Der Münsteraner Wohnungsbau-Dezernent Matthias Peck läuft durch eine grüne Wohnstraße, etwa zehn Fahrradminuten nordöstlich der Innenstadt, nicht weit von der Uni entfernt.
"Das ist alles neu entstanden hier in den letzten zehn Jahren."
Gemessen an der Einwohnerzahl, wird in Münster bundesweit aktuell am meisten gebaut. Und die Stadt schafft dabei, was viele Kommunen nicht schaffen: Die Gesamtzahl der Sozialwohnungen steigt von Jahr zu Jahr. Dafür sorgt unter anderem das städtische Wohnungsunternehmen.
"Wir gehen mal rein."
"Die Stadt wächst extrem"
Hinter der Häuserreihe erstrecken sich weitere Wohnungen und dazwischen mehrere Höfe, üppig begrünt. Hier ein Boule-Feld, dort ein Kinderspielplatz. 190 neue Wohnungen sind in den Yorkhöfen entstanden, 100 davon sozial gefördert – die Miete beträgt hier gut sechs Euro pro Quadratmeter, halb so viel wie bei den frei finanzierten Wohnungen in diesem Quartier.
Bau-Dezernent Peck läuft in den nächsten Innenhof. Hier liegt das Außengelände einer Kita.
"Die Stadt wächst extrem. Wir haben in den letzten zehn Jahren 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner dazu bekommen. Das heißt, der Druck von außen ist extrem, und wir müssen vor allem preisgünstigen Wohnraum schaffen. Weil: Bei hoher Nachfrage und geringem Angebot steigen natürlich die Preise, und wir müssen dem entgegenwirken."
Jeder muss die Hälfte der Stadt verkaufen
Um entsprechend neuen Wohnraum zu schaffen, hat Münster 2014 das Konzept der sozialgerechten Bodennutzung verabschiedet, das mittlerweile als Münsteraner Modell bekannt ist. Will zum Beispiel ein Landwirt sein Grundstück verkaufen, muss er – damit dieses Grundstück hochpreisiges Bauland werden kann – die Hälfte davon an die Stadt veräußern, erklärt Peck.
"Wir haben im letzten Jahr für 25 Millionen Euro Land gekauft und werden in diesem Jahr für 71 Millionen Euro Land kaufen. Also wir haben fast 100 Hektar Land bekommen."
Wenn die Stadt diese Flächen später wieder an Investoren vergibt, dann nicht nach dem üblichen Höchstbieterprinzip. Sie bietet das Grundstück zu einem gutachterlich berechneten Festpreis an – und verkauft es an den Investor, der die geringste Startmiete und 30 Prozent Sozialwohnungen verspricht. Baut die Stadt selbst, sind es, wie in den Yorkhöfen, 60 Prozent.
"Nicht nur die Reichen und Schönen in der Innenstadt"
"In den letzten drei Jahren kann man sagen, die Anzahl der neu errichteten sozial geförderten Wohnräume sind jedes Jahr um 20 Prozent gestiegen. Ein großer Player ist die Wohn- und Stadtbau dabei, aber es sind eben auch Privatunternehmen dabei. Weil das ist eben common sense."
Common sense? Letztlich bleibt den Investoren beim Münsteraner Modell natürlich keine Wahl, wenn sie in der Stadt bauen wollen. Aber offenbar lohnt sich das Geschäft trotz allem. Für neue Grundstücke gibt es ausreichend Interessenten – und statt schicker, und teurer Prestigeobjekte wird in Münster einfach Wohnraum gebaut, sagt der Baudezernent:
"Ich will nicht nur die Reichen und Schönen im Innenstadtbereich haben, sondern hier müssen alle wohnen können."
NRW Bau-Ministerin appelliert an Verantwortung
Das klingt ehrlich gemeint - allerdings bringen zumindest die Reichen der Stadt in der Regel mehr Steuern ein, als die Krankenschwester oder der Erzieher. Und klamme Kommunen brauchen auch die Einnahmen aus Grundstücks-Höchstpreisverkäufen. Man muss sich das das Münsteraner Modell also auch leisten können.
Dennoch: Der Wohnungsmarkt dürfe nicht nur von Renditen abhängen, findet auch Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach, CDU*.
"Ich bin zurzeit mit mehreren großen Gesellschaften im Gespräch darüber, die ich wieder versuche, in die öffentliche Wohnraumförderung zu bekommen. Weil wir ihnen schon versuchen deutlich zu machen, dass es auch eine allgemeine Verantwortung gibt, innerhalb der Gesellschaft."
Landesweit werden – anders als in Münster – weitaus weniger Sozialwohnungen neu gebaut, als pro Jahr wegfallen. Dabei steigt die Nachfrage: Allein in den Großstädten Köln oder Düsseldorf haben mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ein Anrecht auf eine Sozialwohnung.
Gängige Förderkonzepte versagen
Das Problem: Mit sozialem Wohnungsbau lassen sich vielleicht Renditen von vier bis fünf Prozent erzielen. Im freien Wohnungsbau sind es eher sieben bis acht Prozent. Rein wirtschaftlich sei sozialer Wohnungsbau also nicht attraktiv,…
"…weil, wir verlangen auf 20 Jahre eine Mietpreisbindung. Und damit deckeln wir ja Renditeerwartungen oder Verzinsungserwartungen der Eigentümer",
…erklärt Scharrenbach. Das gängige Förderkonzept versucht deshalb, Investoren mit billigem Geld zu locken – über vergünstigte Kredite. Allerdings gibt es billiges Geld seit Jahren auch am freien Kapitalmarkt. Das heißt: Es bleibt für viele Bau-Unternehmen unattraktiv, beim sozialen Wohnungsbau mitzumischen.
"Marktlogik führt ins Verderben"
Die SPD in NRW fordert deshalb, dass der Staat selbst aktiv werden müsse – durch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, ähnlich wie in Münster.
"Ich glaube, die jetzige Marktlogik wird uns ins Verderben führen. Wir werden über weitere Schritte nachdenken müssen, da ist die Wohnungsbaugesellschaft ein erster Punkt: dass der Staat wieder in die Rolle kommt, wieder handeln zu können", sagt der baupolitische Sprecher der NRW-SPD, Jochen Ott.
Auch die Grünen fordern bessere Konzepte, abseits der rein finanziellen Förderung.
"Wir erleben, dass Wohnraum zum Spekulationsobjekt wird. Und ich finde, man kann nicht als Politik zugucken, dass das Zuhause nicht mehr sicher ist. Das verstärkt eine Verunsicherung, und dem etwas entgegen zu setzen, bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen, ist staatliche Aufgabe, ist Grundrecht, das man verwirklichen kann", sagt Grünen-Chefin in NRW, Mona Neubaur.
"Münster zeigt, wie man durch politischen Gestaltungswillen dieser Herausforderung begegnen kann."
*Wir haben die zuvor falsche Parteizugehörigkeit von Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach korrigiert.