Archiv

Sozialarbeit
Rezepte gegen Schulverweigerung

Es gibt in Deutschland geschätzt 300.000 regelmäßige Schulschwänzer. Das Wuppertaler Apeiros-Institut versucht, einige davon wieder in den Lernalltag zurückzuholen. Das Rezept ist keine ausgefuchste Bildungs-Strategie, sondern beruht auf Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Konsequenz. Drei Aspekte, die den Jugendlichen in anderen Schulen fehlen.

Von Anja Kempe | 09.02.2015
    Ein Klassenzimmer mit Tafel.
    Vor 30 Schülern an die Tafel oder zu zweit in einer Arbeitsgruppe? Mit letzterem bekommt man notorische Schulschwänzer wieder in den Lernalltag zurück. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Es gibt in Deutschland geschätzt 300.000 regelmäßige Schulschwänzer. Das Wuppertaler Apeiros-Institut versucht, einige davon wieder in den Lernalltag zurückzuholen. Das Rezept ist keine ausgefuchste Bildungs-Strategie, sondern beruht auf Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Konsequenz. Drei Aspekte, die den Jugendlichen in anderen Schulen fehlen.
    "Wie viel ist 20 mal zwei?"
    Lena zupft an ihren rosa gefärbten Haaren und schaut fragend in die Runde. In dem 50 Quadratmeter großen Unterrichtsraum sitzen an sieben Tischen zehn Jungs und Mädchen. Einige haben die Ohrstöpsel ihrer Smartphones neben ihre Hefte gelegt.
    Alle diese Schüler und Schülerinnen haben in den elementaren Fächern wie Mathe, Englisch und Physik große Lücken, denn sie sind professionelle Schulschwänzer.
    "Ich hatte über 200 Fehlstunden! Ich war auch im Gefängnis wegen der Schule!"
    "Fünfzehn mal bin ich nicht zur Schule gegangen. Hab' ich zu 'ner Lehrerin gesagt, fick' dich."
    "Ich hab' mich einfach abgemeldet. Ich hab' geschrieben, ich möchte mich hiermit offiziell von der Schule abmelden, und hab' dann noch die gefälschte Unterschrift von meiner Mutter drunter geschrieben."
    Das Wuppertaler Apeiros-Institut ist eine Auffangstelle für Schulmüde. Rund 40 Schüler und Schülerinnen können hier in zwei Blöcken pädagogisch betreut werden. Die einen kommen vormittags, die anderen am Nachmittag. Finanziert wird die Stätte als freier Träger der Jugendhilfe hauptsächlich vom Land NRW, der Kommune und dem örtlichen Jugendamt. Ein ehemaliger Oberstudienrat ist der Leiter des Pädagogik-Instituts. Stefan Schwall hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Schulverweigerer wieder fit zu machen für den Regelunterricht. Apeiros ist griechisch und bedeutet so viel wie ‚aus Chaos entsteht Ordnung'.
    "Regelmäßig irgendwo hinkommen, aufstehen, pünktlich sein, alles Fähigkeiten, die die Kinder, die hierhin kommen, nicht mehr haben. Wenn die lange nicht mehr in der Schule waren, dann fehlt denen diese strukturelle Basis, und ohne diese strukturelle Basis kann man Schule nicht bedienen, und das müssen die erst mal hier lernen."
    Rund 300.000 Schulverweigerer
    Zwölf Millionen schulpflichtige Kinder gibt es in Deutschland. Rund 300.000 Kinder und Jugendliche haben beschlossen, nicht mehr am Unterricht teilzunehmen. Systematische Untersuchungen zum Umfang von Schulverweigerung gibt es nicht. Die Zahlen sind geschätzt, doch Landesministerien weisen auf die zunehmende Problematik hin. Das Schulwesen ist Ländersache. Doch mit wie viel Aufwand und mit welchen Maßnahmen sich ein Land um soziale Schulangelegenheiten kümmert, ist unterschiedlich. Und wie viel Geld für schulische Belange am Ende in den Kommunen landet, und wofür es dann ausgegeben wird, ist nicht einheitlich geregelt und schwankend. Länder-übergeordnete Gelder gibt und gab es immer wieder, zum Beispiel aus dem Bildungs-Teilhabepaket des Bundes 400 Millionen Euro pro Jahr. Von 2011 bis 2013 wurde dieses Geld für Schulsozialarbeit zur Verfügung gestellt. Stefan Schwall vom Wuppertaler Pädagogik-Institut sieht solche Projekt-Programme skeptisch.
