In einem großen Saal im "Ballhaus Naunynstraße" in Berlin stehen alte Plattenspieler, ein Grammophon und mehrere Tonbandgeräte auf hüfthohen Podesten. Es sieht aus wie im Museum.
Zwei Männer im Anzug legen immer wieder dieselbe Schellackplatte auf einen Plattenspieler, Aufnahmen aus der Kolonialzeit in Südostasien starten. Am Anfang werden die Aufnahmen nur abgespielt und eine Stimme aus dem Off erklärt historische Zusammenhänge. Das wirkt etwas didaktisch. Doch dann mischen sich Radiogeräusche in die Aufnahmen, später auch moderne Beats.
Wie klingt Kolonialismus?
Die Sound-Performance "Echoing Europe – Postcolonial Reverberations" zeigt koloniale Aufnahmen aus dem "Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin" und dem "Berliner Phonogramm-Archiv" teilweise erstmals öffentlich und interpretiert sie neu. MeLê yamomo ist Professor für Sound Studies an der Universität Amsterdam. Der gebürtige Phillipine ist für "Echoing Europe" verantwortlich und performt auch selbst: "Für diese Performance habe ich mich mit der Frage beschäftigt: Wie klingt Kolonialismus?"
yamomo nutzt akustische Aufnahmen, die Ende des 18.- und Anfang des 19. Jahrhunderts in europäischen Kolonialgebieten entstanden sind. Für den Enddreißiger sind sie historische Quelle europäischer Identität, in denen die rassistischen Hierarchien des Kolonialismus zu hören sind.
"Wenn wir an Kolonialismus denken, haben wir meist bestimmte Strukturen oder bestimmte Bilder im Kopf. Wir denken aber kaum darüber nach, wie Kolonialismus klingt. Für mich sind diese historischen Aufnahmen Beweise, dass Kolonialismus auch mit solchen Aufnahmen konstruiert wurde."
Musik als koloniales Projekt
Denn sie sind Ergebnis einer kulturellen Aneignung. Die Kolonisatoren entschieden, was überhaupt aufgenommen wird und ob es sich dabei um kulturell wertvolle Musik oder lediglich um Lärm handelte. Der Phonograph als kolonialistisches Werkzeug. Viel habe sich daran nicht geändert, meint yamomo. Was als Musik gilt, werde nach wie vor im Westen entschieden.
"Zum Beispiel javanesische Gamelan-Orchester. Sie wurden lange Zeit als Lärm wahrgenommen und erst später als Musik akzeptiert. Was also als Musik verstanden wird, ist sehr beliebig. Es kommt darauf an, wer entscheidet, was Musik ist. Und diese Entscheidung wird häufig in Europa getroffen. Deshalb ist Musik generell ein koloniales Projekt."
"Echoing Europe" zeigt die Aneignung von Klängen auch visuell: Fotos aus der Kolonialzeit werden an die Wand projiziert. Sie zeigen etwa einen weißen Mann, der mit einem Phonographen die Stimme eines Philippiners aufzeichnet. MeLê yamomo stellt immer wieder seinen Körper zwischen Projektor und Foto. Er steht zwischen Klang und Aufnahme, zwischen Kolonisten und Kolonisiertem. Das funktioniert gut. Das Klangmaterial wird mit Respekt behandelt. Die Performance lädt ein, koloniale Aufnahmen kritisch zu hören.
Koloniales Denken noch immer heutige Realität
Dass koloniales Denken immer noch Teil der heutigen Realität ist, musste meLê yamomo in der Vorbereitung zu "Echoing Europe" feststellen. Vier Jahre habe er versucht, für seine Forschung Zugang zum "Berliner Phonogramm-Archiv" zu bekommen – ohne Erfolg. Seine E-Mails seien nicht beantwortet worden. Als allerdings das Berliner "Forum Transregionale Studien", für das yamomo Anfang 2018 einen Workshop organisiert hat, beim "Phonogramm-Archiv" nachfragte, kam sofort eine Antwort.
"Ich frage mich, inwiefern mein nicht europäisch klingender Name etwas damit zu tun hat, dass sie nicht geantwortet haben, denn sobald ein Institut sie kontaktiert, antworten sie sofort. Mich würde interessieren, ob diese Frage des Zugangs zum Archivmaterial nach wie vor eine Erweiterung des kolonialen Systems ist?"
Auf Nachfrage sagt das "Phonogramm-Archiv", das die Zuständigkeiten gewechselt hätten und man nicht mehr nachvollziehen könne, warum meLê yamomos E-Mails nicht beantwortet wurden. Das Archiv ist für alle Interessierte geöffnet.