In der Popmusik wurde Protest lange Zeit eher als links definiert, als weltoffen, pazifistisch, das geht bei Pete Seeger los und hört mit den 68ern lange nicht auf. Und Pop gilt gerade wieder als besonders politisch, im Zusammenhang mit der Black Lives Matter-Bewegung. Childish Gambino ist so ein Beispiel mit seinem Song "America". Doch Popkultur kann sich auch mit reaktionären Tönen verbinden, über diesen Prozess haben wir mit dem Kolumnisten Jens Balzer gesprochen.
Fabian Elsäßer: Hat der Pop durch die Politisierung in der "Black Lives Matter"-Bewegung wieder zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgefunden?
Balzer: Ja, das ist ja die Frage, ob es so etwas wie eine ursprüngliche Bestimmung des Pop gibt und worin sie besteht. Im Moment sind ja alle sehr erfreut, wie sich Pop wieder mit politischen Botschaften verbindet, Stichwort "Black Lives Matter". Ich finde aber man sollte in dem Zusammenhang wenigstens gelegentlich mal daran erinnern, dass Pop ja nun nicht zwangsläufig und durchgängig auf der Seite der politischen Emanzipation stand und steht. Das ist so ein notorisches Bild, das aus den 60er-Jahren kommt, als gegen den Vietnamkrieg angerockt wurde und für eine bessere Welt. Und als Sängerinnen und Sänger wie Nina Simone, Aretha Franklin und Marvin Gaye, dem schwarzen Civil-Rights-Movement schon mal eine musikalische Stimme gegeben haben.
Da sah man und sieht man, dass Pop immer gut darin ist, Gemeinschaftsgefühl zu stiften. Also das Gefühl, dass man mit seiner Unzufriedenheit, mit der Welt oder mit dem Leiden an ihren mit seinen Diskriminierungserfahrungen nicht allein ist. Und auf diese Weise kann Popmusik dabei helfen, bereits bestehende politische Haltungen zu festigen und zu verstärken, durch kollektives, wie man heute sagt, Empowerment. Und dabei ist es aber erst einmal gleich, ob diese Haltungen emanzipatorisch sind oder reaktionär.
Nazi-Rock als klassische Protest-Musik
Elsäßer: Das heißt, es gibt reaktionäre Formen der Popmusik. Was wäre denn eine?
Balzer: Das erste, was einem einfällt, ist natürlich Nazi-Rock, ganz banal, dessen Geschichte sich übrigens bis in den Punk-Rock der Siebziger zurückverfolgen lässt, der gerade deswegen auch keineswegs so eindeutig links und emanzipatorisch ist, wie die Freunde des Punk-Rock das gerne behaupten.
Bei einem der legendären Sex Pistols Konzert in Manchester, die man als Initialzündung des Punk betrachtet, haben sich unter anderem auch die Leute getroffen, aus denen dann später Screwdriver hervorging, also die wichtigste Band des frühen Nazi-Rock und die Keimzelle und Organisationszelle der Blood and Honour-Bewegung, deren Geschichte sich dann wiederum bis zur deutschen NSU-Terrorgruppe weiterverfolgen lässt.
Also, wenn man so will, kann man sagen Nazi-Rock ist auch klassische Protestmusik, ein Empowerment-Soundtrack für Menschen, die sich als Minderheit empfinden. In einer Gesellschaft, von der sie nicht das erhalten, was ihnen ihrer Ansicht nach zusteht. Das sind nämlich weiße Männer, die sich als weiße Männer diskriminiert fühlen, weil die Welt um sie herum zu multikulturell wird, zu weiblich oder zu queer oder zu jüdisch.
Elsäßer: Wie ist es denn mit der neuen Rechten? Welche Rolle spielt Nazi-Rock für die?