    "Meine große Kritik an diesen ganzen Projekten ist, zum Beispiel hat der Europäische Sozialfonds die "Zweite Chance" als Programm durch die Republik gejagt, und da muss man sich drauf bewerben als Träger, und da bewerben sich dann 300 Träger, und die haben aber kein echtes Konzept, die ziehen sich was aus den Rippen und sind aber keine Experten in dem Bereich, und die sollen dann die Schulverweigerung bearbeiten, und dann kommt immer das gleiche raus, das sind immer Beratungsansätze und die greifen nicht."
    Das Programm des Europäischen Sozialfonds "Zweite Chance", das jugendlichen Verweigerern zu einem Schulabschluss verhelfen sollte, lief Ende 2013 aus. Eine Sprecherin des Bundesministeriums kündigt auf Anfrage ein neues ESF-Förderprojekt auf Zeit an. Das Programm "Jugend stärken im Quartier" ist im Januar angelaufen und stellt bis 2020 insgesamt 190 Millionen Euro zur Verfügung - mit denen grundsätzlich auch Vorhaben gegen Schulverweigerung gefördert werden könnten. Aber nicht müssten.
    "20 x 9 = 180. Okay, du hattest recht."
    Lena und Nicole sind mit der Kunst des Multiplizierens beschäftigt. Wer nicht weiter weiß, kann jederzeit nachfragen, es sind immer Lehrkräfte und Sozialarbeiter im Raum. Nicole ist 14 Jahre alt und seit vier Monaten bei Apeiros. Ein halbes Jahr lang ist sie nicht mehr zur Schule gegangen.
    "Ja die Lehrer waren da ziemlich scheiße, wenn man nicht so nach ihrer Nase getanzt hat, dann konnten die schon wirklich schlimm werden. Wenn die gesagt haben, mach' mal das, hab' ich gesagt, nein, ich hab' keine Lust darauf, und das hat die Lehrer auch schon so genervt."
    Nicole holt jetzt den versäumten Matheunterricht nach. Julia Kellner, eine der Sozialpädagoginnen, gibt Hilfestellung.
    "Pro Tisch sitzen immer maximal zwei Kinder. Weil viele Kinder, die wir hier haben, möchten alleine arbeiten. Und dass sie auch einen Gesprächspartner haben, mit dem sie über ihre Probleme sprechen können, das ist der größte Unterschied, dass sie sich auch mitteilen können, dass kein Kind verloren geht, dass jeder sich betreut fühlt. Das soll gewährleistet werden."
    Nachholen ohne Druck
    Frontalunterricht gibt es hier nicht. Die Jugendlichen dürfen selbst entscheiden, welches Fach sie üben möchten. Das soll ihnen den Druck nehmen.
    "Wir machen jetzt Geometrie."
    Der 15-jährige Dennis zeichnet mit Bleistift eine Gerade in sein Heft. Seine Eltern sind geschieden, die Mutter ist berufstätig, verdient den Unterhalt der Familie. Dennis war auf der Hauptschule, mit zum Schluss 200 Fehlstunden.
    "Ich kam mit den Lehrern nicht klar. Und seitdem bin ich nicht mehr zur Schule gegangen. Dass die Lehrer aufmerksam werden. Aber die haben nicht mal bei mir zuhause angerufen und gefragt, wo ich bin. Gar nichts. Ich hab' gedacht, die machen das mal. Ham se nicht gemacht. Ich wurde komplett ignoriert. Ich war Luft für die."
