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Soziale Gerechtigkeit
"Gegenmacht gegen Macht der Konzerne und des Staates"

Der Sozialethiker und Ökonom Friedhelm Hengsbach fordert mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer und ihre Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg. Derzeit eigne sich eine Minderheit der Kapitaleigentümer den Großteil der Wertschöpfung an, sagte Hengsbach im Dlf - und bestimme die politische Agenda.

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Petra Ensminger |
    Demonstranten bei einem Verdi-Warnstreik in Köln am 10.04.2018
    Demonstranten bei einem Verdi-Warnstreik in Köln: Friedhelm Hengsbach fordert mehr Mitbestimmung und Beteiligung für Arbeitnehmer (imago)
    Die Agenda 2010 bezeichnete Hengsbach als "sozialpolitische Katastrophe". Dass sie zu Vollbeschäftigung geführt und die Wirtschaft belebt habe, sei ein Märchen. Die Schattenseiten der Vollbeschäftigung würden stets verschwiegen: die Zunahme von atypischen Arbeitsverhältnissen wie befristete Verträge, Teilzeitarbeit oder Leiharbeit. Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse hätten zu mehr Armut geführt - besonders im Alter. Dass manche Menschen von 800 Euro Rente leben müssten, sei mit dem, was die Verfassung als Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben vorsehe, nicht vereinbar.
    "Eine Minderheit der Kapitaleigner bestimmt, wohin die Wirtschaft läuft"
    Die Ungleichheit sei in den vergangenen 20 Jahren insgesamt größer geworden, sagte Hengsbach. "Die Wohlhabenden und Reichen haben sich den größeren Anteil an der Wertschöpfung angeeignet - die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und Rentner hat nicht in einem gerechten Ausmaß Anteil gehabt", so der emiritierte Professor.
    "Eine Minderheit der Kapitaleigner bestimmt, wohin die Wirtschaft läuft: Was produziert wird, für wen produziert wird und wie viel davon produziert wird. Und sie haben die Macht, auf den Staat einzuwirken. Das sieht man an der Autoindustrie, das sieht man in der Energieversorgung und in vielen anderen Bereichen, auch die Agrarlobby. Das sind so starke gesellschaftliche Kräfte - also Kapitaleigner - die den Staat gleichsam vor sich her treiben. Und der Staat, wie Frau Merkel auch immer wieder sagt: Wir müssen eine marktkonforme Demokratie haben - das heißt, sie kehrt den politischen Vorrang gegenüber der Wirtschaft um."
    Eine demokratiefähige kapitalistische Wirtschaft
    Deswegen fordert Hengsbach mehr Mitbestimmung. "Nicht allein die Kapitaleigner dürfen sich den größeren Anteil der Wertschöpfung aneignen." Beteiligt werden müssten alle, die zur Wertschöpfung beitragen: die Umwelt, der Staat, der die Infrastruktur stelle und vor allem die Arbeitnehmer. "Sie müssen genau so wie die Kapitaleigner daran beteiligt werden, was produziert wird und wie es verteilt wird. Das wäre für mich eine demokratiefähige kapitalistische Wirtschaft." Davon sei man jedoch weit entfernt. "Selbst die Gewerkschaften denken fast nicht mehr daran, eine solche paritätische Mitbestimmung in Unternehmen einzufordern."
    Es müsse gelingen, eine zivilgesellschaftliche Bewegung, "eine Gegenmacht", aufzubauen, sagte Hengsbach - "gegen die Macht der Konzerne und des Staates, der den Konzernen gegenüber willfährig und hörig ist".
    Friedhelm Hengsbach (Jahrgang 1937) ist Ökonom, Jesuit und Sozialethiker. Von 1985 bis zu seiner Emeritierung 2005 war er Professor für Christliche Sozialwissenschaft und Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Außerdem war er bis zu seiner Emeritierung Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der globalisierungskritischen Organisation Attac.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.