"Ja, wenn noch eine Frage ist, gerne, ja gleich hier..." Die Re:Publica 2015. Mittlerweile ein fester Termin der deutschen Netzszene. Es ist Anfang Mai. Wieder einmal treffen sich die Blogger und Nerds aus der ganzen Republik in Berlin. Politisch stehen die meisten hier eher links, Grüne, Piraten, aber auch viele Sozialdemokraten sind unter ihnen. Seit SPD-Chef Sigmar Gabriel beim Thema Datenspeicherung die Gretchenfrage gestellt hat, sind sie alarmiert: Die Basis ist auf den Barrikaden, Fragen gibt es reichlich, ein SPD-Mitglied bringt auf den Punkt, worum es gehen könnte, wenn der kleine Parteitag, der sogenannte Parteikonvent, morgen vor allem über eines streiten wird, über die "VDS", die Vorratsdatenspeicherung.
"Die Gefahr ist doch sehr groß, dass, wenn der Konvent sich gegen die VDS aussprechen sollte, es enorme Probleme für den Vorsitzenden an anderer Stelle geben könnte... Wie ist denn die Bereitschaft in der SPD, zur Not den Vorsitzenden für die Vorratsdatenspeicherung zu tauschen?"
Soweit hat es Gabriel mit seinem unvermittelten Vorstoß kommen lassen: Manche Genossen wollen ihn am liebsten in die Wüste schicken, weil er in ihren Augen gerade dabei ist, einen der zentralen Grundwerte der Sozialdemokratie zu verraten: Die Freiheit des Einzelnen, dessen Telefon- und Internetkontakte nicht ohne jeden Anlass der staatlichen Überwachung preisgegeben werden dürfen.
"Willy Brandt hat bei seinem Verabschiedungsparteitag 1987 gesagt: Deutsche Sozialdemokraten dürfen Kränkungen der Freiheit nie und nimmer hinnehmen – im Zweifel für die Freiheit!"
Henning Tillmann bemüht den großen Vorsitzenden der SPD, um seiner Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung Nachdruck zu verleihen. Der 30-jährige Informatiker ist im Netz viel für die Sozialdemokraten unterwegs, als Mitglied des parteinahen Internetvereins D 64 will er die Sozis in der digitalen Welt auf den richtigen Kurs bringen. "Regierungsfähigkeit heißt nicht, 80 Millionen Menschen flächendeckend und anlasslos zu überwachen!" - So ist der Aufruf überschrieben, sich der SPD-Führung entgegenzustellen. Sigmar Gabriels gesamter Führungsstil steht in der Kritik. Seiner Autorität würde es erheblich schaden, sollte er nun eine Niederlage einstecken müssen. Zuzutrauen ist es ihm durchaus, dass er auf dem Konvent aus der Vorratsdatenspeicherung eine Vertrauensfrage machen könnte. Genau davor graut den Strategen im Willy-Brandt-Haus: Tritt er allzu forsch und fordernd auf, wird er seine Gegner erst recht aus der Reserve locken. Der Chef gerät zunehmend ins Visier. Weil es bei der Vorratsdatenspeicherung aber auch um ihn geht, stehen die Chancen ganz gut, dass er morgen einigermaßen ungeschoren davon kommt. Mangels Alternative ist es eher unwahrscheinlich, dass die Partei einfach mal wieder ihren Vorsitzenden tauscht. Selbst die schärfsten VDS-Kritiker sind da ganz realistisch.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konvent die Vorratsdatenspeicherung ablehnt, ist tendenziell bei null. Es wird Vorratsdatenspeicherung geben. Das ist ja ein Organ, in dem zu 90 Prozent Berufspolitiker sitzen, und wenn der Parteivorsitzende dann da vorn steht, ist es schwer, gegen ihn zu stimmen!"
Doch ehe es soweit ist und die 235 Delegierten in Berlin den Gesetzentwurf von Heiko Maas aller Voraussicht nach bestätigen und damit auch ihrem Parteivorsitzenden das Vertrauen aussprechen werden, dürfte es im Willy-Brandt-Haus noch heftige Kontroversen geben. Aus etwa 100 Parteigliederungen liegen Anträge gegen die VDS vor, zwar drängen die Innenminister der SPD-geführten Landesregierungen schon lange darauf, etwa im Kampf gegen islamistischen Terror auf die Datenspeicherung ohne Anlass zurückzugreifen, die SPD-Basis allerdings folgt dem nicht und sieht einen wesentlichen Grundwert der Sozialdemokratie in Gefahr: die Freiheit des Bürgers.