Balzer: Bei der Neuen Rechten ist es so, dass der Nazi-Rock von den Wortführern der Identitären-Bewegung als zu proletarisch und primitiv empfunden wird. Deswegen hat da der Nazi-Rock in den letzten Jahren keine Rolle mehr gespielt. Da legt man eher großen Wert darauf, sich so ein neobürgerliches oder hipsterhaftes Image zu verschaffen.
Und deswegen haben sich die neuen Rechten eine Weile lang auch sehr schwer damit getan, einen adäquaten popmusikalischen Soundtrack für sich zu finden. Von der Musik, mit der man im Moment die meisten jungen Menschen erreicht, also vom Hip-Hop, haben die sich lange ferngehalten, weil Hip-Hop natürlich tief in der afroamerikanischen Emanzipationsgeschichte wurzelt und eine Musik ist, die wesentlich von Migranten und Minderheiten geprägt wurde. Das waren Vorbehalte, die es lange gab, die sind in der neuen Rechten inzwischen verschwunden zugunsten eines ganz strategischen Verhältnisses zum Hip-Hop.
Einer der gegenwärtig erfolgreichsten Rapper in Deutschland ist Chris Ares, der wurde letztes Jahr bekannt mit den Stücken "Neuer deutscher Standard", in dem er erklärt, das er den Hip-Hop von der Herrschaft der Drogen-Rapper und der Autotune-Migranten-Bande befreien will. Er hat zahlreiche Verbindungen zur Identitären-Bewegung. Mit seinem Debütalbum "Ares" wäre er letzten Monat im Juli auf Platz 1 der Albumcharts eingestiegen, hätten nicht kurz vor dem Erscheinen Amazon und Spotify ein Boykott gegen ihn beschlossen.
Elsäßer: Also kann man sagen, dass Chris Ares den deutschen Hip-Hop ja von links auf rechts gedreht hat?
"Der deutsche Hip-Hop war in weiten Teilen schon immer reaktionär"
Balzer: Ja, ich weiß gar nicht, ob da besonders so viel zu drehen war. Der deutsche Hip-Hop war ja auch vorher schon in weiten Teilen sexistisch, homophob, antisemitisch und also reaktionär. In wesentlichen politischen Grundüberzeugungen stehen sich, sagen wir mal Haftbefehl und Kollegah auf der einen Seite und Chris Aris auf der anderen Seite, näher, als es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat.
Alle Beteiligten sind ja zum Beispiel auch begeisterte Vertreter von Verschwörungstheorien. Von Kollegah gibt es zum Beispiel dieses bekannte Video namens "Apokalypse" von 2016, eine epische Geschichte der Menschheit im Kampf gegen das Böse, und das Böse ist dann ein gesichtsloser Herrscher mit einem Davidstern-Ring am Finger, der das weltweite Bankensystem insgeheim kontrolliert. Chris Ares hat letztes Jahr zusammen mit zwei Kollegen namens Absztrakkt und Ukvali einen Rap namens "Sündenpfuhl der Macht" herausgebracht, da verbinden sich geradezu vorbildlich esoterische Fantasien mit den Verschwörungstheorien von geheimen Mächten und dem tiefen Staat und dem Aufruf zur Gegenwehr durch das wahre Volk. Das ist eigentlich der perfekte Soundtrack für die Anti-Hygiene-Demonstrationen, mit denen wir hier in Berlin inzwischen jedes Wochenende das Vergnügen haben.
Wobei man, um mal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, an der Stelle ja auch gar nicht mehr sagen kann, ob das nun im klassischen Sinne ein emanzipatorischer oder reaktionärer Protest ist, so heterogen wie die da demonstrierenden Massen zusammengesetzt sind. Also für diese Protestbewegung, die da gerade entsteht, hat der deutsche Hip-Hop die passende Ästhetik längst entwickelt. Insofern kann man vielleicht sagen, dass der Pop gerade wieder ganz vorne dran ist an den zeitgenössischen Protestbewegungen, wenn auch vielleicht nicht immer so, wie man sich das als aufgeklärter, liberaler Staatsbürger wünscht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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