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Sozialdemokratie in Russland

In Deutschland hat die Sozialdemokratie schon mal bessere Zeiten gesehen. In Russland ist sie im Kommen. Das meint zumindest Michail Sergejewitsch Gorbatschow, letzter Staatspräsident der UdSSR. Er will eine neue sozialdemokratische Partei gründen.

Von Gesine Dornblüth |
    Um Michail Gorbatschow ist es ruhig geworden in letzter Zeit. In seiner Stiftung engagiert er sich für Völkerverständigung und Frieden in der Welt. Er unterstützt die kremlkritische Zeitung Novaja Gazeta. Und in dem unabhängigen Radiosender Echo Moskwy schimpft er immer mal wieder auf die russische Führung, besonders auf den frisch gewählten Präsidenten Wladimir Putin. In demselben Radiosender sprach er sich denn auch schon vor Wochen für eine sozialdemokratische Alternative in Russland aus.

    "Wir müssen die linksdemokratischen Kräfte umgruppieren und eine vereinigte, starke politische Partei gründen. Nur sie kann die Regierung dazu zwingen, die Probleme des Landes zu lösen, oder die Regierung aus dem Amt jagen. Ich bin für ein sozialdemokratisches Projekt für Russland."

    Es ist bereits Gorbatschows zweiter Anlauf als Sozialdemokrat. Bereits im Jahr 2000 gründete er die ROSPD, die "Russische Sozialdemokratische Vereinigte Partei". Er wurde sogar ihr Vorsitzender. Sie zerbrach wenige Jahre später an innerparteilichen Querelen. Dieses Mal will der 81-Jährige den Vorsitz jemand anderem überlassen – wem, lässt er bisher im Unklaren, genauso wie die Frage, wer überhaupt mitmachen will.

    Es gibt ein Problem: Russland hat bereits eine Art sozialdemokratische Partei. Sie heißt "Spravedlivaja Rossija", "Gerechtes Russland" und sitzt sogar in der Staatsduma. 2006 mit dem Segen Putins zunächst als Pseudo-Opposition gegründet, hat sich "Gerechtes Russland" in den vergangenen Monaten mehr und mehr zu einer echten linkszentristischen Alternative gemausert. In diesen Tagen sorgt ihr Mitglied Oleg Schein in der südrussischen Stadt Astrachan für Aufsehen. Der ehemalige Bürgermeisterkandidat fühlt sich um seinen Wahlsieg betrogen, er befindet sich seit einem Monat im Hungerstreik. Die ganze Partei unterstützt ihn – gegen die Regierungspartei. Bei "Gerechtes Russland" ist man gar nicht entzückt von Gorbatschows Ambitionen. Boris Guseletow, zuständig für Internationale Zusammenarbeit bei "Gerechtes Russland":

    "Michail Sergejewitschs Versuch, in die Politik zurückzukehren, hat Retro-Charakter. Ich verehre ihn als Politiker, ich kenne ihn persönlich, aber seine Stärke lag immer darin, dass er Autorität, dass seine Stimme politisches Gewicht hatte. Ich finde, dabei sollte er bleiben. Außerdem ist er sehr unbeliebt. Das spricht auch nicht gerade für dieses Projekt."

    Gorbatschows Initiative ist Teil eines wahren Parteienbooms in Russland. Anfang April hat Noch-Präsident Dmitrij Medwedew ein neues Gesetz unterzeichnet, das es erheblich leichter macht, in Russland eine Partei zu gründen. Seitdem haben sich mehr als 80 Gruppen beim Justizministerium gemeldet, um sich dort als Partei registrieren zu lassen. Die Regierung feiert das als einen liberalen Schritt in Richtung Demokratie. Doch in der Praxis führt es dazu, dass die Parteienlandschaft zersplittert. Politiker, die sich vor fünf oder zehn Jahren in der Not mit anderen Politikern zusammengeschlossen hatten, wittern nun die Chance auf eine eigene Parteikarriere. "Gerechtes Russland" ist deshalb bereits geschrumpft. Die Rentner haben sich abgespalten, um eine eigene Partei zu gründen, genauso wie die Grünen. Boris Guseletow ist sauer.

    "Jetzt werden in Russland dutzende sozialdemokratische, dutzende sozialistische, dutzende kommunistische Parteien auftauchen. Das ist nur darauf gerichtet, die Bürger zu verwirren, ihnen die Wahl zwischen den sozialdemokratischen Parteien zu erschweren. Und indem Gorbatschow da mitmacht, lässt er sich auf die Regeln ein, die die heutige Regierung diktiert. Dass ist sehr schlecht."

    Michail Gorbatschow jedoch ist überzeugt, mit einer neuen sozialdemokratischen Partei große Schichten der Bevölkerung anzusprechen. Er erklärte vorab, seine Anhänger hätten ihn in Hunderten Briefen in dem Projekt bestärkt.

    Mehr bei deutschlandradio.de:

    Gorbatschows sozialdemokratische Ambitionen (Aktuell vom 17.4.2012)

    Vor 25 Jahren hielt Michail Gorbatschow seine Perestroika-Rede (Hintergrund vom 28.1.2012)