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Sorgerecht-Gutachten
Schwierige Frage nach dem Besten fürs Kind

Am Familiengericht wird auch darüber entschieden, wie und ob das Sorgerecht für ein Kind bei den Eltern bleibt. Urteile stützen sich dabei häufig auf Gutachten - deren Qualität ist aber immer stärker in der Kritik. Nun wird die Politik aktiv und will Standards definieren.

Von Annette Wilmes |
    Eine junge Mutter steht mit gepackter Reisetasche an der offenen Wohnungstür. Sie verlässt ihre Familie.
    Sorgerechtsfragen sind sehr emotional und konfliktträchtig: Die Qualität von Gutachten ist aber in die Kritik geraten. (imago / Paul von Stroheim)
    Es sind oft die drastischen Einzelfälle, die die Öffentlichkeit aufschrecken. So wie die Geschichte eines Mannes aus Ghana, der als Flüchtling in Deutschland lebt. Im Februar 2013 beantragt der Mann das alleinige Sorgerecht für sein neugeborenes Kind, weil die Mutter sich wegen einer psychischen Erkrankung nicht darum kümmern kann. Doch dem Vater wird das Kind weggenommen: Das Amtsgericht und dann auch - in zweiter Instanz - das Oberlandesgericht stützen ihre Entscheidungen auf ein Gutachten, das dem Mann unterstellt, er bevorzuge - Zitat - "afrikanische Erziehungsmethoden", die autoritär und gewaltsam seien und die Kinder unterwürfen.
    Doch der Mann kämpft weiter um sein Kind und legt Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht stellt im November 2014 klar, dass das Gutachten erhebliche Mängel aufweist und kritisiert vor allem die Voreingenommenheit der Gutachterin. Die Gerichtsbeschlüsse verstießen gegen das Elterngrundrecht. Die Verfassungsrichter heben den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und verweisen die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurück. Beispiele wie dieses haben Gutachten in Familiengerichtsverfahren in Verruf gebracht:
    "Das ist ein Thema, was belegt ist mit Sorge, teilweise Angst, würde ich fast sagen. Teilweise aber auch erheblichen Fehlvorstellungen, die durch irgendwelche spektakulären Fälle, die dann durch die Presse oder durch irgendwelche Blogs oder so geistern, belegt werden. Dann sind die Leute verunsichert."
    Marcus Borgolte, Fachanwalt für Familienrecht in Berlin, spricht über die Sachverständigen im Familienrecht. Die sind tatsächlich ins Gerede gekommen. Immer wieder wird über Kinder berichtet, die aus den Familien gerissen wurden, weil die Gutachter das empfahlen, auf der Basis nachweislich voreingenommener, falscher Gutachten.
    Prozessakten liegen auf dem Boden.
    Prozessakten: Verfahren an Familiengerichten können sehr aufwendig sein. (Volker Hartmann, dpa)
    Ein Sachverständigengutachten wird vom Familiengericht immer dann eingeholt, wenn es bestimmte Fragen nicht selbst klären kann. Wenn zum Beispiel ein Kind den Umgang mit einem Elternteil verweigert oder wenn ein Elternteil dem anderen verbieten will, das gemeinsame Kind zu sehen, ist psychologischer Sachverstand gefragt. Auch, wenn das Jugendamt befürchtet, dass Eltern ihr Kind vernachlässigen oder sogar misshandeln, können Gutachten hilfreich sein. Der Sachverständige muss im Umgang mit den Beteiligten seine unabhängige, neutrale Rolle in jedem Fall wahren. Er ist Helfer des Gerichts, die Entscheidung aber treffen die Richter:
    "Es ist natürlich verheerend, wenn man mit bestimmten Voreinstellungen in eine Begutachtung hineingeht und das dann auch noch zur Grundlage der eigenen Bewertung macht."
    Eginhard Walter arbeitet selbst als Gutachter für Familiengerichte. Der promovierte Psychologe legt an seine eigene Arbeit und die seiner Kolleginnen und Kollegen strenge Maßstäbe.
    "Es gilt der Grundsatz der Unvoreingenommenheit. Überhaupt die ethischen Grundprinzipien sind aus meiner Sicht sehr, sehr wichtig und bieten also erst mal eine gute Grundlage, um mit den Beteiligten, die ja doch in hohem Maße von einem abhängig sind und von der Entscheidung dann, fair und angemessen zu arbeiten."
