiten – dreimal mehr als vor 20 Jahren. Doch diese Zeit der Freizügigkeit könnte sich jetzt dem Ende zuneigen. Die Colleges und Universitäten verstärken ihre Bemühungen, die Fakultäten über potenzielle Bedrohungen aufzuklären. Sie verstärken auch ihre Bemühungen zur Überwachung von Auslandsreisen und Finanzierungsquellen, aber auch die Überwachung von externen Verpflichtungen, einschließlich Teilzeit-Beschäftigungen in Übersee.
Krauter: Gibt es diese Bestrebungen, wissenschaftliche Kooperationen mit China genauer auf den Prüfstand zu stellen, nur in den USA oder auch anderswo?
Röhrlich: Diese Sorgen, ausspioniert zu werden, teilen anscheinend alle westlichen Forschungseinrichtungen. In Großbritannien spülen mehr als 100.000 chinesische Studenten mehrere Milliarden Pfund pro Jahr in die Universitätskassen und sind deshalb sehr willkommen. Besonders beliebt sind die großen technik- und naturwissenschaftlichen Fakultäten.
Die Geheimdienste fürchten, dass unter den Gastforschern auch solche sind, die Verbindungen zum chinesischen Militär und zum Verteidigungsministerium Chinas haben. Ein australischer Thinktank erklärt, dass britische, aber auch andere westliche Universitätsforschungseinrichtungen, mit chinesischen Rüstungsfirmen zusammenarbeiten - und diese Rüstungsfirmen sollen an der Entwicklung von Hyperschall-Raketen beteiligt sein. Die gelten im Arsenal der Militärs ja als eine Art neue Wunderwaffe, weil sie so schnell fliegen, dass sie nicht aufzuhalten sind.
Bundesregierung bestätigt Einflußnahme Chinas auf deutsche Forscher
Krauter: Wie sieht die Lage in Deutschland aus?
Röhrlich: In Deutschland ist die Debatte über mögliche Risiken durch illegalen Wissenstransfer nach China bislang verhalten. Es könnte aber durchaus sein, dass die Gefahr unterschätzt wird. Peking soll gezielt ganze Teams von Nachwuchsforschern nach Deutschland schicken – auch hier vor allem in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern.
Auf eine Kleine Anfrage der Grünen antwortete die Regierung, dass sich die Durchsetzung der Parteilinie auch im Bereich der Wissenschaftsfreiheit seit 2015 verschärft habe: "Die Kommunistische Partei Chinas und die Sicherheitsorgane wachen darüber, dass wissenschaftliche Publikationen und Äußerungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit der offiziellen Linie des 'Sozialismus chinesischer Prägung in der Neuen Ära' in Übereinstimmung stehen."
Röhrlich: Des Weiteren heißt es, dass der Bundesregierung Erkenntnisse vorliegen, nach denen chinesische Behörden sowohl chinesische Studierende und Wissenschaftler in Deutschland, als auch deutsche Forscher in China wiederholt versucht hat zu beeinflussen. Aber in der Antwort steht auch: In den meisten chinesisch-deutschen Bildungs- und Wissenschaftskooperationen werden aus Sicht der Bundesregierung die Freiheit der Wissenschaft und gute wissenschaftliche Praxis eingehalten.
Kabel an einem Breitbandanschluss.
Forschungsstandort Deutschland: Einseitiger Informationsfluss nach China
Deutschland leidet unter Wissensabfluss, so die Analyse der Expertenkommission Forschung und Innovation. Ihr Vorsitzender Uwe Cantner sagte im Dlf, neben dem Mangel an Cybersicherheits-Fachleuten bestehe im Wissensaustausch auch ein einseitiger Informationsfluss nach China.
China-Kompetenz-Center soll deutsche Forscher bei Kooperationen beraten
Krauter: Sind sich deutsche Forscher und Universitäten des Problems nicht so recht bewusst?
Röhrlich: Nach Einschätzung von diversen internationalen, aber auch nationalen Think-Tanks soll in Deutschland eine gewisse Naivität herrschen mit Blick auf die in China starke Verzahnung von Forschung und Militär, auch die Problematik der Wirtschaftsspionage sei nicht hinreichend im Bewusstsein.
So wollte ein Großforschungszentrum eine Kooperation mit einer chinesischen Akademie eingehen, an der auch Atomwaffen entwickelt werden. Die Forschungsziele sollten zwar rein ziviler Natur sein, doch nach Rücksprache mit dem BMBF unterblieb das Projekt aufgrund von Sicherheitsbedenken.
Andere Wissenschaftler arbeiten im Bereich der Grundlagenforschung mit chinesischen Kollegen zusammen. Und auch wenn keiner der Beteiligten Kontakte zum Militär unterhält, so lässt sich die militärische Verwendung der Ergebnisse nicht ausschließen – vor allem, wenn sich China diese Forschung viel Geld kosten lässt. Es ist ein sehr schwieriges Feld.
Krauter: Was soll denn geschehen?
Röhrlich: Die Expertenkommission Forschung und Innovation EFI hat der Bundesregierung in ihrem jüngsten Gutachten geraten, ein zentrales "China-Kompetenz-Center" einzurichten. Das sollte deutsche Wissenschaftler beraten, die mit chinesischen Kollegen zusammenarbeiten wollen: Vielen sei nicht klar, dass Wissenschaft in China einem direkten Regierungseinfluss unterliege. BMWi, BMBF und Auswärtiges Amt beraten darüber. Denn China macht in vielen Bereichen Spitzenforschung – und an Kooperationen führt wohl kein Weg vorbei. Doch diese Kooperationen müssen gut durchdacht und bewusst gewählt werden. Und da gilt es jetzt Knowhow aufzubauen.