Lange hat es gedauert, doch jetzt ist eine entscheidende Hürde genommen: Die Große Koalition will den letzten überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs eine Entschädigung für das ihnen durch Deutschland zugefügte Leid zahlen. Heute beschloss der Haushaltsausschuss, dafür die Summe von zehn Millionen Euro freizugeben. Schätzungen gehen von etwa 4000 Betroffenen aus – jeder von ihnen soll nun 2500 Euro erhalten. Für Eberhard Radczuweit, Vorsitzender des Vereins Kontakte-Kontakty, eine unverhofft gute Nachricht. Seit zwölf Jahren kämpft der Verein für die deutsche Anerkennung des Leids der Rotarmisten – gegen hartnäckige Widerstände vor allem aus dem Unionslager: "Es gab keine Gegenargumente mehr. Insofern übrigens spreche ich nicht von Entschädigung, man spricht allgemein von Anerkennungsbeiträgen, das ist ein etwa ungewöhnlicher Begriff, aber er trifft den Nagel auf den Kopf. Denn was den Leuten fehlte, ist Anerkennung des Unrechts. Sowohl von deutscher als auch von einheimischer Seite."
Der Entscheidung vorweg gingen Anträge der Grünen-Fraktion und der Linkspartei. Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen, begrüßte die Entscheidung ausdrücklich, ebenso wie der Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag Jan Korte: "Das ist der entscheidende Durchbruch, und das zeigt natürlich, dass man auch aus der Opposition heraus was bewirken kann, dass Argumente manchmal doch bei der großen Koalition zählen. Und es ist natürlich vor allem der Verdienst von vielen Initiativen, Wissenschaftlern und kritischen Journalisten, und auch der Linken, die seit Jahren für die Anerkennung und Entschädigung des Unrechts, das an den sowjetischen Kriegsgefangenen begangen wurde, gekämpft haben."
CDU-Abgeordneter: "Das übersteigt unsere Vorstellungskraft"
Noch im Februar hatte die menschenrechtspolitische Sprecherin der Union, Erika Steinbach, im Bundestag eine Entschädigung abgelehnt. Und CDU-Haushälter André Berghegger machte für die Union deutlich: "Das Unrecht im Zweiten Weltkrieg können wir, glaube ich, nicht in Worte fassen, es übersteigt unsere Vorstellungskraft. Insbesondere die Verbrechen, die in deutschem Namen begangen wurden. Die menschenunwürdigen Behandlungen von Kriegsgefangenen war dabei jedoch nur eine von zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die sich die Kriegsgegner gegenseitig zugefügt haben."
Die sowjetischen Kriegsfangenen gehören zu den vergessenen Opfergruppen des Nationalsozialismus. Mehr als die Hälfte von 5,7 Millionen Rotarmisten sind in deutschen Lagern umgekommen. Als Angehörige minderwertiger "asiatischer Horden" wurden sie systematisch erschossen, vergast, dem Hungertod preisgegeben. Anders als für die Westalliierten, die vergleichsweise gut behandelt wurden, galt für sie die Genfer Konvention nicht. Hundertausende wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Für ihr Leid entschädigt wurden die Überlebenden nie.
"Man kann sagen, dass sie mit über drei Millionen Toten die größte Opfergruppe der Nazis nach den Juden Europas waren. Und während diese natürlich anerkannt werden und die Leugnung des Holocaust ist zu Recht strafbar, hat man den sowjetischen Kriegsgefangenen allgemeines Kriegsunrecht attestiert, nur allgemeines Kriegsunrecht – das empfinden wir als schlimm", betonte Radczuweit.
Auch als die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" im Jahr 2000 begann, Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter auszuzahlen, gingen die sowjetischen Gefangenen leer aus. Dass es jetzt doch zu einem Umdenken bei den Christdemokraten kam, hat offenbar auch mit einer Sachverständigen-Anhörung im Haushaltsausschuss am vergangenen Montag zu tun. Alle fünf Historiker sprachen sich klar für die Anerkennung des Unrechts und eine Entschädigung aus. Und auch die Rede von Bundespräsident Joachim Gaucks anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes hat die Dinge in Bewegung gebracht. Darin hatte er die Verantwortung Deutschlands für den Tod von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener betont.