    Der Fall des ghanaischen Flüchtlings hätte niemals passieren dürfen, meint Eginhard Walter:
    "Es war völlig überzogen, was dort beschrieben wurde. Aber auch in anderen Bereichen. Man muss sich halt frei davon machen, bestimmte Erziehungsvorstellungen als richtig anzusehen und andere als falsch. Es gibt eine große Spannweite von Erziehungsvielfalt in Deutschland, die auch das Grundgesetz zulässt. Und das ist auch zu tolerieren. Nur, wenn es aus diesem Rahmen herausfällt, dann ist sicherlich, ist sicherlich zu diskutieren, ob Eingriffe in irgendeiner Form gerechtfertigt sind."
    Bereits im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD Ende November 2013 ihren Willen geäußert, die Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger zu gewährleisten und in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich zu verbessern.
    Referentenentwurf im September
    Ein entsprechender Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz soll noch im September dem Kabinett vorgelegt werden. Demnach sollen nur noch Sachverständige mit einer geeigneten psychologischen, psychotherapeutischen, psychiatrischen, medizinischen, pädagogischen oder sozialpädagogischen Berufsqualifikation Gutachten erstellen. Bislang durften die Familiengerichte im Grunde jeden berufen. Außerdem wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe eingerichtet:
    "In der vom Ministerium initiierten Gruppe sind alle beteiligten Berufsgruppen vertreten, so auch die Richterschaft, die medizinischen Professionen, Psychologen, Psychotherapeuten, die Anwälte sowohl vom Deutschen Anwaltverein als auch der Bundesrechtsanwaltskammer, also alle, die im Verfahren beteiligt sind."
    Das Bundesjustizministerium in Berlin
    Das Bundesjustizministerium plant einen Referentenentwurf im September. (dpa / picture-alliance / Tobias Kleinschmidt)
    Eva Becker, Fachanwältin für Familienrecht in Berlin, vertritt in dieser Arbeitsgruppe den Deutschen Anwaltverein. Die Gruppe will nach ihrer letzten Sitzung Mitte September Ergebnisse präsentieren:
    "Die Arbeitsgruppe läuft parallel zu diesem Referentenentwurf und hat inhaltlich ein ganz anderes Ziel, weil sie sich nicht mit einer gesetzlichen Formulierung befasst, sondern mit einem Kriterienkatalog, der, wie es im Familienrecht ja schon die Düsseldorfer Tabelle gibt, die hat ja auch keinen Gesetzesrang, sondern ist schlicht und ergreifend eine Leitlinie, an die man sich bundesweit allerdings auch hält. Und so etwas schwebt dieser Arbeitsgruppe vor, diesen Kriterienkatalog bundesweit zu einem Standardwerk zu machen, an das sich die Gerichte, die Anwälte und alle übrigen am Verfahren Beteiligten dann halten werden."
    Die Düsseldorfer Tabelle gehört zum Handwerkszeug der Familienrechtler, sie dient als Maßstab zur Berechnung des Unterhalts. Bei den Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen geht es um das Sorge- und Umgangsrecht. Auf diesem sensiblen Gebiet nun ebenfalls verbindliche Standards zu etablieren, könnte hilfreich sein, um immer wiederkehrende Mängel künftig zu vermeiden. Rechtsanwältin Eva Becker nennt Beispiele für Fehler in Gutachten:
    "Sachverständigengutachten können einen Mangel an Transparenz haben, die können fachlichen Anforderungen nicht im Mindesten entsprechen, sie haben nur Textbausteine, die Sie dort vorfinden, die sich mit dem konkreten Fall nicht befassen. Der Sachverständige erklärt nicht, wann er wo wen gesehen hat, sondern beschreibt nur, dass er dreimal mit der Mutter oder dem Vater gesprochen hat. Man kann den Kontext nicht erkennen."
