"Mr. President, Members of the international Olympic Committee, ladies and gentlemen. It is a great honour for me to address you today and to present the bid of Sochi to host the Olympic Winter Games in 2014."
Wladimir Putin gab alles. Charmant lächelnd trat er 2007 in Guatemala vor das Internationale Olympische Komitee, um persönlich für Sotschi als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 zu werben. Putin spricht gewöhnlich kein Englisch.
"Sochi is a unique place. On the seashore you can enjoy a fine spring day. But up in the mountains it's winter. And one more special privilege: No traffic jams! I promise!"
Es war ein verrückter Plan: Winterspiele ausgerechnet in der einzigen subtropischen Region des ansonsten mit Schnee und Eis großzügig ausgestatteten Riesenlandes. Alle Wettkampfstätten, die gesamte Infrastruktur musste neu gebaut werden. Immense Ausgaben. Aber Russland war bereit zu zahlen. Putin versprach nicht nur keine Staus, und hatte damit die Lacher auf seiner Seite; er schloss seine Rede sogar noch auf Französisch: Millionen Russen warteten voller Hoffnung auf die Entscheidung.
Für Putin geht es um mehr als den Sport
Schon dieser Auftritt in Guatemala zeigte: Die Olympischen Winterspiele in Sotschi hatten und haben für den russischen Präsidenten allerhöchste Priorität. Sie sind sein Projekt. Wie weit sein persönliches Engagement ging, verriet Putin am vergangenen Sonntag im Staatsfernsehen. Das Fernsehinterview wurde in einem Skigebiet in Krasnaja Poljana gemacht. Vor einigen Jahren noch war dort nur Wald.
"Was hier passiert, freut mich besonders, denn ich habe diesen Ort selbst ausgewählt. Wir sind 2001 oder 2002 in einem Jeep hier lang gefahren, sind dort am Flüsschen ausgestiegen, und ich habe gesagt: Lasst uns von hier anfangen. Und so haben wir es gemacht. Als wir dann die Zusage für die Olympischen Spiele bekamen und mit größeren Bauarbeiten begannen, hat sich viel verändert. Und zwar zum Besseren. Russlands Süden verändert sich."
Für Putin ging es in Sotschi von Anfang an um viel mehr als um den Sport. Zweck des Großereignisses war es immer auch, einen vernachlässigten Landstrich zu fördern und Russland einen modernen Wintersportort zu verschaffen. Sotschi sollte dabei nur der Startschuss für eine ganze Tourismusregion sein. Mittlerweile hat der Staat begonnen, diverse weitere Wintersportzentren in den Bergen des Kaukasus zu errichten. Außerdem sollte Sotschi ein Experimentierfeld für zukunftsweisendes Bauen werden. Mantrahaft haben die Verantwortlichen über all die Jahre seit der Olympiabewerbung immer wieder betont, es gehe darum, ein "neues Russland" zu präsentieren. Das schlug sich auch in den Bauten nieder. Da gibt es Regenwasseraufbereitung ebenso wie Sonnenkollektoren – in Russland eine Rarität. Charakteristisch daher die Worte des Vorsitzenden des Organisationskomitees, Dmitrij Tschernyschenko, bei einer Preisverleihung für nachhaltiges und grünes Bauen in Sotschi:
"Wir haben erst vor kurzem gelernt, was Nachhaltigkeit ist: Im Einklang mit der Natur zu leben und beim Bauen daran zu denken. Im Westen ist das längst weit verbreitet. Hier machen wir nun die ersten Schritte. Die Unternehmen, die heute ausgezeichnet werden, sind Pioniere. Sie setzen neue Standards, die andere Unternehmen zwingen, es ihnen gleichzutun."