"Es gibt Beschlusslagen der Landesparteien, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen. Zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Berlin, Sachsen, Bremen, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, all die haben gesagt: Nein. Das heißt: Die Basis hat da eigentlich gar nicht so Bock drauf!"
Justizminister Maas in der Kritik
Anders der Vorsitzende: Er will die Vorratsdatenspeicherung. Warum Sigmar Gabriel seinen Justizminister gegen dessen Überzeugung dazu gedrängt hat, einen Gesetzentwurf vorzulegen, kann auch Henning Tillmann nicht so recht erklären. Bis zuletzt hatte Heiko Maas auf den Koalitionsvertrag verwiesen, einen neuen Anlauf zur verfassungsgemäßen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung sollte es demnach erst nach Verabschiedung einer gemeinsamen europäischen Richtlinie geben.
"Dann gab es im März ein Interview des Parteivorsitzenden im Deutschlandfunk, der, ich lese mal kurz vor, gesagt hat:"
"Ich bin nicht erst seit jetzt ein Befürworter, sondern habe damals sehr dafür geworben, dass die SPD sich gegen die alte Form der Vorratsdatenspeicherung positioniert, aber mit eigenen Vorschlägen, wie man das besser machen kann, weil ich nichts davon halte, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Jetzt ist es so, dass wir, dass die Kollegen de Maiziére und Heiko Maas gemeinsam einen solchen Vorschlag entwickeln müssen... einfach wegzuducken und zu sagen: 'Das ist uns zu schwierig' würde uns vielleicht manchen Ärger ersparen, aber man ist nicht in der Politik, um sich Ärger zu ersparen."
Dass Heiko Maas über ein Interview der Woche im Deutschlandfunk vom Vorhaben des Parteichefs erfuhr, offenbart Schwächen mit Blick auf dessen Führungsqualitäten. Den Ärger hat Gabriel nun, er nimmt es in Kauf. Denn offenbar sah der SPD-Vorsitzende nach den Terroranschlägen von Paris die Gelegenheit und Notwendigkeit gekommen, eine Datenspeicherung in seinem Sinne auf den Weg zu bringen. Selbst gestalten und zugleich der Union einen Erfolg gönnen, das dürfte das Kalkül des Parteivorsitzenden gewesen sein. Seinem Justizminister allerdings verlangte er eine 180 Grad-Wende bis hin zur Selbstverleugnung ab. Andere sind in ähnlichen Situationen zurückgetreten, Heiko Maas aber versuchte, das Beste daraus zu machen und gegenüber der Union möglichst viel herauszuverhandeln.
"Wir legen heute einen Kompromiss vor zur Einführung von Speicherfristen, wir schaffen eine ausgewogene Balance zum einen zwischen Sicherheitsinteressen, zum anderen, den Bürgerrechten!"
Gedankt hat es ihm der Chef nur wenig. Wie unsensibel Gabriel mitunter führt, beweist Gabriel vergangene Woche bei der Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises. Das Salonorchester Salome spielt wie eh und je auf der Dampferfahrt über den Wannsee, der SPD-Chef lobt die eigenen Regierungserfolge und demütigt Heiko Maas dann mit einer Bemerkung, die witzig sein sollte, nach Ansicht vieler Sozialdemokraten allerdings völlig daneben war.
"Selbst aus Heiko Maas wird aus meiner Überzeugung noch mal ein anständiger Innere-Sicherheits-Politiker!"
Seither muss Justizminister Heiko Maas Spott und Prügel für die erzwungene Kehrtwende einstecken. Vergangenes Wochenende beim Treffen der noch jungen Vereinigung linker Sozialdemokraten, der Magdeburger Plattform, musste er besonders viel ertragen. Dass Gabriel ihn in diese Bredouille gebracht hat, darüber ist auch Kathrin Budde, SPD-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, nicht gerade glücklich.
"Ich persönlich hätte es nicht auf die Spitze getrieben, ich hätte der Partei diese Diskussion erspart und weiß auch nicht, was ihn dazu veranlasst hat, auf Heiko Maas den Druck auszuüben, dass dieser Gesetzentwurf vorgelegt wird."