    Studie zeigt mangelbehaftete Gutachten
    Die Kritik an den Sachverständigen, aber auch an den Familiengerichten, ist teilweise massiv. So seien mitunter fachunkundige Personen wie Hebammen oder Heilpraktiker beauftragt worden, entsprechend unprofessionell seien die Gutachten ausgefallen. Die Anwälte hätten zu spät oder gar nicht auf Mängel reagiert. Hinzu kamen Reportagen in den Medien über drastische Einzelfälle. Im Sommer 2014 schien die geballte Kritik durch eine wissenschaftliche Studie der Fernuniversität Hagen bestätigt zu werden. Die Forscher hatten "Qualitätsmerkmale in der familienpsychologischen Begutachtung" untersucht, in 116 Gutachten aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Hamm. Ein hoher Prozentsatz der untersuchten Gutachten enthalte "erhebliche handwerkliche Fehler", stellten die Wissenschaftler fest.
    Der Campus der Fernuniversität Hagen (Nordrhein-Westfalen)
    Campus der Fernuniversität Hagen: Eine Studie sorgt für Kritik. (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Inzwischen ist die Hagener Studie aber selbst in die Kritik geraten. Die Forscher wollten mit einer repräsentativen Stichprobe feststellen, ob und inwieweit familienrechtspsychologische Gutachten wissenschaftlich formulierten Mindestanforderungen genügen. Dass aber von 38 angefragten Gerichten sich lediglich vier an der Untersuchung beteiligten, lässt Zweifel daran aufkommen, ob die Stichprobe überhaupt repräsentativ ist. Auch wurde gar nicht die inhaltliche Qualität der Gutachten untersucht, sondern lediglich das methodische Vorgehen. Auch dass die Studie nicht zwischen Umgangsrecht, Sorgerecht oder Kindeswohlgefährdung unterschied, bot Anlass zur Kritik. Anja Kannegießer, ebenfalls in der Arbeitsgruppe des Justizministeriums aktiv, kann der Studie trotzdem etwas Positives abgewinnen.
    "Diese Studie ist sicherlich methodisch auch umstritten, aber hat noch mal den Fokus auf einen Bereich gelegt, wo es lohnenswert ist, hinzuschauen und Verbesserungen herbeizuführen."
    Die Diplompsychologin und promovierte Juristin aus Münster arbeitet als Sachverständige in Familiengerichtsverfahren. Sie hält es für wichtig, dass die Sachverständigen auch juristisch ausgebildet sind. Eine Weiterbildung in Rechtspsychologie könne hilfreich sein:
    "Ich muss natürlich als Gutachter wissen, in welchem rechtlichen Bereich ich mich bewege. Also, das heißt, ich muss auch wissen zum Beispiel, welche Hilfsmaßnahmen ich nach Gesetz überhaupt empfehlen oder anraten kann. Oder auch, welche rechtlichen Möglichkeiten hat das Gericht überhaupt dann später in seiner Entscheidung. Also beispielsweise kann ich keinen unbefristeten Umgangsausschluss empfehlen, weil es so was rechtlich einfach nicht geben darf."
    Gravierender Grundrechtseingriff
    Denn wenn ein Elternteil vom Umgang mit dem Kind ausgeschlossen wird, ist das ein gravierender Grundrechtseingriff, der regelmäßig kontrolliert und überprüft werden muss. Anja Kannegießer warnt in diesem Zusammenhang davor, ein Gutachten, das womöglich inhaltlich und auf den Fall bezogen völlig korrekt sein kann, aus rein formalen Erwägungen abzulehnen.
    "Auch ist es ja oft so, dass eine der Parteien sich ungerecht behandelt fühlt oder mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. Und da darf man natürlich auch nicht dahin kommen, dass Standards, die man entwickelt hat, dazu benutzt werden, einfach um ein sachlich richtiges, inhaltlich richtiges Gutachten auszuhebeln und vermeintliche Mängel vorzuschieben. Und da ist manchmal eine Gratwanderung auch, die man beachten muss."
    Eine Gratwanderung vor allem für das Gericht. Denn ein Richter entscheidet in einem Verfahren darüber, ob ein Gutachten verwertbar ist oder nicht.
    Am Halleschen Ufer in Berlin-Kreuzberg, direkt an der Hochbahn, hat das Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg seinen Sitz, das größte Familiengericht Deutschlands. Es ist für zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger mehrerer Stadtbezirke Berlins zuständig. Etwa 50 Richterinnen und Richter arbeiten dort.
    Das Familiengericht ist seit 1995 in einem Neubau untergebracht. Es hat 22 Gerichtssäle, die unterschiedlich ausgestattet sind. Viele sind freundlich eingerichtet, die Beteiligten sitzen sich gegenüber oder im Karree, Pflanzen mildern die strenge Atmosphäre. Christiane Abel ist Familienrichterin und Vizepräsidentin des Amtsgerichts.
