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Soziale Netzwerke sind Datenabwurfplätze mit knallharten wirtschaftlichen Absichten

Der Erfolg von Onlinegemeinschaften wie Facebook spiegelt einen unumkehrbaren Wandel unserer Kommunikation wider, glaubt der Medienwissenschaftler Hendrik Speck. Aufmerksamkeit sei die Währung dieser nur vermeintlich "sozialen" Plattformen – die Grenze zwischen privat und öffentlich könnte dadurch bald verschwinden.

Hendrik Speck im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Sie heißen Myspace, StudieVZ oder das bekannteste unter ihnen Facebook, darum soll es jetzt gehen. Es handelt sich um diese hippen Onlinegemeinschaften, ohne die kein deutscher Parlamentarier glaubt auszukommen, die aber in Deutschland vorwiegend eine Sache junger Nutzer sind. In England oder anderen Ländern ist das anders. Eltern lehren sie buchstäblich das Fürchten, weil Töchter und Söhne darin im eigentlichen und übertragenen Sinne oft die Hosen runterlassen. Morgen geht Facebook an die Börse – Grund für uns, mit Hendrik Speck zu sprechen, Professor für digitale Medien an der Fachhochschule Kaiserslautern. Guten Morgen, Herr Speck!

    Hendrik Speck: Guten Morgen!

    Köhler: Was sind das eigentlich, mal so rein funktional äußerlich beschrieben, doch harmlos Verabredungsbörsen oder sind es Marktplätze für Menschendaten?

    Speck: Also im Grunde genommen sind es Datenabwurfplätze, die dem Plattformbetreiber Facebook erlauben, natürlich da entsprechende Geschäfte mit der direkten oder indirekten Verwertung dieser Daten vorzunehmen, zum einen. Und zum anderen sind sie natürlich auch ein Spiegel dieser veränderten Kommunikationsbedürfnisse gerade jüngerer Generationen.

    Köhler: Veränderte Kommunikationsbedürfnisse sagen Sie, die ja enormen Zuspruch haben, paar Hundert Millionen Mitglieder, also die, etwas vollmundig gesagt, die Synchronisierungsleistung von so was, von Facebook und Youtube, ist ungemein. Früher guckte man Kuhlenkampff "EWG – Einer wird gewinnen", und am nächsten Tag konnte man mit Taxifahrer und Tankwart drüber sprechen, heute geht das irgendwie anders, das organisiert sich anders. Ich will nicht über Kulturverfall reden, sondern es erst mal mit Ihnen beschreiben. Was macht das mit uns? Dressiert uns das zu Usern und Konsumenten?

    Speck: Das ist natürlich so, dass diese Massenmärkte, die wir früher kannten, die wenigen Kanäle zum Beispiel auch des Öffentlich-Rechtlichen bedingt waren, in Zukunft jetzt nicht mehr zu halten sind. Wir haben also mehr und mehr individuelle Medienverbräuche, Medienangewohnheiten, Medienkonsum, und diese Plattformen erlauben uns natürlich, vermeintlich sozial, unsere Neigungen, Bedürfnisse und so weiter mit anderen zu teilen. Gleichzeitig ist es so, dass durch die Verwertung, durch das Analysieren, durch das Auswerten dieser Daten natürlich auch ein Prägen unserer Bedürfnisse, ein Prägen unserer Neigungen, ein Vorselektieren von dem, was wir sehen oder halt auch nicht sehen, passiert.

    Köhler: Also wir geben nicht nur unser Profil her, sondern wir erwerben auch eins?

    Speck: Also wir erwerben eins, und gleichzeitig begrenzen wir uns dann damit natürlich auch in Zukunft auf die Dinge, die wir sehen, oder auf die Dinge, die de Plattform meint, dass wir sie sehen wollen.

    Köhler: Ich hab mal in irgendeinem Interview einen ziemlich drastischen Vergleich von Ihnen gelesen, wo Sie ungefähr sagten, also die Stasi hätte ungefähr 16 Fragen gehabt, Facebook würde an die 100 Fragen an die Nutzer stellen. Kleiner Unterschied, die Leute beantworten das offenbar gern und freiwillig. Also ist es nicht eigentlich eine prima Sache für schnelle Kommunikation über Entfernungen?

    Speck: Also das ist ganz klar, diese Plattformen entstehen nicht out of the blue, das heißt, sie sind kein Zufallsprodukt im Grunde, dass sie jetzt so erfolgreich sind, sondern sie sind direkte Konsequenz unserer veränderten Sozialbedingungen, das heißt, wir haben es also mit einem Kollaps, dieser klassischen Erwerbsbiografien und Sozialstrukturen zu tun. Junge Menschen müssen davon ausgehen, dass sie nicht mehr 40, 50 Jahre bei einer Firma arbeiten können, sondern sie müssen hochgradig mobil sein, auch sozial mobil sein. Das führt natürlich dazu, dass sie dennoch ihre Bedürfnisse haben, mit ihren Freunden, mit ihren Familienmitgliedern und so weiter zu kommunizieren. Und wenn dies nicht mehr direkt möglich ist, dann neigt man natürlich dazu, das durch elektronische Medien in irgendeiner Art und Weise zu kommunizieren. Das ist völlig normal und verständlich. Aufpassen muss man natürlich, insbesondere bei den Plattformen, die also im Titel das vermeintlich Soziale tragen, in Wirklichkeit aber natürlich knallharte wirtschaftliche Absichten haben, wenn sie diese Plattform zur Verfügung stellen.

