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Sozialer Wohnungsbau
Wenig Anreize für neue Bauprojekte

Immer mehr Bauherrn verzichten trotz zinsverbilligter Darlehen auf den Neubau von Sozialwohnungen. Bei durchschnittlichen fünf bis sechs Euro Miete pro Quadratmeter lohnt sich die Investition im Neubaubereich für viele einfach nicht. Um mehr Anreize für soziales Bauen zu schaffen, überlegen die Länder, Kredite in Zuschüsse umzuwandeln.

Von Tonia Koch | 20.10.2016
    Karl Marx-Hof in Wien
    Der Karl Marx-Hof in Wien, eines der bekanntesten Projekte für den sozialen Wohnungsbau in der Stadt. (imago/Volker Preußer)
    Eine Seilwinde transportiert Baumaterial in den 13. Stock. Das Hochhaus auf der Folster Höhe in Saarbrücken wird von Grund auf saniert, erläutert Projektleiter Stefan Wey.
    "Wir arbeiten im bewohnten Zustand, sind aber auch in der Lage, Teilbereiche leer zu ziehen, die dann bearbeitet werden."
    Es zieht sich bis in die 7. Etage. Der Aufzug steht nicht zur Verfügung, er wird neu gebaut. Bislang war er etwa für Rollstuhlfahrer nicht erreichbar.
    "Hier kommen wir mit dem Aufzug an, und dann sind direkt vorgeschaltet zu den Aufzugsvorräumen, sind die barrierefreien Wohnungen, es gibt 36 Stück innerhalb des kompletten Gebäudes, 12 Stück pro Bauabschnitt. Alle anderen Wohnungen gliedern sich dann links und rechts der barrierefreien Wohnungen an. Ich bin immer noch außer Atem."
    Barrierefreiheit, energetische Standards, Fassadendämmung, Fenster mit Zwangslüftungen, Brandschutzauflagen: Das alles sind Stichworte, die für die Verantwortlichen der gemeinnützigen Saarbrücker Siedlungsgesellschaft Preise und Kosten bedeuten. Und die seien hier genauso hoch wie anderswo, sagt die kaufmännische Geschäftsführerin der Siedlungsgesellschaft, Hildegard Wald.
    "Wir renovieren, das ist der gleiche Kostenfaktor wie in München, d. h. die Sanierung hier, die 16,3 Millionen Euro würden wir in München genauso ausgeben. Nur hier bekommen wir fünf Euro beziehungsweise 5,50 Euro Miete, und in München ist der Satz entsprechend höher, insofern können in München die Wohnungsbauunternehmen andere Rücklagen auch bilden."
    Neubau von Sozialwohnungen läuft schleppend
    Die Kosten für den Neubau von Wohnungen liegen augenblicklich in etwa bei 2000 Euro pro Quadratmeter. Aber über Mietpreise in Höhe von fünf Euro könnten diese kaum noch eingespielt werden, auch deshalb komme der so häufig geforderte Neubau von Sozialwohnungen nicht in Gang, sagt Hildegard Wald.
    "Um neu zu bauen, bräuchte man echte Zuschüsse, rein zinsverbilligte Darlehen reichen hier nicht aus."
    Bislang versuchen die Bundesländer mit Hilfe zinsverbilligter Kredite die sogenannte soziale Wohnraumförderung zu unterstützen. Und darunter fällt viel mehr als nur der Neubau von Wohnungen, erläutert der zuständige Abteilungsleiter im saarländischen Finanzministerium Daniel Kempf.
    "Wir haben in den letzten zehn Jahren im Neubaubereich lediglich 12 Wohnungen gefördert, aber wir haben rund 800 Mietwohnungen in der Modernisierung gefördert und bestehende Belegungsbindungen verlängert, und ein ganz wesentlicher Punkt, Stichwort: demografische Entwicklung, alternde Gesellschaft - wir haben die altersgerechte Anpassung von rund 2.500 genutzten Wohnungen unterstützt."
    Weil im Saarland viele Wohnungen leer standen, bevor die Flüchtlinge den Wohnungsmarkt belebten, und die Bausubstanz ziemlich veraltet ist, hat das Land auf Modernisierung gesetzt. Überwiegend öffentliche Bauherren, landeseigene oder städtische Siedlungsgesellschaften, haben in den Bestand investiert. Aber in Zeiten niedriger Zinsen, in denen die Banken ihre Kunden mit preiswertem Geld versorgen, kann das Land die privaten Bauherren mit zinsverbilligten Krediten kaum mehr locken. Denn wer mit staatlichem Geld baut, der verpflichtet sich, über einen gewissen Zeitraum die Mieten niedrig zu halten. Im vergangen Jahr blieb deshalb sogar Geld im Topf übrig.
    Bundesländer suchen nach neuen Fördermöglichkeiten
    "Es wurde einmalig eine Million für andere Baumaßnahmen eingesetzt, allerdings nicht - wie behauptet - zweckentfremdet."
    6,3 Millionen Euro bekommt das Saarland jährlich vom Bund, damit es bezahlbaren Wohnraum bereitstellt - und zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gab es noch einmal 6,3 Millionen Euro extra. Davon dürfe nichts übrig bleiben, findet die Opposition. Heinz Bierbaum von der Linken.
    "Man muss halt die Förderung umstellen. Ich denke schon, dass es so sein muss, dass wir den sozialen Wohnungsbau anreizen müssen mit Mieten, die nicht über fünf, sechs Euro hinausgehen, sonst geht das nicht, und da muss man eben eine Förderungsstruktur schaffen, die dem heutigen Finanzmarkt entspricht."
    Inzwischen überlegt das Land - wie andere Bundesländer auch -, die Kredite in Zuschüsse umzuwandeln, um mehr Anreize zu setzen fürs soziale Bauen und Renovieren. Denn zumindest im Ballungsraum Saarbrücken haben es Menschen mit wenig Geld schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden, klagt der Mieterbund. Es dürfe nicht länger Geld in die Modernisierung gelenkt werden. Kai Werner:
    "Es ist in Ordnung, wenn man den Altbau zum Teil saniert, aber wenn man das jahrelang zu 100 Prozent macht, fehlt es an neuen sozial adäquaten Wohnungen. Zum zweiten hat es tatsächlich auch negative Auswirkungen, denn jede Form der Modernisierung darf laut Gesetz auch zu einer Mieterhöhung führen, das bedeutet: 11 Prozent Investitionskosten dürfen auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden."
    Bauherrn verzichten auf öffentliche Zuschüsse
    Theoretisch stimmt das, praktisch ist es komplizierter. Denn die Vergabe öffentlicher Darlehen ist an Bedingungen gebunden, die genau das verhindern sollen. In Zeiten billigen Geldes verzichten jedoch immer mehr Bauherrn auf öffentliche Zuschüsse, um höhere Mieten am Markt durchzusetzen. Die Leidtragenden sind Studierende, Rentner, Alleinerziehende und Hartz IV-Empfänger, sie geraten zunehmend in einen Verdrängungswettbewerb um preiswerten Wohnraum.
    Diese Situation muss Ella Schell nicht fürchten. Die Miete der Rentnerin auf der Folster Höhe steigt nach der Renovierung um 13 Cent pro Quadratmeter.
    "Ich wohne ja gern hier. Ich will hier nicht weg, das ist meine zweite Heimat, sag ich immer."