    "Wir holen dann Gutachten ein, wenn sich im Verfahren Fragen stellen, die man mit Alltagswissen, auch psychologischem Alltagswissen, nicht beantworten kann. Das ist besonders dann erforderlich, wenn die Bindungen der Kinder zu den Erwachsenen geprüft werden sollen, wenn geschaut werden muss, welche Ressourcen sind hier da. Es ist ja auch ein ganz starker Eingriff, den das Gericht vornimmt, wenn es die Sorge entzieht. Und da kann es nicht aus dem Handgelenk Entscheidungen treffen oder aus der eigenen Erfahrung heraus, sondern muss in schwierigeren Fällen, komplexeren, streitigen Fällen eben Sachverständige fragen."
    Viele Verfahren benötigen gar kein Gutachten
    In schwierigen, komplexen und streitigen Fällen. Das sind längst nicht alle. Viele Verfahren lassen sich auch, wenn sie vor Gericht gelandet sind, einvernehmlich regeln. Darauf wollen und sollen die Familienrichterinnen und -richter hinarbeiten, gemeinsam mit den anderen Verfahrensbeteiligten. Und gleichgültig, ob eine gemeinsame Lösung gesucht oder ob heftig gestritten wird, für Christiane Abel ist das Kind der wichtigste Mensch im Verfahren. Um sein Wohl muss es gehen, nicht darum, ob die Mutter oder der Vater recht behält oder keiner von beiden, weil das Jugendamt das Kind aus der Familie herausnehmen will.
    "Es ist natürlich so, dass die kindschaftsrechtlichen Verfahren ein hohes Maß an interdisziplinärem Austausch erfordern. Der findet auch schon in den Verhandlungen statt, in denen die Richter mit den Jugendamtsmitarbeitern, den Eltern, den Rechtsanwälten, den Verfahrensbeiständen und den Sachverständigen zusammensitzen. Da finden praktisch kleine Konferenzen statt, in denen der Fall beleuchtet wird. Und im Rahmen dieser Verhandlung müssen die richtigen Fragen gestellt werden. Und es wird gemeinsam an einer Lösung gearbeitet und jeder Verfahrensbeteiligte hat eine bestimmte Rolle zu erfüllen."
    Die Richter kommen in den Raum und nehmen ihre Plätze ein.
    Das Bundesverfassungsgericht kippte den Sorgerechtsentzug für einen Mann aus Ghana aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens. (dpa / picture alliance / Uli Deck)
    Und was passiert, wenn das Kind doch aus dem Blick gerät? Kann so eine Situation vermieden werden?
    "Man hört das Kind an, auch die Jugendamtsmitarbeiter sprechen mit dem Kind und können die Perspektive des Kindes von außen in das Verfahren hineinbringen und auf die Art und Weise den Eltern vor Augen führen. So gab es zum Beispiel mal ein Kind, das tatsächlich das Bild selber gebracht hat, das war, glaube ich, erst sechs Jahre alt. Und hat gesagt, es komme sich vor, als sei es eine Puppe, an der beide Eltern ziehen. Und wenn das die Eltern hören, hofft man als Gericht und auch im Übrigen, dass sie dann erkennen, wie schlecht es dem Kind geht. Und sich darauf besinnen, dass sie ihr Kind unterstützen müssen."
    In die Kritik waren die Richterinnen und Richter auch geraten, weil sie mitunter ungeeignete und schlecht oder gar nicht qualifizierte Gutachter beauftragt haben sollen. In Berlin, meint Richterin Christiane Abel, sei das aber nicht der Fall:
    "Wir haben hier eine große Auswahl an Sachverständigen. Die Stadt selber ist sehr groß und sehr attraktiv und dadurch leben hier und arbeiten hier sehr viele Psychologen, die auch untereinander vernetzt sind. Und dadurch eben auch noch mal die Qualität ihrer Arbeit erhöhen."