    "Es hat geknallt. Und Sie sitzen dann da und sagen, ja, was sollen wir jetzt machen."
    Auch Sebastian hat sich jeden Morgen geweigert, in die Schule zu gehen, berichtet seine Mutter Martina Dörper. Sebastian ging aufs Gymnasium.
    "Ich hab' Situationen gehabt, er stieg nicht aus dem Auto aus. Bin ich hoch zu der Lehrerin, hab' gesagt, verdammt noch mal, Sie sind die Pädagogin, sagen Sie mir, was ich jetzt machen soll, der steigt nicht aus. Da sagt die nur, ja, der muss kommen."
    Die Mutter von Sebastian war mit ihrem Latein am Ende. Hilfe bekam sie nicht.
    "Es ist von der Schule nie eine Info gekommen, machen Sie das und das. Gab's nicht. Wir haben es so erfahren, dass wir von der Schule wir immer nur zu hören kriegten als eine Konsequenz, dass er eine Woche nicht zur Schule gehen durfte. Ja, jemand, der doch schon versucht, um Schule rumzukommen, was war das für eine Konsequenz? Und wenn wir sagten, wir haben den Kinderpsychologen, und er möchte gerne mal sich mit den Lehrern zusammensetzen, dann haben wir durchaus so Antworten gehört, nimmt das viel Zeit in Anspruch?"
    Müssen Lehrer auch erziehen?
    Was kann Schule leisten. Lehrer und Lehrerinnen wehren sich gegen die zusätzlichen Erziehungsaufgaben, die sie neben der Vermittlung von Wissen erledigen müssten. Sie seien damit überfordert. Diesen Eindruck hat auch Emel Altintas vom Apeiros-Institut.
    "Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben. Normalerweise müsste die Schule genau das tun, ohne uns, also die Schulpflicht umsetzen, aber wer ist dafür zuständig. Das ist dann immer die Frage."
    Eine Lücke im Sozial- und Schulsystem decke das Wuppertaler Modell ab, erläutert sie. Für Schulschwänzer fühle sich keine Stelle so recht zuständig.
    "Wir haben den Lehrer, wir haben den Schüler, das Elternhaus, das Jugendamt, das Ordnungsamt, und das Jugendamt sagt, wenn das Kind nicht zur Schule geht, ist nicht unser Problem, und die Schule sagt aber, mehr kann ich nicht tun, und dementsprechend wollen die das gerne weiter verweisen."
    Bleibt ein Kind unentschuldigt dem Unterricht fern, muss der Lehrer die Eltern ansprechen, in der Hoffnung, die Eltern kümmern sich darum, dass das Kind wieder zur Schule geht. Ist dies nicht der Fall, muss die Schule das Jugendamt informieren, das wiederum die Eltern beraten soll. Hilft das alles nichts, kann ein Bußgeld verhängt werden, in gravierenden Fällen auch Jugendarrest.
    "Wir gucken, welche Stellen behindern, die Schulpflicht einzufordern. Wir gehen eben nicht davon aus, dass man über gutes Zureden die Kinder dazu bewegt, wieder zur Schule zu gehen."
    Apeiros arbeitet zweigleisig, einmal auf pädagogischer Basis mit den schulverweigernden Kindern, und außerdem auf struktureller Ebene in den Institutionen. Emel Altintas ist zuständig für diesen "Außendienst".
    "Wir gehen dann mit unserem Ansatz in diese Schulen rein, und die Lehrer müssen Fehlzeiten ausfüllen. Wir arbeiten mit einem Softwareentwickler zusammen, der diese verwaltungstechnischen Sachen erleichtern soll, dass man per Knopfdruck Mahnungen, Bußgelder, auch ausfüllen kann. Und man kann die Erfolge erziehen, es ist allerdings sehr aufwendig. Wir haben verschiedene Lehrer, die schon seit Jahren ihren Beruf auf eine ganz bestimmte Art und Weise ausüben, und es auch manchmal wirklich schwierig wird, da eine Überzeugung, das sollte eine Entlastung für die Lehrer sein."