Vor allem aber geht es in Sotschi darum, der eigenen Bevölkerung und der Welt zu beweisen: "Wir sind wieder wer." Putin verfolgt seit seinem Machtantritt im Jahr 2000 das Ziel, Russland wieder zu einem starken Staat zu machen, dessen Interessen weltweit respektiert werden. Er will die Schmach der 90er-Jahre, als Russland, geschwächt vom Auseinanderbrechen der Sowjetunion, im Westen um Hilfe bitten musste, vergessen machen. Der Kreml setzt dabei zunehmend auf sogenannte "Soft-Power", weiche Methoden. Dazu zählen Entwicklungshilfe und Kulturveranstaltungen ebenso wie sportliche Großereignisse – wie eben die Olympischen Spiele in Sotschi. Doch das ehrgeizige Projekt hat seinen Preis. Zunächst einmal finanziell. Putin veranschlagte in Guatemala umgerechnet zwölf Milliarden US-Dollar für die Spiele. Er verpflichtete die dem Kreml nahestehenden Oligarchen, in Objekte zu investieren, die sich niemals rentieren werden. Mittlerweile sind die Kosten um das Vierfache gestiegen. Viele sagen, dafür sei vor allem die in Russland allgegenwärtige Korruption verantwortlich. Der Kremlkritiker Aleksej Nawalnyj veröffentlichte kürzlich eine Studie zur Kostenexplosion in Sotschi. Darin wirft er den Beamten und Oligarchen Bereicherung vor. Auch ein Mitglied des IOC hat kürzlich behauptet, ein Drittel des Budgets sei versackt. Präsident Putin hat Korruptionsvorwürfe stets zurückgewiesen. In dem am Sonntag ausgestrahlten Fernsehinterview wich er diesbezüglich aus.
Teile der Wettkampfstätten wurden im Nationalpark errichtet
"Solche Großprojekte werfen in jeder Gesellschaft Fragen auf. Das ist gut. Natürlich versucht jeder Auftragnehmer, so viel Gewinn zu erwirtschaften wie möglich. Der Staat hat die Aufgabe, die Ausgaben gering zu halten. Meine Aufgabe ist es, Mängel aufzudecken. Und wenn ich nach Sotschi komme und die Dinge kontrolliere, rede ich eben über Mängel. So kann der Eindruck entstehen, es gäbe gar nichts Gutes. Aber das ist nicht so."
Zu den stärksten Kritikern der Olympischen Winterspiele in Sotschi zählten von Anfang an die Umweltschützer. Sie sagen, die Spiele gingen zu Lasten der Natur. Teile der Wettkampfstätten wurden im Nationalpark errichtet. Damit das überhaupt möglich wurde, hatte das Parlament kurzerhand seine Naturschutzgesetze geändert. Michail Krejndlin, Forstexperte von Greenpeace Russland, zieht zum Beginn der Spiele eine nüchterne Bilanz:
"Sicher gab es einige Innovationen. Sotschi hat Kläranlagen bekommen. Die Abwässer werden nicht mehr ins Meer entsorgt. Aber derlei Maßnahmen sind lokal sehr begrenzt und wiegen den Verlust, den die Umwelt durch die Olympiabauten erlitten hat, in keiner Weise auf."
Die Organisatoren hätten ihr Versprechen, "grüne Spiele" durchzuführen, nicht eingehalten, kritisiert Krejndlin.
"Die Organisatoren sprachen von Zero Waste, also von null Abfällen. Im Endeffekt haben sie den Müll lediglich aus der Stadt herausgefahren und jenseits der Stadtgrenzen entsorgt. Er wird nicht recycelt, wie ursprünglich vorgesehen. Der Bauschutt wird einfach in den Naturschutzgebieten abgeladen."
Greenpeace befürchtet, dass das Beispiel Sotschi Schule machen wird, zulasten der bisher größtenteils noch unberührten Natur des Nordkaukasus. Vor wenigen Wochen hat die Duma ein Gesetz verabschiedet, wonach es erlaubt ist, streng geschützte Naturreservate, in denen überhaupt nicht gebaut werden darf, herabzustufen. Michail Krejndlin:
"Wenn jetzt jemand einen Sportkomplex oder ein Skiresort in einem Naturreservat bauen will und genügend Lobby-Möglichkeiten hat, kann er erreichen, dass das Gebiet in einen Nationalpark umgewandelt wird. Dort kann er dann bauen, was er will. Wir beobachten seit acht Jahren eine systematische Schwächung des gesetzlichen Naturschutzes. Ohne die Olympischen Spiele wäre das nicht passiert."
Weitere Leidtragende dieser Spiele waren und sind die Gastarbeiter. Ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Memorial hat eine schockierende Zahl genannt: 90 Prozent der Arbeiter auf den Baustellen in Sotschi hätten keinen oder nur Teile ihres Lohns erhalten. Gastarbeiter aus Zentralasien berichteten von unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnissen. Nun ist die Ausbeutung von Gastarbeitern kein Phänomen, das auf Sotschi begrenzt ist. Anlässlich der Olympischen Winterspiele haben Menschenrechtsorganisationen aber verstärkt darauf hingewiesen, vor allem Human Rights Watch. Deren Mitarbeiterin, die Anwältin Julia Gorbunowa, berichtet:
"Migranten, die sich über die Verletzung ihrer Rechte beschwert haben, bekamen Probleme mit den Behörden und mit ihren Arbeitgebern. Viele haben uns erzählt, dass ihre Chefs sie aus den Unterkünften geworfen haben. Und manche Arbeitgeber haben einfach die Migrationsbehörde angerufen. Daraufhin wurden dann massenweise Migranten abgeschoben. Wir haben das IOC aufgefordert, sich um die Lage der Gastarbeiter zu kümmern. Das IOC hat uns angehört, aber meist nichts unternommen, sondern blind den russischen Behörden vertraut."