    Gutachtersuche in der Provinz schwieriger
    In der Provinz, in den Amtsgerichten auf dem Land, sieht das ganz anders aus. Zum Beispiel in Brake in Niedersachsen. Brigitte Meyer-Wehage ist dort Amtsgerichtsdirektorin:
    "Wir haben im Jahr so, das differiert mal, circa 500 Familiensachen. Davon sind sicherlich doch ein sehr hoher Anteil Sorge- und Umgangsverfahren. Also man kann nicht nur sagen, Scheidung, das ist zwar auch ein hoher Anteil, aber die Sorge- und Umgangsstreitigkeiten nehmen zweifelsfrei zu."
    500 Familiensachen im Jahr, zum Vergleich: Am Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg sind es etwa 20.000 Neuzugänge jährlich. In Brake müssen vier Vollzeitrichter und eine Richterin auf einer halben Stelle alle Amtsgerichtssachen erledigen:
    "Wir bearbeiten natürlich neben Familienrecht alles, was an den Amtsgerichten angesiedelt ist. Das heißt also, Strafrecht, Zivilrecht, Betreuungsrecht, das nimmt durchaus auch zu. Und ja gelegentlich habe ich dann auch, eines der wenigen Gerichte mit einem Schiffsregister."
    Auf dem Land, sagt Brigitte Meyer-Wehage, sei es ungleich schwerer, einen Sachverständigen zu finden als in der Großstadt. Da ist es fast ein Glück, dass sie nicht allzu häufig auf ein Gutachten angewiesen ist:
    "Ich habe mal so nachgedacht, wie viele Gutachten ich beauftragt habe, ich bin jetzt zehn Jahre als Familienrichterin tätig. Also ich würde sagen, circa zehn Prozent der Fallkonstellationen, aber auch nicht mehr."
    Fortbildungen gefordert
    Amtsgerichtsdirektorin Brigitte Meyer-Wehage ist auch im Deutschen Juristinnenbund aktiv. Sie ist dort Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften. Grundsätzlich begrüßt sie das Anliegen, die Regelungen für Sachverständigengutachten zu ergänzen und zu konkretisieren. Noch wichtiger findet sie aber Fortbildungen für die zuständigen Richterinnen und Richter, damit etwaige Fehler nicht nur erkannt, sondern schon bei der Bestellung und bei der Formulierung der Beweisfragen vermieden werden. Diese Anregung gelte für alle am Verfahren Beteiligten, insbesondere die Anwaltschaft. Die mitunter harsche Kritik an den Familiengerichten, Sachverständigen und Anwälten hält sie jedoch nicht in allen Fällen für gerechtfertigt:
    "Es macht sich niemand von uns leicht, Kinder zum Beispiel aus Familien herauszugeben oder Entscheidungen zu treffen, die ja für das Kind von immenser Bedeutung sind. Und das machen wir uns jeden Tag und jede Stunde klar. Das ist mir wichtig, das vielleicht auch noch rauszustellen, dass keiner da verantwortungslos handelt. Das will ich aber auch für alle Professionen so verstanden wissen. Ich habe auch noch nicht leichtfertige Sachverständige erlebt. Dass es manchmal schwierig ist, Sachverständige zu bekommen, die nicht gerade ausgelastet sind, das ist mir bewusst. Aber dass da nicht verantwortungsvoll gehandelt wird, das kann ich so nicht feststellen."
    Ähnlich beurteilt das Marcus Borgolte aus der Sicht des Rechtsanwalts. Die Situation vor dem Familiengericht, sagt der Fachanwalt, sei mitunter emotional aufgeladen:
    "Die wenigsten sind erfreut und sagen, hurra, jetzt haben wir mal ein Gutachten, da steht alles drin. Die Situation ist für viele Leute belastend, weil sie auch befürchten, wenn ich dort einen schlechten Eindruck mache, dann kann das ganz übel für mich enden. Sie meinen, dass der Gutachter letztlich fast das Verfahren entscheidet, was natürlich nicht richtig ist, denn der Richter entscheidet. Wenn die Gutachten kommen, regen sich viele Leute eigentlich auch fast unabhängig von der Empfehlung doch immer darüber auf, dass etwas über sie drinsteht, was ihnen nicht gefällt."
    Und genau das muss man unterscheiden: Ob ein Gutachten nicht gefällt oder ob es tatsächlich mangelhaft ist. Auch wenn es die drastischen Einzelfälle sind, die in den Medien für Aufruhr sorgen: Fehlerhafte Gutachten sind sicher die Ausnahme. Doch für das Schicksal einer Familie und vor allem für die Kinder können sie fatale Folgen haben.