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''Soylent green ist Menschenfleisch, sagt es allen''

René Pollesch untersucht in all seinen theatralischen Veranstaltungen eine verdinglichte Welt ohne Wirklichkeitsräume, in der keine bürgerlichen Subjekte mehr leben. Polleschs Theaterfiguren sind soziologisch-politologisch theoretisierende menschliche Sprech- und Schreimaschinen. Sie sind längst Bestandteile der Warenwelt, und sie empfinden sich dabei oft schon als Maschinen oder Waren. Aber sie hören wie der Autor nicht auf, nach einem Sinn des Daseins und nach einem Ausweg hinein in Individualität und Emotionalität zu suchen. Das Medium, in dem sie suchen, sind die Trivialfilme mit ihren zu Klischees geronnenen Alltagsmythen. Filme von Cassavetes und Mae West, oder zuletzt der Endzeit-Großstadt-Western "Escape from New York", werden dabei nicht etwa auf der Theaterbühne nacherzählt, sondern quasi kritisch übermalt, indem Pollesch sie nur als konzeptionelle Ideen- und Stichwortgeber ausbeutet für eine spielerische Auseinandersetzung mit Kapitalismus und Globalisierung. Polleschs so ungemein ernsthaften wie zugleich parodistischen Wissenschafts-Sprachspielereien sind hoch intelligente Konzeptkunst. Theatralische Effekte bieten Polleschs Performances kaum. Sie kreisen redundant in sich, während ihre Bedeutungsfiguren ihren theoretischen Jargon durch die syntaktische Mühle drehen und in regelmäßigen Abständen in hysterische Kreis- und Schimpforgien ausbrechen. Für sein neues Projekt mit dem Titel "Soylent green ist Menschenfleisch, sagt es allen weiter" im Prater der Berliner Volksbühne hat Pollesch seinen bekannten Mitteln ein neues hinzu gefügt. Es handelt sich um das Flüstern in das Mikrophon.

Von Hartmut Krug | 11.01.2003
    In Richard Fleischers Science-Fiction-Film "Soylent green" aus dem Jahr 1973 ernährt sich die Bevölkerung in einer Zeit, in der es kaum noch Brot oder Fleisch gibt, von grünen Keksen. Ohne zu wissen, dass die aus dem Fleisch von Menschen hergestellt werden. Während in Paul Thomas Andersons "Boogie nights" aus dem Jahr 1997 mit dem Blick auf die Pornoproduktion Fleisch ganz anders wahrgenommen wird. Burt Reynolds als alternder Produzent fordert hier genau das für seine Filme, was René Pollesch für seine Performances vermeidet: durchgehend erzählte gute Geschichten mit echten Figuren und Gefühlen, gespielt von verwandlungsfähigen Schauspielern. Untermalt mit einem Siebziger-Jahre-Soundtrack aus Cat Stevens und David Bowie, lässt Pollesch seine Spieler nun über Fleisch und Geld, über Handel und Identität, über Wahrheit und Entblößung reden. Dabei beginnt und endet er mit kurzen Reflektionen aus "Soylent green", doch vor allem durchreden die Darsteller die Situation der Pornodarsteller. Dabei durchmischt sich der theoretische Diskurs mit der drastisch obszönen Sprache aus der Pornowelt.

    Das Publikum sitzt auf Drehstühlen mitten in dem von Bühnenbildner Bertz Neumann für diese Spielzeit zu einer U-förmigen Wohnlandschaft umgebauten Prater. Doch diesmal sind die meisten Zimmer mit Leinwänden verhängt. Auf die das, was hinter ihnen passiert, projiziert wird. Die Schauspieler sieht man kaum je live-haftig: dieser knapp zweistündige Abend ist zu 90 Prozent eine Videoshow. Die Darsteller kuscheln sich hinter den Leinwänden aneinander und hauchen ihre Texte in die Mikrophone. Die Kamera geht ganz dicht an die Gesichter und Münder heran, als solle das Verborgene und Verdrängte enthüllt werden. Gelegentlich wechseln sie die Positionen, und zuweilen überschütten sie sich mit Geldscheinen. Sonst aber reden sie unentwegt über das, was, damit dieser funktioniert, im real existierenden Kapitalismus keine wirklich genau analysierten Begriffe sind: nämlich Geld und Sex. Während der ausdrucksstarke Volker Spengler wenig mehr tut als seinen massigen Körper immer wieder vor die Kamera zu wuchten und seine Gesichtslandschaften von der Kamera durchforsten zu lassen, wirken die übrigen vier aufgedrehten Darsteller fast austauschbar. Dabei klingen die Frauen allesamt wie Kopien des diesmal nicht beteiligten Volksbühnenstars Sophie Rois. Insgesamt wirkt die Aufführung ebenso konsequent wie unendlich monoton. Nach kaum einer halben der zwei Aufführungsstunden hat René Pollesch alles gesagt: dann gibt es nur mehr gekreischte oder geflüsterte Wiederholungen.

    Durch die schmalen, kaum zu variierenden Bühnenmittel von René Pollesch bleibt allerdings der sinnliche Gewinn auch seines neuen Rede- und Denkstückes mehr als gering. Zwar überzeugt es konzeptionell und intellektuell wieder. Trotzdem offenbarte die Bühnenkonstruktion, bei der man als Zuschauer auch jeden anderen Zuschauer im Blick hatte, ein bei Pollesch bekanntes Phänomen: viele der Kritikerkollegen, die stets Elogen auf Pollesch schreiben, dösten gelangweilt dahin. Aber nicht nur sie, auch das später einverständig applaudierende Publikum tat dies im Bewusstsein, dass man mit Polleschs angesagtem kritischen Theater voll im richtigen Trend liegt. Spaß muss es ja nicht immer machen.....?

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