Andererseits aber, so die Delegierte des kleinen Parteitages, ist sie nun froh, dass Maas einen Entwurf vorgelegt hat, der viel restriktiver ist, als sich die Union – allen voran Innenminister Thomas de Maiziere – das einmal vorgestellt hatte. Sie kann inzwischen mit dem Kompromiss leben, den die Parteiführung den Kritikern anbietet. Das Präsidium verweist darauf, dass der nun zur Debatte stehende Gesetzentwurf die Vorratsdatenspeicherung noch deutlich vorsichtiger angeht, als das auf dem SPD-Parteitag 2011 für die Zukunft verlangt worden war. E-Mails sind komplett von der Speicherpflicht ausgenommen, Verbindungsdaten, nicht Inhalte, von Telefon und Internetkommunikation werden grundsätzlich nur zehn Wochen gespeichert, besonders sensible Standortdaten nur vier Wochen. Kathrin Budde kann dem Gesetz inzwischen sogar viel Positives abgewinnen.
Generalsekretärin mahnt Delegierte, als Koalitionspartner verlässlich zu sein
"Es gibt eine ganz strikte Regelung, von wem die Daten abgegriffen werden dürfen, nur mit richterlichem Beschluss. Es gibt keine Schnellverfahren, Geheimnisträger sind komplett ausgenommen. Ehrlicherweise, wenn ich nicht ein grundsätzliches Problem mit der Datenspeicherung hätte, würde ich mir das für den privaten Bereich wünschen und das ist vielleicht der einzige Hoffnungsschimmer und das, was man daraus ableiten muss: dass es eine solche Regelung auch für den privaten Bereich geben muss, insbesondere was die Nachnutzung von Daten angeht, die ja ausgeschlossen ist, keine Bewegungsprofile, das würde uns im privaten Bereich ganz gut tun."
In diesem Sinne wird die Parteiführung den aufmüpfigen Genossen das neue Gesetz präsentieren, um am Ende ein Okay des Konvents zu erhalten und der SPD-Fraktion grünes Licht für die Verabschiedung im Bundestag im September zu geben. Yasmin Fahimi erhöht den Druck – die Generalsekretärin betont: Es geht hier auch um die Zuverlässigkeit der SPD als Regierungspartner.
"Ich glaube, dass es eine notwendige Debatte darüber gibt, wie wir das Grundrecht der Freiheit und das Grundrecht der Sicherheit in unserem Land ausbalancieren müssen, eben auch bei der Frage, 'Wie gehen wir mit der Datensicherheit in unserem Land um?', ich finde aber, der Gesetzentwurf macht genau das, und jeder, der nur die eine oder die andere Seite sehen will, stellt damit die Grundsätze der Sozialdemokratie in Frage, aber trägt auch nicht unbedingt zur Regierungsfähigkeit dieser Partei bei!"
Partei- und Fraktionschef, Justizminister, Landesminister – sie alle wollen die Delegierten dieses kleinen Parteitages in Berlin hinter verschlossenen Türen von der Richtigkeit der Vorratsdatenspeicherung überzeugen. Ob es gelingt, hängt nicht zuletzt vom Ton ab, den Sigmar Gabriel anschlägt. Die Zeit des Bastas ist endgültig vorbei, gibt sein Vize Ralf Stegner zu bedenken, er hält es für geboten, noch weiter auf die Bedenkenträger in der Partei zuzugehen.
"Ich wäre auch dafür, dass man auf Sicht guckt, ob solche Gesetze auch dann das halten, was sie versprechen. Das haben wir bei den Sicherheitsgesetzen von Otto Schily auch gemacht. In diese Richtung, sich offenzuhalten, wäre klug, weil das manchem Kritiker sagen könnte: 'Wir führen das jetzt ein, und es ist für immer da.' Sondern wir schauen uns auch schon mal an, ob das die Wirkung hat. Denn man muss Eingriffe in Bürgerrechte immer begründen. Je tiefer der Eingriff, desto höher die Hürden. Das muss Position der Bürgerrechtspartei SPD sein!"