    Eingefahrene Strukturen zu verändern, sei kaum möglich, meint die Pädagogin.
    "Zum Beispiel haben wir einfach mal angefangen, ganz systematisch alle Mahnungen und Bußgelder rauszuschicken und haben dann gemerkt, dass die Bußgeldstelle eingekracht ist, weil sie nur mit einer halben Stelle besetzt war. Das heißt, die Schule kann gar nicht ihre Schulpflicht einfordern, wenn verwaltungstechnisch diese Kapazität nicht gegeben ist."
    Lehrer sind "eigentlich nicht ansprechbar"
    "Ja mir hat die Schule einfach nicht mehr gefallen. Nach einer Zeit macht es auch keinen Spaß mehr, finde ich. Deswegen musste ich die Schule schwänzen."
    Fayha sitzt in Treppenhaus und ist ihrem Handy beschäftigt. Seit drei Monaten geht sie in das Wuppertaler Pädagogik-Institut. Ihre Eltern sind vor 18 Jahren aus Marokko eingewandert und ihre beiden Geschwister haben hier erfolgreich die Schule abgeschlossen. Fayha ging auf eine Gesamtschule.
    "Die Lehrer, zu uns sagen die immer, wenn ihr Probleme habt, könnt ihr jederzeit zu uns kommen, wir sind gerne ansprechbar. Aber das sind die eigentlich gar nicht."
    Sie kann sich nicht vorstellen, da noch einmal hinzugehen, erzählt sie und zieht energisch an dem Ring ihres Lippen-Piercings.
    "Schade, dass Apeiros keine Schule ist. Hier bekommt man auch Hilfe, und man wird viel unterstützt von jedem. Hier ist das halt anders."
    Personalaufwendig ist das Apeiros-Konzept, und es kostet Geld. Bei einem Personalschlüssel von einer Lehrkraft und einem Sozialarbeiter für vier Schulschwänzer müssen für einen Platz in dem Wuppertaler Institut rund 1200 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Erkennt das örtliche Jugendamt den Bedarf an, wird dieser Platz über die Jugendhilfe bezahlt.
    "Also wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, kommen die Kinder hierhin."
    Die Kinder und Jugendlichen müssen jeden Tag zwei Stunden lang anwesend sein, berichtet Stefan Schwall. Das sei Pflicht.
    "Die, die nicht kommen, die werden abgeholt, da fährt morgens jemand vorbei, holt die ab, und dann ist es so, dass konsequent jeden Tag jemand dort hinfährt und auch dort bleibt, dass der Schüler mitkriegt, er kommt mit seinem Ausweichverhalten nicht durch. Es bleibt weiter lästig. Und das führt dazu, dass sie dann ihre Strategie ändern und sagen, okay, es ist vielleicht weniger lästig, da hinzugehen, als da jemanden zu haben, der meinen Ablauf stört. Und das führt meistens sofort zur Verhaltensänderung."
    Die Erziehungshaltung der Wuppertaler Pädagogen nennt Stefan Schwall "Soziale Integration durch systematisches Vorgehen".
    "Die Eltern haben alle ganz unterschiedliche Erziehungsstile. Und aufgrund irgendwelcher Problemlagen kommen die mit ihrer Erziehung nicht mehr durch, erreichen das Kind mit dieser Erziehung nicht und scheitern. Aber das Prinzip ist eigentlich ziemlich simpel. Typische Erziehungsmethoden sind ja tatsächlich Einschränkung von Privilegien, z. B. einen Rechner abschalten oder ein Handy wegnehmen, das machen ja viele Eltern. Aber in Krisen wehren sich die Kinder ganz massiv dagegen, brüllen ihre Eltern an oder bespucken sie oder greifen sie auch an, und die Eltern haben dann Angst, ganz genau das zu machen. Und in diesen Fällen machen wir das für die Eltern. Um den Eltern zu zeigen, dass das greift. Einige Kinder nehmen Erwachsene einfach nicht mehr ernst, weil sie gelernt haben, die erzählen einfach was und es passiert nichts. Und das muss man rückgängig machen."
