Christine Heuer: Dürfen staatliche Stellen in Deutschland Sterbewilligen Medikamente aushändigen, mit denen sie Selbstmord begehen können? Mit dieser heiklen und schwierigen Frage haben sich die Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auseinandersetzen müssen. Es ging um einen konkreten Fall: die Klage eines Deutschen, dessen inzwischen durch Suizid in der Schweiz verstorbener schwer kranker Frau das Bundesinstitut für Arzneimittel ein tödliches Medikament verweigert hatte. Die Richter gaben dem Witwer heute recht, sie bezogen sich in ihrem Urteil jedoch ausschließlich auf Verfahrensfragen.
Am Telefon begrüße ich jetzt Michael de Ridder, er ist Internist und Palliativmediziner in Berlin und er hat das Buch "Wie wollen wir sterben?" geschrieben. Guten Tag, Herr de Ridder.
Michael de Ridder: Schönen guten Tag.
Heuer: Die Richter in Straßburg haben sich in der Sache nicht festlegen wollen, zu diesem Eindruck kann man immerhin kommen. Wie beurteilen Sie das Straßburger Urteil?
de Ridder: Das Straßburger Urteil ist so gefasst, dass inhaltlich überhaupt keine Stellung bezogen wurde. Das heißt, an der deutschen Vorgehensweise, dass nämlich Medikamente zum Zwecke der Selbsttötung nicht verschrieben werden dürfen – und das war ja das Ansinnen der Frau beziehungsweise des Ehemannes -, daran ändert sich nichts. Wichtig an diesem Urteil ist, dass wir aufgefordert sind, über Sterbehilfe, über Lebensende-Medizin und die Möglichkeiten genauer nachzudenken und hier eine bessere Regelung zu treffen, denn wir haben eine ausgesprochen verworrene Lage. Juristisch gesehen, strafrechtlich gesehen ist es so, dass der assistierte Suizid, über den wir ja hier reden, strafrechtlich frei ist. Der Suizid ist nicht sanktioniert und auch die Assistenz zum Suizid ist nicht sanktioniert. Darüber hinaus ist aber berufsrechtlich gesehen seit dem Kieler Ärztetag im letzten Jahr es der Ärzteschaft verboten – die Bundesärztekammer hat mit Mehrheit so entschieden beziehungsweise die Delegierten. Und wir haben auf der dritten Seite dann ein Arzneimittelrecht, was der Möglichkeit der Suizidassistenz einen Riegel insofern vorschiebt, als eben Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung nicht verschrieben werden dürfen.
Heuer: Aber, Herr de Ridder, heißt das unterm Strich, die Möglichkeiten reichen aus Ihrer Sicht nicht aus?
de Ridder: Was zunächst einmal nicht ausreicht, ist die Palliativmedizin und ihre Möglichkeiten, die in Deutschland immer noch nicht, bei weitem noch nicht dem Bedarf entsprechen. Und ich möchte etwas zu diesem konkreten Fall sagen, um den es heute in Straßburg ging. Es war nämlich so: Es handelt sich um eine beatmete Patientin, die einen hohen Querschnitt hatte, und eine solche Patientin, ein solcher Patient kann zu jedem Zeitpunkt seiner Behandlung einfordern, dass die Behandlung abgebrochen wird. Jede Behandlung in Deutschland braucht – und das nicht erst seit vorgestern, sondern seit über 100 Jahren – zwei grundsätzliche Voraussetzungen: erstens eine ärztliche Indikation und zweitens eine Zustimmung des Patienten. Wenn der Patient nicht zustimmt, dann muss die Behandlung abgebrochen werden. Das heißt, die Frau hätte palliativ sediert werden können und müssen und hätte dann hier legal und menschlich und friedlich sterben können und hätte nicht in die Schweiz fahren müssen.