Christian Flisek befasst sich gerade hauptberuflich mit der Datensammelwut des Bundesnachrichtendienstes, auch der SPD-Abgeordnete aus Bayern steht der Vorratsdatenspeicherung kritisch gegenüber, spricht aber inzwischen vom grundrechtsschonendsten Ansatz für eine Speicherung, der jemals in Europa auf den Tisch gekommen sei. Auch er fordert, nun wissenschaftlich zu beobachten, was die Speicherung bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität wirklich bringt:
"Wir haben keine belastbaren Zahlen darüber, ob die Vorratsdatenspeicherung wirksam ist, und da kann man die Gelegenheit sehr gut nutzen, um das zu begleiten. Die Kritik ist natürlich Ergebnis einer Debatte, die jetzt seit vielen Jahren teilweise auch in den Schützengräben ideologisch geführt wird. Man muss allerdings ein wenig abrüsten und muss bereit sein, sich mit den einzelnen Punkten dieses Gesetzesentwurfes auseinanderzusetzen!"
Die Sorge ist groß, dass das Thema nun allzu sehr auf die Person des Vorsitzenden fokussiert wird. Auch Netzpolitiker Lars Klingbeil hält trotz aller Restriktion weiter nichts davon, dass die Sozialdemokraten nun die Vorratsdatenspeicherung in die Spur bringen werden, aber der SPD-Bundestagsabgeordnete will auf keinen Fall den eigenen Parteivorsitzenden beschädigen.
"Es geht überhaupt nicht um die Frage, ob Sigmar Gabriel die Partei gut führt oder nicht. Ich finde, er ist ein guter Parteivorsitzender, aber ich habe beim Thema Vorratsdatenspeicherung eine andere Meinung. Das müssen wir voneinander trennen. Wir müssen das klären, aber ich kann Sigmar auf keinen Fall vorwerfen, dass er Meinungen vertritt, die er vorher nicht vertreten hat."
Gabriels verbale Attacken auf Kanzlerin Merkel stören den Koalitionsfrieden
Für viele Genossen gibt es noch andere Reibungsfelder. Wie der Wirtschaftsminister das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten vorantreibt, sorgt für Unverständnis. Nutzte Gabriel bei der Vorratsdatenspeicherung den Deutschlandfunk, um Pflöcke einzuschlagen, tat er das mit Blick auf das Abkommen namens TTIP überraschend im Bundestag – mit einer Ansage, die eben doch sehr stark nach Basta klang.
"Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, dann wird Deutschland dem auch zustimmen. Das geht gar nicht anders, und das werde ich auch meiner Partei sagen, die in Teilen da eine andere Auffassung hat!"
Der Vizekanzler muss seine Partei schnell auf Kurs bringen. Die Kanzlerin macht Druck. Die Delegierten werden morgen auf weitere Verbesserungen drängen, zahlreiche Anträge zu TTIP liegen vor. Insgesamt aber hat Sigmar Gabriel zur Entschärfung des Streites beigetragen, weil er sich die umstrittene private Schiedsgerichtsbarkeit vorgenommen und die Einsetzung eines internationalen Handelsgerichtshofes in Aussicht gestellt hat. Für Parteivize Ralf Stegner ist die Kuh damit vom Eis.
"Die zuständige Kommissarin Malmström hat ja gesagt, dass sie durchaus offen dafür ist. Das hätte es ohne die SPD nicht gegeben, dass die europäischen Sozialdemokraten in Madrid auf Vorschlag von Sigmar Gabriel das so ins Spiel gebracht haben. Das ist schon eine deutliche Verbesserung. Das wird in der Partei auch so gesehen!"
Der Parteikonvent dürfte Gabriel grünes Licht für weitere Verhandlungen geben – an dieser Stelle erhält er nun dringend die benötigte Luft, um konstruktives Regierungshandeln unter Beweis zu stellen. Dies ist umso wichtiger, da Gabriel gerade ein Vabanque-Spiel betreibt. In der Geheimdienstaffäre hat er erstmals die Chance ergriffen, die Kanzlerin zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl anzugreifen. Merkel war not amused, als ihr Vize versuchte, sie in der NSA-Frage festzulegen und aus eigentlich vertraulichen Telefonaten berichtete.
"Ich hab zweimal die Kanzlerin gefragt, ob es Wirtschaftsspionage gibt, beide Male ist das mir gegenüber verneint worden."