In jedem Land, das internationale Großereignisse ausrichtet, nutzen Minderheiten und Lobbygruppen die weltweite Aufmerksamkeit für das Gastgeberland, um auf ihre Anliegen hinzuweisen. In Russland ist das nicht anders. Für Anlässe hatten die Machthaber gesorgt. In den vergangenen zwei Jahren brachte die Justiz diverse Regierungskritiker hinter Gitter. Die Staatsduma schränkte diverse Bürgerfreiheiten per Gesetz ein. Und sie stigmatisierte Schwule und Lesben, indem sie verbot, öffentlich anders als negativ über Homosexualität zu sprechen. Diese Themen wurden von der internationalen Presse aufgegriffen. Es folgten Boykott-Erklärungen, offen ausgesprochene und verdeckte.
Demonstrieren ist nur auf dafür ausgewiesenem Gelände erlaubt
Bundespräsident Joachim Gauck wird den Spielen ebenso fernbleiben wie Frankreichs Staatsoberhaupt Francois Hollande. Regierungsvertreter reagieren pikiert auf derlei Kritik. Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, sagte dem Massenblatt "Komsomolskaja Pravda", dahinter stecke der reine Neid. Die Russen seien heute stark, erfolgreich, reich und gesund und deshalb nicht überall beliebt. Damit es nicht auch noch in Sotschi selbst während der Spiele zu Protesten kommt, haben die Verantwortlichen alle nur erdenklichen Maßnahmen getroffen. Einheimische Olympiakritiker wurden im Vorfeld ermahnt und eingeschüchtert. Ein Umweltaktivist floh wegen Mordvorwurfs ins Ausland. Ein weiterer, Jewgenij Witischko, wurde nach fragwürdigen Anschuldigungen zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht in Kraft, die zweite Instanz soll noch während der Olympischen Spiele entscheiden. Wer trotz allem den Mut aufbringt, in Sotschi zu demonstrieren, darf das nur unter strengen Auflagen tun: In einem speziell dafür ausgewiesenen Gelände mehrere Kilometer vom Olympiapark entfernt. Die Anzahl der Teilnehmer und die Dauer der Aktionen müssen von drei Behörden genehmigt werden. Und das Thema der Demonstration darf nichts mit Olympia zu tun haben. Der Umweltschützer Wladimir Kimajew ist einer der wenigen, die sich davon nicht einschüchtern lassen.
"Es ist besser als nichts. Wir sind gesetzestreue Bürger, wir werden Olympia nicht erwähnen. Aber wir werden über die Probleme reden, die es in der Stadt gibt. Es gibt zum Beispiel einen Stadtteil, der ist immer noch nicht an die Gasversorgung angeschlossen, obwohl das schon vor einem Jahr geschehen sollte. Da fragt man sich: Wo sind die Gelder? Darüber muss man reden. Wir müssen ja nicht sagen, dass die Siedlung im Rahmen von Olympia Gas bekommen sollte. Wir können einfach sagen: Sie hat kein Gas. Die Leute verstehen die Zusammenhänge dann schon."
Doch nicht nur aufgrund der strengen Auflagen sind Proteste in Sotschi recht unwahrscheinlich. Die Bereitschaft zu demonstrieren ist in Russland insgesamt gering. Zu einer Kundgebung für die Freilassung politischer Gefangener am vergangenen Sonntag in Moskau kamen gerade mal wenige tausend Teilnehmer. Und selbst unter ihnen war die Ansicht verbreitet, man solle doch bitte den Sport Sport sein lassen. Die Moskauer Rentnerin Natalja Iosifovna:
"Ich mag Sport sehr. Und natürlich werde ich mir die Wettkämpfe im Fernsehen ansehen. Protestieren sollte man dort nicht. Das ist nicht der Sinn von Olympischen Spielen."
