Markus Dichmann: Die Reichen bleiben reich, und die Armen bleiben arm. Im Grunde eine bittere Pille für eine Gesellschaft, die das Credo verfolgt "Wer sich anstrengt, muss auch belohnt werden." Aber die Hans-Böckler-Stiftung gibt uns neuen Grund, diese Pille auch schlucken zu müssen. In ihrem neu erschienenen Verteilungsbericht heißt es, dass seit den 90ern die soziale Mobilität hierzulande immer weiter gesunken sei. Heute würden es deutlich weniger Menschen, die als arm gelten, in eine höhere Einkommensschicht schaffen. Für diese Verfestigung der Einkommensunterschiede hat die Böckler-Stiftung vor allem einen Grund ausgemacht, und der heißt Bildung. Und insbesondere die Schule sei eine große, Zitat, Sortiermaschine. Ich habe Dorothee Spannagel, Autorin der Studie, gefragt, wer da eigentlich wie sortiert wird.
Dorothee Spannagel: Im Grunde ist ja Bildung immer noch in unserer Gesellschaft ein ganz zentraler Schlüssel für die spätere soziale Position, das heißt, dafür, welchen Beruf man später ergreift, und dann, entsprechend, über welche Einkommen man verfügt. Und da werden eben die Chancen sehr stark schon durch die Schule, durch den schulischen Abschluss dann geprägt. Und da wissen wir in Deutschland, dass eben gerade im Vergleich zu anderen Ländern das sehr stark von der sozialen Herkunft abhängt. Das heißt also, Kinder aus Akademikerhaushalten haben eine überdurchschnittlich große Chance, Abitur zu machen und später sogar zu studieren. Anders eben Kinder, die aus sozial schwächeren Familien kommen, in denen kein entsprechender Bildungshintergrund da ist.
Dichmann: Und durch Abitur und Studium kommen dann wiederum auch bessere Gelegenheit auf dem Arbeitsmarkt zustande.
Spannagel: Genau. Und dann geben die das wieder an ihre eigenen Kinder weiter, so, vereinfacht gesagt.
Dichmann: Bildungsforschern ist dieser Trend ja durchaus schon bekannt, dass der Bildungsgrad der Eltern oft eben auch abfärbt auf den Bildungsgrad der Kinder. Verstetigt sich das aber auch weiter?
Spannagel: In der Tendenz ja. Wir haben – das war ja das, was im Grunde aufgegriffen worden ist, mit diesem PISA-Schock, diese erste PISA-Studie hat das ja sehr deutlich gemacht. Und dann gab es tatsächlich auch Anstrengungen, das ein bisschen zu durchbrechen. Aber es ist eben immer noch so, dass wir da in Deutschland eine sehr starke soziale Abhängigkeit vom Bildungserfolg haben.
Dichmann: Hinzu kommt, so heißt es im Verteilungsbericht, dass auch das Risiko steigt, gegenüber den Eltern sozial abzusteigen.
Spannagel: Das ist vor allem was, wenn wir das in einer längeren Perspektive betrachten, wenn man sich jetzt beispielsweise die direkten Nachkriegsjahrgänge anguckt, also diejenigen, die, ich sage mal, in der Nachkriegszeit bis etwa 1960 geboren sind, die hatten sehr, sehr gute Chancen gegenüber ihrer Elterngeneration sozial aufzusteigen, das heißt also, sowohl einen höheren Bildungsabschluss zu haben als auch einen besseren Beruf, höheres Einkommen. Das war da tatsächlich dieser sogenannte Fahrstuhleffekt. Es ging im Grunde für die ganze Gesellschaft nach oben, und für sehr, sehr viele – die haben es eben sozusagen zu mehr gebracht als ihre eigenen Eltern. Es ist natürlich so, wenn man das jetzt betrachtet, zum Beispiel für Bildung, da geht es ja nicht unendlich nach oben. Wenn meine Eltern schon studiert haben und ich jetzt beispielsweise selbst nicht studiere, habe ich ja gegenüber meinen Eltern schon in der Bildungsdimension sozusagen einen Abstieg gemacht. Das ist ja keine Spirale, zumindest in der Bildung, die nach oben unendlich offen ist.
"Ganz am Anfang ein bisschen mehr für Chancengleichheit bei den Startchancen sorgen"
Dichmann: Gut, aber wie könnten insgesamt dann Lösungen aussehen für das Problem, das wir auch im Verteilungsbericht ausmachen?
Spannagel: Ich glaube, es ist ganz zentral, dass man versucht, diese soziale Abhängigkeit in der Bildung, diesen Mechanismus zu durchbrechen. Da gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Ich denke, ganz zentral ist, schon möglichst früh anzusetzen bei Kindern, also tatsächlich in der vorschulischen, in der frühkindlichen Bildung. Dass also Kinder, die beispielsweise in Elternhäusern aufwachsen, in denen die deutsche Sprache nicht einwandfrei beherrscht wird, dass da Unterstützung gegeben wird, also gerade beim Spracherwerb. Dass Kinder aus sozial schwächeren Familien auch außerhalb ihres Elternhauses betreut werden. Das sind schon mal ganz zentrale Ansatzpunkte, um ganz am Anfang ein bisschen mehr für Chancengleichheit bei den Startchancen zu sorgen. Dann, auch ganz zentral, eine möglichst lange gemeinsame Beschulung. Das heißt also, möglichst spät aufzuteilen in verschiedene Schulformen, also Gymnasium, Realschule, Hauptschule etwa, weil sie wissen, dass dieser Übergang in die weiterführende Schule eine ganz zentrale Weichenstellung ist, wenn man so will, an der dieses Prinzip, dass eben die soziale Herkunft eine ganz große Rolle spielt, also schlichtweg Kinder aus Akademikerhaushalten haben unabhängig von ihrer schulischen Leistung bessere Chancen, eine Empfehlung fürs Gymnasium zu bekommen als Kinder von beispielsweise Migrantenhaushalten.
Dichmann: Also ist es ein Plädoyer für die längere gemeinsame Beschulung.
Spannagel: Ja. Das ist ein ganz zentraler Punkt, der jetzt zum einen eben diese Karrieren, diese Schulkarrieren, diese unterschiedlichen, diesen Weg möglichst weit nach hinten verschiebt, und zum Zweiten natürlich auch dafür sorgt, dass man möglichst lange in sozial durchmischten Klassen ist. Wenn Sie sonst ein Gymnasium haben, an dem fast keine Migranten sind, die Migranten wiederum tendenziell in der Hauptschule unter sich sind, ist das natürlich auch nicht förderlich. Und das wird natürlich durch eine längere gemeinsame Beschulung auch dann nach hinten rausgeschoben.
Dichmann: Sagt Dorothee Spannagel, Autorin des Verteilungsberichts der Hans-Böckler-Stiftung. Danke für das Gespräch, Frau Spannagel!
Spannagel: Gern geschehen!
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