Heuer: Also die Betroffenen haben sich aus Ihrer Sicht in diesem Fall eigentlich nicht richtig verhalten. – Eine andere Frage, die sich stellt, wenn wir über Sterbehilfe sprechen – und die Debatte, hebt mit diesem Urteil mit Sicherheit ja wieder an - ist die: Braucht ein Mensch, der erklärt, sterben zu wollen, nicht eher psychologische Hilfe als ein tödliches Medikament?
de Ridder: Was heißt "eher"? Natürlich müssen alle Register am Lebensende der Palliativmedizin gezogen werden. Der Patient muss jede Hilfe bekommen, die ihm ein natürliches Sterben und ein schmerzfreies, angstfreies, friedliches Lebensende ermöglicht. Aber es gibt Situationen, in denen entweder, weil die palliativmedizinischen Möglichkeiten nicht ausreichen – und das sind nur wenige, das sei ausdrücklich betont, wenige Situationen -, oder es gibt Situationen, in denen ein Patient ausdrücklich darauf besteht, den Zeitpunkt seines Lebensendes bei einer inkurablen Erkrankung selbst festzulegen, und das muss man akzeptieren, weil zu palliativmedizinischen Vorgehensweisen kann natürlich auch niemand genötigt werden, sie anzunehmen.
Heuer: Aber wenn tödliche Medikamente ausgehändigt werden dürfen, wenn Ärzte behilflich sein dürfen beim Suizid, steigt da nicht auch die Gefahr des Missbrauchs massiv an?
de Ridder: Das sehe ich nicht, das kann ich nicht erkennen, denn ein Mensch, der ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Arzt hat und der Arzt zu ihm, wird einem Menschen, der ihn darum bittet, in einer möglicherweise sehr schweren Stunde ihm auf diese Weise zu helfen, in einer solchen Situation sehe ich nicht, dass hier zunächst mal Missbrauch möglich ist.
Heuer: Und wenn die Angehörigen bitten, weil der Patient selber dazu nicht mehr in der Lage ist?
de Ridder: Dazu haben die Angehörigen gar kein Recht, das können sie nicht. Das heißt also, die Suizidhilfe erfordert in jedem Falle einen mental kompetenten, einen Menschen, der eigenverantwortlich handeln und nachdenken kann. Beispielsweise psychiatrisch kranke Patienten oder Patienten, die sonst wie unter Zwang stehen, scheiden für eine solche Vorgehensweise aus – aus meiner Sicht.
Heuer: Der Palliativmediziner Michael de Ridder im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch, Herr de Ridder.
de Ridder: Auf Wiederhören!
Info:
Michael de Ridder ist Palliativmediziner, Internist, Rettungs- und Intensivmediziner in Berlin. Außerdem ist er Autor des Buches "Wie wollen wir sterben?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich jetzt Michael de Ridder, er ist Internist und Palliativmediziner in Berlin und er hat das Buch "Wie wollen wir sterben?" geschrieben. Guten Tag, Herr de Ridder.
Michael de Ridder: Schönen guten Tag.
Heuer: Die Richter in Straßburg haben sich in der Sache nicht festlegen wollen, zu diesem Eindruck kann man immerhin kommen. Wie beurteilen Sie das Straßburger Urteil?
de Ridder: Das Straßburger Urteil ist so gefasst, dass inhaltlich überhaupt keine Stellung bezogen wurde. Das heißt, an der deutschen Vorgehensweise, dass nämlich Medikamente zum Zwecke der Selbsttötung nicht verschrieben werden dürfen – und das war ja das Ansinnen der Frau beziehungsweise des Ehemannes -, daran ändert sich nichts. Wichtig an diesem Urteil ist, dass wir aufgefordert sind, über Sterbehilfe, über Lebensende-Medizin und die Möglichkeiten genauer nachzudenken und hier eine bessere Regelung zu treffen, denn wir haben eine ausgesprochen verworrene Lage. Juristisch gesehen, strafrechtlich gesehen ist es so, dass der assistierte Suizid, über den wir ja hier reden, strafrechtlich frei ist. Der Suizid ist nicht sanktioniert und auch die Assistenz zum Suizid ist nicht sanktioniert. Darüber hinaus ist aber berufsrechtlich gesehen seit dem Kieler Ärztetag im letzten Jahr es der Ärzteschaft verboten – die Bundesärztekammer hat mit Mehrheit so entschieden beziehungsweise die Delegierten. Und wir haben auf der dritten Seite dann ein Arzneimittelrecht, was der Möglichkeit der Suizidassistenz einen Riegel insofern vorschiebt, als eben Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung nicht verschrieben werden dürfen.