Sollte sich etwas anderes herausstellen, könnte er die Regierungschefin der Lüge bezichtigen. Die Koalition mit der Union stünde dann eigentlich vor dem Ende, an einer weiteren Eskalation aber dürfte Gabriel jetzt nicht gelegen sein. Dass er sich ganz langsam auf die zwangsläufig auf ihn hinaus laufende Kanzlerkandidatur vorbereitet, stellt er auch mit der inhaltlichen Aufstellung seiner SPD unter Beweis. Die Familienpolitik nimmt in seinen Überlegungen zunehmend Raum ein. Morgen wird seine Familienministerin das unterstreichen.
"Auf dem Parteikonvent machen wir einen ersten Aufschlag für eine größere Strecke zu einer modernen Familienpolitik. Wir haben uns ja sehr stark gemacht für die steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden, die kommt, sehen aber, dass es mehr Bedarf, zum Beispiel einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung nicht nur in Kita, sondern auch Schule. Und der Beschluss auf dem Parteikonvent wird ein Anfang sein, um Themen, die wir jetzt nicht in der Bundesregierung umsetzen können, weil es mit dem Koalitionspartner nicht geht, für uns stark zu machen, um damit dann auch in den Wahlkampf 2017 zu gehen."
Familienpolitik als zweites wichtiges Thema des Konvents
Dass es wieder einmal ein nicht abgesprochenes Zeitungsinterview war, mit dem Gabriel Anfang April Akzente setzte, nimmt dessen Stellvertreterin im Amt des SPD-Chefs gelassen. Für die Familienministerin ist entscheidend, dass ihre Themen Gehör finden. Gabriel ging dabei so weit, dass er sogar eine Grundgesetzänderung in Aussicht stellte, um eine steuerliche Besserstellung von Alleinerziehenden und Familien umzusetzen. "Die Familien- und Kinderförderung über die Einkommenssteuer führt dazu, dass Kinder nach oben veredelt werden und nach unten verelenden", so Gabriel damals gegenüber der Rheinischen Post. Ehegattensplitting, Kindergeld und Kinderfreibeträge möchte der Parteivorsitzende nun angehen, und Manuela Schwesig arbeitet bereits an der Umsetzung.
"Gerechte Steuerpolitik muss ein Thema für die SPD sein, denn jetzt geht das Steuerrecht ziemlich an der Lebenswirklichkeit vieler Familien vorbei. Paare, die nicht verheiratet sind, aber Kinder haben, profitieren gar nicht vom Ehegattensplitting, aber zum Beispiel viele Paare, die keine Kinder haben, weil sie verheiratet sind, große Steuervorteile. Deswegen brauchen wir ein neues Konzept, ob man dafür eine Grundgesetzänderung braucht, ist sogar umstritten, die einen sagen ja die anderen nein, das ist aber am Ende nicht so entscheidend, wenn man etwas gerechtes für Familien auf den Weg bringen will, dann muss auch im Zweifel dazu bereit sein!"
Wie die sogenannte gehetzte Generation, die nicht mehr weiß, wie sie Familie und Beruf in Einklang bringen soll, finanziell und organisatorisch unterstützt werden kann, auch darin sieht die Familienministerin eine Herausforderung für ihre Partei. Und vor dem Konvent warnt Manuela Schwesig ihre Parteifreunde davor, sich in Themen wie der Vorratsdatenspeicherung festzubeißen und in unnötigen Grabenkämpfen zu verlieren:
"Ich hoffe, dass wir nicht aus dem Auge verlieren, dass es im Lebensalltag der Menschen um viel mehr Dinge als um die Vorratsdatenspeicherung geht. Die Frage ´Wo ist der Ganztagsplatz an der Schule für mein Kind?´, ´Wie kann ich meine pflegebedürftigen Eltern unterstützen, aber trotzdem im Job bleiben? – Das sind die Alltagsprobleme und die darf die SPD nicht aus den Augen verlieren!"
Ob die SPD allerdings über die Familienpolitik neue Wähler gewinnen kann, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wie der Chef das Thema nach innen und außen verkauft. Der Kampf für die Vorratsdatenspeicherung jedenfalls hat gezeigt, dass Sigmar Gabriel dazu neigt, Stimmungen aus der Bevölkerung aufzugreifen, seine Partei dabei aber nicht mitzunehmen.