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Der Twitter-Chef tritt ab

Twitter-Chef Dick Costolo hat seinen Rückzug angekündigt, ein Nachfolger steht noch nicht fest. Er oder sie wird das größte Problem des Kurznachrichtendiensts lösen müssen: die schmale Nutzerbasis. Heute hat Twitter bekannt gegeben, zwischen den Nutzern könnten die Nachrichten nun auch länger als 140 Zeichen sein.

Von Michael Braun |
    Ein Mann öffnet auf seinem Smartphone seinen Twitter-Account.
    Gut 300 Millionen Twitter-Nutzer sind fast nichts gegen die vermutlich 1,5 Milliarden von Facebook. (dpa / Andrew Gombert)
    Häme gehört wohl zu Rücktritten wie das Hashtag zu Twitter: Nicht schlimm, was da passiere, schrieb einer: Der Kurznachrichtendienst sei sowieso nur etwas "für alle jene, denen im richtigen Leben niemand zuhört".
    Mindestens die Börse sieht das anders. Kein Wunder, bei einem Marktwert von umgerechnet knapp 21 Milliarden Euro. Es war schon mal deutlich mehr. Doch ein Einbruch kam, als der nun ausgeschiedene Chef des Unternehmens, Dick Costolo, Ende April die Quartalszahlen vorstellte und zugeben musste, nach fünf Quartalen Wachstum von jeweils mehr als 97 Prozent seien diesmal nur 74 Prozent erreicht worden. Ja, Erwartungen zu verfehlen, das enttäusche ihn, hatte Costolo gesagt.
    Heute ließ Costolo wissen, er habe schon im vergangenen Jahr den Rückzug geplant. Zuvor hatte er die Öffentlichkeit darüber im Unklaren gelassen, Rückzugspläne gar bestritten. Er mache sich keine Sorgen um seinen Job, hatte er dem Technologieblog "Recode" gesagt, er kümmere sich nicht darum, ob er an diesem oder jenem Tag noch im Amt sei, sondern mache seine Arbeit.
    Jack Dorsey, Twitter-Mitgründer
    Jack Dorsey, Twitter-Mitgründer (dpa/Andrew Gombert)
    Twitter-Mitbegründer Dorsey übernimmt vorübergehend
    Aber die Börse kümmerte sich um ihn. In einer ersten Reaktion auf die Nachricht seines Rücktritts schnellte die Twitter-Aktie um acht Prozent in die Höhe: Eine Quittung für Costolo und ein Wechsel auf die Nachfolge. Die steht aber noch nicht fest. Zum 1. Juli übernimmt zunächst einmal Twitter-Mitgründer Jack Dorsey die Führung, aber nur vorläufig.
    Das riecht noch nicht nach Lösung von Twitters größtem Problem: die immer noch schmale Nutzerbasis. Gut 300 Millionen sind fast nichts gegen die vermutlich 1,5 Milliarden von Facebook. Heute hat Twitter bekannt gegeben, zwischen den Nutzern könnten die Nachrichten nun auch länger als 140 Zeichen sein. Diese Begrenzung hatte viele gestört.
    Costolo hatte auf der Suche nach neuen Nutzern neue Anwendungen angeboten, etwa Periscope, das das Posten von Live-Videos ermöglicht. Aber es blieb bei der Regel, alle Kurznachrichten in chronologischer Reihenfolge anzuzeigen: Wer reinschaut, sieht, was in den vergangenen Minuten passiert ist, aber nicht, was Stunden oder Tage zuvor hereinkam. Eine Zusammenfassung der meist aufgerufenen Tweets gab es nur für eine iPhone-App.
    Twitter - ein Dienst nur für Nachrichten-Junkies?
    Facebook setzt dagegen eine Technik ein, die den Nutzern die wichtigsten Nachrichten seit dem letzten Seitenaufruf anzeigt. Twitter drohte so zu einem Dienst für die zu verkommen, die den ganzen Tag Nachrichten abrufen.
    Diese Fangemeinde scheint zu klein für Werbung, die Twitter aus den immer noch roten Zahlen bringen könnte. Costolo musste deshalb weg. So hat er auch seine Personalpolitik betrieben: Ein Wechsel, wenn nötig:
    "We made changes when we need to make changes."
    Jetzt war sein Wechsel nötig.