Heuer: Aber, Herr de Ridder, heißt das unterm Strich, die Möglichkeiten reichen aus Ihrer Sicht nicht aus?
de Ridder: Was zunächst einmal nicht ausreicht, ist die Palliativmedizin und ihre Möglichkeiten, die in Deutschland immer noch nicht, bei weitem noch nicht dem Bedarf entsprechen. Und ich möchte etwas zu diesem konkreten Fall sagen, um den es heute in Straßburg ging. Es war nämlich so: Es handelt sich um eine beatmete Patientin, die einen hohen Querschnitt hatte, und eine solche Patientin, ein solcher Patient kann zu jedem Zeitpunkt seiner Behandlung einfordern, dass die Behandlung abgebrochen wird. Jede Behandlung in Deutschland braucht – und das nicht erst seit vorgestern, sondern seit über 100 Jahren – zwei grundsätzliche Voraussetzungen: erstens eine ärztliche Indikation und zweitens eine Zustimmung des Patienten. Wenn der Patient nicht zustimmt, dann muss die Behandlung abgebrochen werden. Das heißt, die Frau hätte palliativ sediert werden können und müssen und hätte dann hier legal und menschlich und friedlich sterben können und hätte nicht in die Schweiz fahren müssen.
Heuer: Also die Betroffenen haben sich aus Ihrer Sicht in diesem Fall eigentlich nicht richtig verhalten. – Eine andere Frage, die sich stellt, wenn wir über Sterbehilfe sprechen – und die Debatte, hebt mit diesem Urteil mit Sicherheit ja wieder an - ist die: Braucht ein Mensch, der erklärt, sterben zu wollen, nicht eher psychologische Hilfe als ein tödliches Medikament?
de Ridder: Was heißt "eher"? Natürlich müssen alle Register am Lebensende der Palliativmedizin gezogen werden. Der Patient muss jede Hilfe bekommen, die ihm ein natürliches Sterben und ein schmerzfreies, angstfreies, friedliches Lebensende ermöglicht. Aber es gibt Situationen, in denen entweder, weil die palliativmedizinischen Möglichkeiten nicht ausreichen – und das sind nur wenige, das sei ausdrücklich betont, wenige Situationen -, oder es gibt Situationen, in denen ein Patient ausdrücklich darauf besteht, den Zeitpunkt seines Lebensendes bei einer inkurablen Erkrankung selbst festzulegen, und das muss man akzeptieren, weil zu palliativmedizinischen Vorgehensweisen kann natürlich auch niemand genötigt werden, sie anzunehmen.
Heuer: Aber wenn tödliche Medikamente ausgehändigt werden dürfen, wenn Ärzte behilflich sein dürfen beim Suizid, steigt da nicht auch die Gefahr des Missbrauchs massiv an?
de Ridder: Das sehe ich nicht, das kann ich nicht erkennen, denn ein Mensch, der ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Arzt hat und der Arzt zu ihm, wird einem Menschen, der ihn darum bittet, in einer möglicherweise sehr schweren Stunde ihm auf diese Weise zu helfen, in einer solchen Situation sehe ich nicht, dass hier zunächst mal Missbrauch möglich ist.
Heuer: Und wenn die Angehörigen bitten, weil der Patient selber dazu nicht mehr in der Lage ist?
de Ridder: Dazu haben die Angehörigen gar kein Recht, das können sie nicht. Das heißt also, die Suizidhilfe erfordert in jedem Falle einen mental kompetenten, einen Menschen, der eigenverantwortlich handeln und nachdenken kann. Beispielsweise psychiatrisch kranke Patienten oder Patienten, die sonst wie unter Zwang stehen, scheiden für eine solche Vorgehensweise aus – aus meiner Sicht.
Heuer: Der Palliativmediziner Michael de Ridder im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch, Herr de Ridder.
de Ridder: Auf Wiederhören!
Info:
Michael de Ridder ist Palliativmediziner, Internist, Rettungs- und Intensivmediziner in Berlin. Außerdem ist er Autor des Buches "Wie wollen wir sterben?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.