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Untersuchung des RKI
Die sozialen Dimensionen der Corona-Pandemie

In der Corona-Pandemie gibt es große soziale Unterschiede bei den Infektions- und Sterbezahlen: Auch in Deutschland liegt die Covid-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen bislang mehr als anderthalbmal so hoch als in besser gestellten Gebieten. Wo liegen die Ursachen?

Von Volkart Wildermuth |
Blick auf Plattenbauten in Berlin Marzahn.
In sozial benachteiligten Stadtvierteln sind die Risiken für eine Coronainfektion höher (picture-alliance / ZB)
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat für die Unterschung "Soziale Ungleichheit und COVID-19 in Deutschland - Wo stehen wir in der vierten Pandemiewelle?" die Infektionszahlen auf Ebene der Landkreise und Städte mit einem Index für die soziale Benachteiligung verglichen. Demnach infizierten sich zu Beginn der Pandemie eher wohlhabende Bevölkerungsgruppen, beispielswiese bei Urlauben oder auf Dienstreisen. Schon nach wenigen Wochen der ersten Corona-Welle drehte sich dieser Trend um: Nun kam es in benachteiligten Gebieten zu mehr Infektionen und entsprechend auch zu mehr Krankenhausaufenthalten und Sterbefällen. Dieser Unterschied zieht sich durch alle weiteren Wellen der Pandemie bis heute.

Den RKI-Daten zufolge lag die Sterblichkeit in den am stärksten benachteiligten Regionen um 50 bis 70 Prozent höher als in besser gestellten Gegenden – ein großer Unterschied, der zeigt, dass Überlebenschancen auch von Einkommen und Bildung abhängen.

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Woran liegt es, dass die Covid-19-Sterblichkeitsrate in benachteiligten Gebieten höher ist?

Ein wichtiger Aspekt ist das erhöhte Infektionsrisiko: Ärmere Menschen arbeiten eher in Berufen, in denen es viele Kontakte gibt, etwa an der Supermarktkasse oder in Lieferdiensten. Diese Tätigkeiten können nicht im Homeoffice durchgeführt werden. Dazu verfügen ärmere Menschen auch über weniger Geld, um sich die teureren FFP2-Masken zu kaufen.

In einer Antikörper-Studie des RKI waren Personen mit niedrigem Bildungsstatus in der zweiten Welle etwa doppelt so häufig infiziert wie jene mit Abitur. Dazu gilt es zu wissen, dass auch der Bildungsstatus in Deutschland häufig eng mit dem Einkommen zusammenhängt.
Eine Grafik des Robert-Koch-Instituts
Covid-19-Fälle in Deutschland im Vergleich mit sozialer Benachteiligung (Robert-Koch-Institut)


Gibt es eine sozial-ökonomische Ungleichheit beim Zugang zur medizinischer Versorgung?


Generell ist auch der Zugang zu Gesundheitsinformationen in ärmeren Regionen schlechter. Das spiegelt sich in den Impfquoten der erwerbstätigen Bevölkerung wider, die bei Menschen mit hoher Bildung besser sind. Allerdings kehrt sich dieser Effekt im Alter um, bei den über 60-Jährigen liegen Menschen mit eher niedrigeren Schulabschlüssen vorne, sind also öfter geimpft.
Eine Grafik des Robert-Koch-Instituts
Unterschiede beim Impfstatus nach Bildungsstatus und Alter (Robert-Koch-Institut)
Nach einer Infektion ist auch der Zugang zur Diagnose in ärmeren Vierteln schwieriger, es gibt dort weniger Testzentren, also auch längere Wartezeiten. Menschen mit geringen Einkommen können es sich oft nicht erlauben, in Warteschlangen zu stehen anstatt zu arbeiten.
Ein weiterer Grund: Sozial benachteiligte Gruppen weisen häufiger Risikofaktoren für schwere Corona-Verläufe wie Zuckerkrankheit, Übergewicht und Atemprobleme auf. Letzteres auch, weil in ärmeren Vierteln die Luft oft messbar stärker mit Schadstoffen belastet ist.


Seit wann gibt es Studien zu den sozial-ökonomischen Unterschieden in der Pandemie?

Im Robert-Koch-Institut gibt es ein eigenes Fachgebiet zu sozialen Determinanten der Gesundheit. Aus den USA und aus Großbritannien gab es im Hinblick auf die Corona-Pandemie schon relativ früh Studien zu diesem Aspekt. In Deutschland sind die Daten nicht so einfach verfügbar, deshalb hat es etwas länger gedauert. Aber inzwischen gibt es für viele Städte, wie Düsseldorf, Stuttgart oder Hamburg, detaillierte Analysen.
Ein Beispiel aus dem Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf: Dort ist das Viertel Dahlem von Villen geprägt, die sogenannte Thermometersiedlung dagegen ist ein großer Hochhaus-Plattenbau-Komplex. Das RKI hat festgestellt, dass die erste Welle in den reicheren Gebieten begann und sich dann in benachteiligte Viertel verlagert hat. Dort leben viele Menschen mit Migrationshintergrund, das hat auch politisch für Diskussionen gesorgt. Tatsächlich lässt sich dieser Effekt aber fast komplett damit erklären, ob jemand sozial schlechter gestellt ist oder nicht.

Wären niedrigschwellige Impfangebote in sozial benachteiligten Gebieten hilfreich?

Dafür ist gerade die Thermometersiedlung in Berlin ein gutes Beispiel. In der vierten Welle ist sie nämlich deutlich weniger betroffen und das hängt wohl mit dem Erfolg der Schwerpunkt-Impfaktionen dort zusammen. Mit genau diesen Ansätzen hat auch Bremen eine hohe Impfquote erreicht: vielsprachige Angebote, Vertrauen aufbauen, etwa über Imame oder durch Obdachlosenbetreuer, vor Ort ansprechbar sein. Das RKI fordert ein solches zielgruppenspezifisches Vorgehen für sozial benachteiligten Gruppen. Es schlägt auch vor, FFP2-Masken und Selbsttests kostenlos zur Verfügung zu stellen und generell die Lebensbedingungen benachteiligter Gruppen zu verbessern.

Welche Rolle spielt soziale Ungleichheit in den Corona-Diskussionen?

Die sozialen Faktoren wurden immer wieder thematisiert, zuerst als es die Daten aus den USA gab, aber auch, als die Wochenzeitung „Zeit“ eine Analyse der Infektionszahlen in Großstädten vorlegte. Allerdings ist daraus bislang in der Politik wenig gefolgert worden. Möglicherweise bietet die Pandemie nun einen Anlass, das Thema „Soziales und Gesundheit“ neu anzugehen, denn Infektionen in benachteiligten Regionen wirken sich auf die gesamte Gesellschaft aus.