So klingt "Endel":
Endel-Song: "One Starry Skies"
"Sleep Clear Night" heißt dieses Album, das der Algorithmus der App namens "Endel" produziert hat. Gemächlich fließende Klagflächen, scheinbar perfekt, um sinnlich in den Schlaf zu gleiten.
"Eine neoliberale App"
Fünf Alben zum Einschlafen hat das gleichnamige Berliner Start-up bereits produziert, sie stehen in minimalistischem Schwarz-Weiß-Design auf den Streaming-Diensten bereit, um endlos im Hintergrund zu laufen. 15 weitere Alben sollen dieses Jahr noch folgen. Insgesamt 460 Tracks. Doch eigentlich ist die Zahl egal. "Endel" kann auf Knopfdruck endlos Musik produzieren. Entwickler Oleg Stavitsky und sein Team hatten ein Ziel im Blick:
"Es ist eine Technologie, die dir hilft zu entspannen, zu schlafen oder dich zu konzentrieren. Wir generieren eine Klang-Umgebung, die angepasst ist auf biometrische Einflüsse, etwa den Herzschlag oder deine Bewegung. Aber auch externe Parameter spielen eine Rolle: die Tageszeit, das Wetter, die Jahreszeit, der Wochentag oder die Termine in deinem Kalender."
Die Kritik folgte prompt: "Apathische Musik, um dazu Tabellen auszufüllen", beschreibt der "New Yorker" "Endels" Klangflächen. "Eine neoliberale App, um die Produktivität zu fördern", kommentiert die Elektronik-Musikerin Holly Herndon auf Twitter. Also eine algorithmisch produzierte Musik, die nur dazu gemacht ist, eine Stimmung aufrechtzuerhalten.
"Wenn du einfach nur irgendwas im Hintergrund hören willst."
Die Sorge, dass Apps wie "Endel" Musiker*innen irgendwann obsolet machen könnten, kann Unternehmenschef Stavitsky verstehen. Doch hinter dem Algorithmus stehe ja ein richtiger Musiker: Der Komponist Dmitry Evgrafov füttert den Algorithmus mit Musik-Samples.
Stavitsky: "Das ist das, was wir Leuten entgegnen, die meinen, wir wollen Musikerinnen ersetzen. Und außerdem beschreiben wir das, was wir tun, nicht als herkömmliche Musik, sondern als Klangumgebungen. Unsere Klänge sind gar nicht dafür gemacht, bewusst gehört zu werden."
Eine geschickte Kommunikationstrategie von "Endel", findet Róisín Loughran. Sie forscht am University College Dublin zur musikalischen Kreativität von Computern.
"Was ich daran so mag ist, dass sie so offen sind. Ich finde es gut, dass sie sagen: Wir haben diese Stücke mit nur einem Klick komponiert und wir können unendlich viele davon produzieren. Und dass sie sagen, dass sie keine klassischen Songs machen. Denn so wird das, was sie machen, ganz anders behandelt."
Verstehen Maschinen Kreativität besser?
Die Aufregung über "Endel" ist deshalb so groß, weil eine Künstliche Intelligenz menschliche Kreativität nachahmt, erklärt Róisín Loughran.
"Manche Leute wird dabei unwohl zumute. Und ich glaube, das liegt daran, dass wir unsere eigene Kreativität nicht verstehen. Es fällt uns sehr schwer, zu begreifen, wie Musik entsteht. Wenn dann plötzlich eine Künstliche Intelligenz kommt, die so etwas wie Musik macht, dann fühlt sich das so an, als würde die Maschine davon mehr verstehen als wir. Und das ist ein gruseliger Gedanke."
Fragt sich nur, ob das, was "Endel" komponiert, musikalisch wertvoll ist. Zumindest liegt Hintergrundmusik etwa aus dem Genre Neoklassik derzeit stark im Trend. Besonders Spotify wirbt offensiv mit "Playlists zum Entspannen". Genau dort setzt "Endel" an und bringt eine Idee zur Vollendung, die Ambient-Pioniere wie Brian Eno schon in den 1970er-Jahren im Sinn hatten: Klang soll Teil der Einrichtung eines Raumes werden und so selbstverständlich angeschaltet werden wie eine Lampe.
Während Enos legendäres Album "Music for Airports" Innovation, Kreativität und musikalisches Handwerk verband, wirken die algorithmisch produzierten Klänge von "Endel" auf Dauer artifiziell, ermüdend und langweilig. Zumindest stellt sich dieser Eindruck ein, wenn man weiß, nicht ein Mensch, sondern ein Computer diese Funktionsmusik produziert hat.
Neue Einnahmequellen für Labels
Und doch ist "Endel" ein Präzedenzfall: Die Plattenfirmen wittern neue Einnahmequellen. Und so hat Warner Music "Endel" schon unter Vertrag genommen – es ist der erste Algorithmus, dessen Musik von einem Majorlabel vertrieben wird. Der Deal tritt einen Diskurs los, wie musikalisch kreativ Maschinen sein können. Wer oder was macht in Zukunft Musik? Und macht es einen Unterschied, ob sie von einem Menschen oder einer Maschine gemacht wird?
"Das berührt schon fast philosophische Fragen innerhalb der Computerwissenschaften. In einer Zeit, in der so ein Deal zwischen Warner und Endel geschlossen wird, ist es wichtig, sich zu fragen, ob computerisierte Kreativität überhaupt möglich ist. Oder wird hier vielmehr einfach nur etwas mit einem Computercode zusammengehauen und am Ende zusammengestellt, das wir gar nicht wirklich verstehen."
Die Musik der Zukunft wäre dann bloß eine Art Zufallsprodukt – und nicht mehr Ausdruck einer künstlerischen Idee.