    "Ich tu mir diesen Stress nicht an"
    Dominik schiebt sein Kaugummi im Mund hin und her. Er ist 13 Jahre alt.
    "Ja. Ich hab' mal Eier gegen die Schule geworfen, also die Fensterscheibe."
    "Ich hatte 'ne gewisse Angst vor fremden Dingen."
    Jama steht kurz vor dem Abi. Seine Eltern stammen aus Afghanistan. Jama hatte Angst vor der Schule.
    "Wenn ich einen Tag gefehlt habe, dann wollte ich am zweiten Tag nicht in die Schule gehen, weil ich keine Begründung dafür hatte, warum ich am ersten Tag gefehlt habe. Und letztendlich hab' ich mir überlegt, ich tu mir diesen Stress nicht an und hab' mich dann selbstständig dort abgemeldet."
    Die Erfolgsquote von Apeiros ist hoch. Nach durchschnittlich sechs Monaten nehmen 80 Prozent der Schulverweigerer wieder am Regelunterricht teil. Doch es ist ein punktueller Erfolg, der bundesweit nicht erzielt wird.
    Das schulische Fachpersonal ist weitgehend ratlos. Viele Lehrer und Lehrerverbände rufen nach einer zeitlich unbegrenzten Verankerung von Sozialarbeitern an jeder Schule. Viele Kultusminister schließen sich dem an. Schulabstinenz, steigende Gewaltbereitschaft der Schüler und die Bewältigung der Inklusion verlangten nach organisierter Hilfestellung. Schon im vergangenen Jahr plädierte die KMK-Präsidentin und Grünen-Politikerin Sylvia Löhrmann für die dauerhafte Implementierung zusätzlicher Fachkräfte an deutschen Schulen durch den Bund.
    "Meine Vorstellung - persönlich und als grüne Politikerin, sage ich jetzt ausdrücklich dazu - wäre, dass der Bund - das wäre das Sauberste - an den sozialpolitischen Themen seine Verantwortung wahrnimmt. Und das ist dann die Sozialarbeit, das sind die Integrationshelfer, die auf das Sozialgesetzbuch zurückgehen."
    Der Bund in der Pflicht
    Auch der Bundeselternrat sieht einen grundsätzlichen Handlungsbedarf. Er fordert, Zitat, zur "Vermeidung von Schulabstinenz und für das Konfliktmanagement im schulischen und außerschulischen Bereich" einen bundesweiten und "bundesverantwortlichen Aktionsplan". Was von unten nicht klappt, müsse von oben gerichtet werden. Wolfgang Pabel vom Bundeselternrat erklärt das.
    "Der Bund muss sich hinsetzen, sich darüber Gedanken machen, wie er Schulsozialarbeit finanziell verbindlich regeln will. Das heißt, dass wir hier den Bund in der Pflicht sehen und nicht mehr die Länder und nur die Kommunen, so wie es zur Zeit läuft."
    Da wo die Länder zuständig sind, darf der Bund nicht hineinreden und eben auch nicht hineinfinanzieren, zumindest nicht unbefristet. Kooperationsverbot nennt man das. Dieses Prinzip fördert und stärkt die föderale Idee. Im Dezember 2014 aufgehoben wurde das Kooperationsverbot für Hochschulen. Das heißt, ab 2015 werden den Universitäten langfristige Gelder aus Bundesmitteln bereitgestellt. Für die Schulen in Deutschland gilt aber weiterhin die alte Regelung, keine Mitsprache und kein Geld von oben, auch nicht für Schulsozialarbeit. Der Bundeselternrat jedoch fordert das nun. Der Bund soll bundesweite Schul- und Jugendsozialarbeit bezahlen - erklärt Wolfgang Pabel. Ob dies eine realisierbare Lösung ist, vermag er nicht einzuschätzen.
