Bernd Lechler: Gesichtstätowierungen, regenbogenfarbene Haare, schrille Klamotten – der New Yorker Rapper Tekashi69 polarisiert nicht nur mit seinem Aussehen: Kürzlich wurde Daniel Hernandez, so sein bürgerlicher Name, zu einer vierjährigen Bewährungsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen verurteilt. Gestern sollte eigentlich sein neues Album "Dummy Boy" erscheinen. Doch das FBI machte ihm einen Strich durch die Rechnung und verhaftete ihn letzten Sonntag. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. 69 wird vorgeworfen, Teil einer gefährlichen Gangsterbande zu sein. Bei einer Verurteilung droht ihm eine lebenslange Haftstrafe - und das im zarten Alter von 22 Jahren. Im sogenannten Soundcloud-Rap leider nichts Ungewöhnliches. Das Genre lebt von extremen Persönlichkeiten mit Hang zur Gewalt und Selbstzerstörung, erfreut sich allerdings in den USA und darüber hinaus einer großen Beliebtheit. Im Studio begrüße ich Corso-Redakteur Raphael Smarzoch. Vielleicht erst mal: Was ist Soundcloud-Rap?
Lo-Fi Beats und Emo-Rock
Raphael Smarzoch: Zunächst einmal bezeichnet dieser Begriff eine Gruppe von Rappern, die ihre Musik vor einigen Jahren über den Streaming-Dienst Soundcloud zu veröffentlichen begannen und im Zuge dessen eine große Popularität erlangten. Dazu zählen zum Beispiel Rapper wie Lil Peep, XXXTentacion, Lil Xan, Lil Pump oder eben auch Tekashi69. Dieser sogenannte Soundcloud-Rap hat aber auch eine bestimmte Ästhetik. Gemein ist den Tracks, dass sie, zumindest in ihren Anfangstagen, sehr Lo-Fi klangen. Man merkte ihnen an, dass sie mit einfachsten Mitteln produziert wurden. XXXTentacion experimentierte beispielweise mit stark verzerrten Beats. Interessant ist auch die Integration von genrefremden Elementen, wie etwa Emo-Rock bei Lil Peep. Was auch auffällt: Sehr einfache und nahezu debile Texte. Man denke nur an Lil Pumps "Gucci Gang". In dem Track wiederholt der Rapper hunderte Male die Wörter Gucci und Gang.
"Was sie vereint, ist eine Lust am Exzess"
Lechler: Wie passt Tekashi69 in diese Szene rein?
Smarzoch: Eigentlich überhaupt nicht mehr, da er den Status des Soundcloud-Rappers schon längst abgelegt hat. Er ist mittlerweile millionenschwer, hat ein großes Label im Hintergrund, Platzierungen in den Billboard-Charts und gehört neben Cardi B zu New Yorks bekanntesten Rappern. Das gilt übrigens auch für die anderen Rapper. Was sie eher vereint, ist eine Lust am Exzess, das Überschreiten von Grenzen und Negieren von Konventionen. Das Image, das sie verkörpern ist interessanter als ihre Musik.
Lechler: Weil das Image drastischer ist als die Musik?
Smarzoch: Nun, man muss sie sich nur anschauen. Tekashi69 sieht aus wie eine Kreuzung aus Chucky die Mörderpuppe und einer seltsamen Gestalt aus einem Anime. Alle von ihnen, aber wirklich alle, haben extreme Gesichtstätowierungen. Das ist für mich ein sehr interessantes Detail, da diese Männer noch sehr jung sind und sich offenbar nicht viel vom Leben versprechen. Ansonsten würden sie ihre Gesichter nicht so derartig verunstalten.
Es scheint also so eine nihilistische Attitüde zu geben, die auch mit einer selbstzerstörerischen Verherrlichung von Drogen einhergeht. Der Rapper Lil Xan zum Beispiel. Sein Name ist eine Anspielung auf den Angstlöser Xanax, dessen Missbrauch in den USA die Züge einer Epidemie angenommen hat. Der Rapper Lil Peep starb im November letzten Jahres beispielsweise an einer Überdosis. Gewalt ist aber auch ein Problem. Man denke nur an XXXTentacion, der mit dem Album "17" zwar eine sehr emotionale Auseinandersetzung mit seinen eigenen Depressionen aufgenommen hat, gleichzeitig aber auch für die brutale Misshandlung seiner schwangeren Freundin vor Gericht stand. Vor der Gerichtsverhandlung wurde er allerdings auf offener Straße erschossen.
Lechler: Das klingt alles grauenhaft. Gewalt gab’s im Hiphop ja immer schon, so wie in den 90ern diesen "Krieg" zwischen US-Ost- und Westküste. Aber was da derzeit passiert, ist schon noch drastischer, oder?
Smarzoch: Ich würde sagen, nein. Man denke nur an Tupac Shakur, der im Alter von 25 Jahren erschossen wurde. Oder an die Diskussion, die um den Film "Straight Outta Compton" geführt wurde, der die Erfolgsgeschichte der Hip-Hop-Formation NWA erzählt. Dem Film wurde Geschichtsrevisionismus in Bezug auf die Gewalt gegen Frauen vorgeworfen, die damals von den Rappern ausging, unter anderem von Dr. Dre, der gerne mal handgreiflich gegenüber seinen Freundinnen und Kolleginnen wurde.
Lechler: Der hat das bloß nicht auf Instagram geteilt.
"Es geht um die bewusste Inszenierung von Spektakeln"
Smarzoch: Genau, was heutzutage anders ist, ist, dass wir unmittelbar teilhaben können an den Exzessen des Hip-Hop und seiner Protagonisten, die nahezu in Echtzeit über die sozialen Medien vermittelt werden. Diese Rapper sind das Produkt einer Going-Live-Generation. Im Internet konnte man Lil Peep beispielsweise kurz vor seinem Tod völlig zugedröhnt noch sehen.
Das heißt, es geht um die bewusste Inszenierung von Spektakeln, je drastischer desto besser. Diese Männer leben Rollen aus, die wir nicht ausleben können. Man selbst wird zum Voyeur: Es ist so, als würde man einem Film zuschauen, nur dass dieser Film das echte Leben ist. Und das ist auch der Grund, warum Tekashi 69 & Co so populär sind.
Lechler: Ist dieser Erfolg dann eigentlich moralisch vertretbar? Darf man die Songs von einem wie Tekashi69 reinen Gewissens hören?
Smarzoch: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann dazu nur folgendes sagen: Kunst ist kein Schutzraum, kein safe space, sondern eine Zone, in der Ambivalenzen, Dissonanzen und Unstimmigkeiten durchaus auszuhalten sind und reflektiert werden sollten. Denn diese Reibungen machen sie letztendlich interessant.