    Köhler: Soziale Kontakte, eigene Identität und auch so was wie ein Name, Reputation, wie immer das aussehen mag, werden da offenbar erzeugt. Kommen wir zum Glutkern vielleicht unseres Gesprächs und der Vermutung und auch Befürchtung von Eltern: Verschwindet so etwas wie das Bewusstsein für schützenswerte Privatheit?

    Speck: Wir sind natürlich in so einem Wandlungsprozess drin, wo wir allerdings ganz klar sagen müssen, keiner weiß im Grunde, wo wir dort hinmarschieren. In diesem Wandlungsprozess ist es so, dass also Offenheit, insbesondere natürlich Aufmerksamkeit und dadurch, auch das Extreme, von anderen, von Freunden, von Fremden mit weiterer Aufmerksamkeit sozusagen belohnt werden, das heißt Aufmerksamkeitslinks als Ware oder als Währung dieses Systems, und das führt natürlich im Endeffekt dazu, dass also auch diese klassischen Grenzen von dem, was wir als Öffentlichkeit und Privatsphäre permanent getestet, verschoben oder komplett eliminiert werden. Als Endkonsequenz kann dies dazu führen, dass wir eine Gesellschaft bekommen, in der das, was wir so als Konzept von Privatsphäre noch in irgendeiner Art und Weise verstehen, in Zukunft nicht mehr gewährleistet ist.

    Köhler: Was man mal schützenswerte Bürgerrechte genannt, denn so was wie Freundschaft war damals und ist auch heute gültig – wenn man also junge Menschen oder solche User fragt, das ist denen nach wie vor wichtig, nur ist es was anderes als beispielsweise zur Goethe-Zeit im Werther-Zeitalter. Da trägt man also keine gelben Hosen, sondern man hat irgendwie ein Netbook und ist bei Facebook. Public is the new privat – das Öffentliche ist das neue Private?

    Speck: In einer gewissen Art und Weise schon. Wir können uns natürlich damit brüsten, also gerade, wenn wir uns Goethe anschauen, also seinen Briefwechsel mit der späteren von Arnim, dann nicht viel anders als das, was wir jetzt so als fröhliches Sexding im Grunde genommen bezeichnen würden – sie hatten damals auch das neue Medium des brieflichen Austausches. Aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass also dieser Wandel stattfindet, der ist als solcher auch augenscheinlich erst mal irreversibel, und wir müssen uns überlegen, wo wir gesellschaftlich damit hinmarschieren. Das heißt, ist es so, dass wir uns gesellschaftlich dann mit einer höheren Offenheit, mit einer größeren Gelassenheit dem entgegensehen, oder kann es tatsächlich so weit kommen, dass diese Informationen selektiv benutzt werden, um einzelne Personen, aber auch natürlich entsprechende Bevölkerungsschichten oder Gesellschaften zu disziplinieren …

    Köhler: Und auch zu stigmatisieren, ne?

    Speck: Zu stigmatisieren durchaus, ja.

    Köhler: Vielleicht letzte Frage für den Moment: Verändert es nicht noch etwas – Sie haben gesagt, wo es gesellschaftlich so hintreibt –, nämlich tritt an die Stelle von langfristigen Bindungen so etwas, man nennt das in der Netzkultur so was wie die kurzfristige Stickiness, also Klebekontakte kurzfristige, also dass alles etwas schneller, kürzer und bindungsärmer wird?

    Speck: Also als Nebenkonsequenz natürlich, von diesem Verfügbarkeitmachen von Daten steigt natürlich auch Verheißung. In dem Moment, wenn ich nur noch auf einen I-like-you-Button oder auf einen kleinen Kontaktbutton oder so was drücken muss, dann verschwinden natürlich Hemmschwellen, die wir da möglicherweise haben, wenn es darum geht, in irgendeiner Art und Weise jemanden anzusprechen. Und das führt natürlich auch zu einer – ja, man kann das freundlich ausdrücken – zu einer erhöhten Transparenz oder Durchlässigkeit bei derartigen Kontaktanbahnungen. Ich stelle das durchaus auch bei mir in einer gewissen Art und Weise fest, dass also da Kontakte oder Kontaktangebote mit einem Mal existieren, über Altersgruppen oder soziale Schichten hinweg, die ich persönlich von mir aus jetzt nicht initial, also nicht als Erster im Grunde genommen angeregt hätte.

    Köhler: Kontaktangebote, ja, und dann gibt es so schöne paradoxe Sachen, dass man dann irgendwie eine E-Mail kriegt mit "I like you" und die eigene Ehefrau schreibt einem dann, dass sie mein Freund werden möchte oder meine Freundin. Hendrik Speck, Professor für digitale Medien an der Fachhochschule Kaiserslautern, über einige Eigenschaften von Facebook, sozialen Netzwerken, denn Facebook geht morgen an die Börse. Vielen Dank, schönen Morgen noch!

    Speck: Guten Morgen!


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