    "Es wird teurer! Ich würde aus meiner Sicht, auch aus unserer Forderung des Bundeselternrates, ich rechne ja mit fünf Milliarden. Und ich glaube, die Kommunen wären hoch dankbar, wenn sie hier entlastet werden von den übergeordneten Stellen. Die Frage ist, ob das der Bund akzeptiert, weil er eben eine Summe Geld in die Hand nehmen muss."
    Dass mit einem Jahresetat von fünf Milliarden Euro kontinuierlicher und vielleicht auch systematischer gearbeitet werden könnte, ist einleuchtend. Doch es würde dauerhaft ein Modell zementiert jenseits dessen, was eigentlich die Elternhäuser erledigen müssten. Erziehungsarbeit ist Elternarbeit. Wolfgang Pabel vom Bundeselternrat stimmt eingeschränkt zu und wünscht sich eine zentral finanzierte Erziehungsfeuerwehr auch für Eltern. Quasi einen Bundessozialarbeiterdienst für Mütter und Väter.
    "Die Eltern sollen natürlich die Strukturen bieten, die Kinder brauchen, dass sie ein geregeltes Leben führen, dass man morgens aufsteht, dass man die Kinder dahin erzieht, sich an Regeln und an Strukturen zu halten. Und wenn Eltern das vielleicht aufgrund gesellschaftlicher Strömungen nicht mehr wollen oder nicht mehr können, da ist die Jugendsozialarbeit ein wichtiger Baustein, die dann eben in die Familien geht und dann auch hilft, wenn es Hilfen zur Erziehung braucht. Und ich glaube gerade an dem Thema Schulverweigerung macht sich dieses fest, dass man eben genau in die Elternhäuser geht, zusammen mit den Kindern darüber nachdenkt, welche Unterstützung in der Erziehung brauchen die Eltern. Dann fährt mal ein Sozialarbeiter los. Denn es ist ja nicht so, dass Eltern, wenn sie Hilfe brauchen, sich auch Hilfe besorgen, auch da brauchen sie Unterstützung."
    Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Konsequenz
    Nicole hört "Slow Motion" von Shindy und zählt zwei Mathegleichungen zusammen.
    Das Apeiros-Institut in Nordrhein-Westfalen, das hauptsächlich über die Wuppertaler Jugendhilfe finanziert wird, trägt sich seit 2011 und soll in anderen Städten des Landes ausgebaut werden. Nicht allein auf Sozialarbeiter in den Klassenzimmern der Lehrer und den Wohnzimmern der Eltern setzt Stefan Schwall, der pädagogische Leiter. Auch die Eigenverantwortung der Jugendlichen soll gefördert und gestärkt werden.
    "Das ist die Hauptaufgabe, die wir haben, dass wir die für eine bestimmte Zeit hier aufgreifen und sie lernen, Verantwortung für ihren Bildungsprozess zu übernehmen, weil sie nicht auf Erwachsene hoffen können, weder auf ihre Eltern, noch auf die Schule."
    Das was die Pädagogen von Apeiros den Schülern und Schülerinnen anzubieten haben, ist nicht kompliziert und dürfte auch für Lehrer und Eltern anwendbar sein: Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Konsequenz im Handeln.
    "Man wird aufgefordert, leise zu sein, also man hat mehr Motivation."
    "Also es wird klar gemacht, dass das die Lehrer sind, und das ist etwas, was man nach 'ner Zeit anfängt, zu schätzen."
    "Die haben ihn geholt, und dann ist unser Sohn, der ist mitgefahren. Der hat den nicht noch ein Mal kommen lassen."
    Auch Nicole hat sich entschieden, wieder die Schule zu besuchen. Ihr Ziel ist das Abitur.
    "Jetzt achte ich wirklich darauf, dass ich später einen Job habe, Ausbildung, Abitur und alles."