Die tatsächliche Gefahr für die Olympischen Spiele kommt indes von ganz anderer Seite. Sie geht von den Dschihadisten des Nordkaukasus aus, dem sogenannten Kaukasus-Emirat um den Terroristenführer Doku Umarow. Er rief im Sommer zu Anschlägen während der Olympischen Spiele auf. Islamistische Untergrundkämpfer und Sicherheitskräfte bekämpfen einander im Nordkaukasus mit aller Härte. Jedes Jahr kommen dort hunderte Menschen ums Leben. Nach Umarows Aufruf weiteten sich die Terroranschläge auf Zentralrussland aus. Bei drei Selbstmordattentaten in Wolgograd im Oktober sowie Ende Dezember kamen 49 Menschen ums Leben. Die Täter kamen aus der russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. Jekaterina Sokirjanskaja ist Nordkaukasusexpertin der International Crisis Group in Russland.
"Dagestan ist der größte Konfliktherd Europas. Er befindet sich 1000 Kilometer von Sotschi entfern. Die zweitgrößte Zahl von Opfern gab es 2013 in der Teilrepublik Kabardino-Balkarien, 320 Kilometer von Sotschi. Für motivierte Dschihadisten sind das keine Entfernungen. Ein Terrorist muss auch nicht unbedingt direkt aus dem Kaukasus anreisen, er muss nicht mal direkte Verbindungen zu den Untergrundkämpfern im Kaukasus haben. Die Bedrohung geht auch von Dschihadisten aus, die allein oder in kleinen Gruppen handeln und auf den Aufruf Doku Umarows reagieren, die Olympischen Spiele mit allen erdenklichen Mitteln zu stören. Untergrundkämpfer in Dagestan haben in den letzten Wochen mehrere Erklärungen verbreitet mit Warnungen vor einer, wie sie es nennen, in Sotschi versteckten "Überraschung". Solche Drohungen haben natürlich den Zweck, Schrecken zu verbreiten. Das heißt aber nicht, dass es leere Drohungen sind."
In Sotschi steht ein Großaufgebot von Sicherheitskräften bereit, um Terrorgefahren abzuwehren. Zigtausende Uniformierte sind im Einsatz, dazu Überwachungskameras und Drohnen. Die gesamte Kommunikation wird abgehört. Experten sind sich einig, dass ein Anschlag in Sotschi deshalb recht unwahrscheinlich ist. Ein Grund zur Beruhigung sei das aber nicht. Die Terroristen zielten ohnehin nicht auf den Ort, sondern auf den Zeitraum der Olympischen Spiele. Das Risiko eines Anschlags in Zentralrussland in den kommenden Tagen sei viel höher, zumal viele Polizisten, die nun in Sotschi sind, aus den Zentren abgezogen wurden. Jekaterina Sokirjanskaja beunruhigt noch etwas anderes. Sie denkt bereits an die Zeit nach Sotschi. Denn um der Sicherheit der Olympischen Spiele willen hat der Staat seine Methoden im Kampf gegen den Terror in den letzten Monaten stark verschärft. Dabei wurden auch solche Gruppen kriminalisiert, die gegen Gewalt sind. Sokirjanskaja:
"In den letzten Wochen erreichten uns Informationen darüber, dass gemäßigten Salafisten in Dagestan verboten wurde, Dagestan während der Olympischen Spiele zu verlassen. Ich glaube nicht, dass viele dieser Leute vorhatten, nach Sotschi zu fahren, um die Wettkämpfe anzuschauen. Aber so geht man mit Menschen nicht um. Das heißt doch: Olympia ist für alle, aber nicht für euch."
Sokirjanskaja spricht von zerstörtem Vertrauen. Sie befürchtet, dass es nach den Olympischen Spielen noch schwieriger werden wird, die Spannungen im Nordkaukasus friedlich zu lösen. Vorerst allerdings richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Wettkämpfe und auf Gastgeber Putin. In dem Fernsehinterview am vergangenen Sonntag kostete er seine Rolle als Macher der Spiele voll aus. Im Skilift fahrend sagte er:
"Die Regeln des IOC erlauben es, dass man sich vor der Abstimmung mit den Mitgliedern des IOC trifft. Ich habe damals in Guatemala mit sehr vielen von ihnen persönlich gesprochen. Mehrere haben wörtlich gesagt – und das war für mich sehr wichtig: 'Wir unterstützen das heutige Russland. Wir brauchen so ein Land'."
Und das heutige Russland ist das Russland Wladimir Putins. Es sieht alles danach aus, als werde Putin sein Ziel, Russland einen Prestigegewinn zu verschaffen, trotz der Absagen verschiedener Staatschefs, erreichen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kommt zur Eröffnung, ebenso wie der Regierungschef Japans und viele andere hochrangige Gäste. Die internationale Kritik an Russland indes lässt rechtzeitig zum Beginn der Spiele nach.