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Sozialexperiment
Bürger, Forscher und Verwaltung gestalten Projekte im "Reallabor"

Einzelne Bürger, Vereine, Stadtvertreter, Wissenschaftler, sie alle basteln im Reallabor an einem gemeinsamen Ziel wie einem Projekt zu mehr städtischem Grün. Doch über die klassische Bürgerbeteiligung geht das weit hinaus: es geht um die Analyse gesellschaftlicher und politischer Prozesse.

Von Mirko Smiljanic |
    Stuhlkreis, Pinnwand, viele Karten sind darauf
    Bürger, Stadtverwaltung, Forscher und Wissenschaftler experimentieren unter kontrollierten Bedingungen im "Reallabor" an einem gemeinsamen Ziel (Uschi Götz)
    So also sieht ein Reallabor aus: Ein ehemaliger Fußballplatz - erkennbar nur noch an der funktionslosen Flutlichtanlage -, um den sich die Gebäude von Vereinen und Organisationen gruppieren. Der Kleingärtnerverein Bochum-Riemke, Nordrhein-Westfalens größter Schrebergarten übriges, ein Kinder- und Jugendfreizeithaus, gefolgt vom Allgemeinen Bürger-Schützenverein Hofstede-Riemke. Außerdem residiert Teutonia Riemke mit seiner Handball- und Fußballabteilung "Am Hausacker", so heißt das gesamte Areal.
    Bochum-Riemke ist kein sozialer Brennpunkt, aber ein Stadtteil mit einem hohen Anteil armer Menschen. Erkennbar auch daran, dass hier viele alleinerziehende Mütter und Väter leben. Neue Statistiken zeigen sogar, "dass der Anteil deutlich gestiegen ist von alleinerziehenden Müttern und von Kindern, die im Sozialhilfebereich liegen, sodass sie natürlich armutsgefährdet sind und Teilhabe gerade an Dingen, die Geld kosten, schwierig ist."
    Gabi Spork, Bezirksbürgermeisterin Bochum-Mitte. Für dieses in die Jahre gekommene Areal ist Großes geplant, so Ute Feinweber vom Referat Sport und Bewegung der Stadt Bochum.
    "Auf dieser Fläche ist geplant, eine multisoziale und multifunktionale Sport- und Bewegungsfläche zu errichten, die für alle Menschen, die in diesem Quartier leben, etwas tut. Für Jung bis Alt, für alle Gruppen, ob Kinder, ob Senioren."
    Reallabore sind soziale Experimente
    Eine Freilufthalle wird gebaut, ein Wasserspielplatz, kleine Holzhäuser für Gruppen und Vereine, ein Café, eine Boule-Anlage, die der Riemker Schützenverein betreut, außerdem werden 60 Bäume gepflanzt und das Regenwasser kontrolliert versickert. Ökologie wird großgeschrieben. Und wer sind die Akteure dieses Projektes? Alle, die mitmachen wollen. Und wie bringen sie sich ein? In dem sie Teil des Reallabors "Vom Hausacker zum Urban Green" werden. Frei übersetzt: "Von der Brache zum städtischen Grün".
    "Ein Reallabor kann man auch bezeichnen als Realexperiment, Ziel ist, soziale Dynamiken und Prozesse zu erforschen. Der Laborbegriff, den haben wir aus der Naturwissenschaft uns abgeschaut, dieser Laborbegriff wird jetzt zur Analyse gesellschaftlicher und politischer Prozesse benutzt."
    Stephanie Haury, Projektleiterin im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Bonn. Die Bürger des Viertels wurden auf Marktplätzen und Websites, an Runden Tischen und in persönlichen Gesprächen über das Projekt informiert. Vor allem aber äußerten sie eigene Wünsche und Vorstellungen, die dann so weit möglich in die Planung einflossen. Im ersten Moment macht das den Eindruck einer klassischen Bürgerbeteiligung, tatsächlich gehen Reallabore aber weit darüber hinaus.
    Ein Verein beispielsweise wollte Steckdosen an einer bestimmten Stelle im neu konzipierten Vereinshaus haben, weil seine Aktivitäten an genau dieser Stelle Strom erfordern. Die Steckdosen werden installiert. Die Akteure vor Ort beschließen im Detail, was wie gebaut wird - wobei es natürlich immer eine Fachaufsicht gibt. Beim Riemker Reallabor sind dies die Verwaltung und der Rat der Stadt Bochum, die unter anderem für bauliche, politische und juristische Fragen zuständig sind.
    Und ein zweiter begrenzender Faktor darf nicht unerwähnt bleiben: das Budget, das die Stadt vorgibt. Was nicht bezahlt werden kann, kann auch nicht gebaut werden. Und was ist die Aufgabe von Wissenschaftlerinnen wie Stephanie Haury? Sie beobachtet, ob die Ideen aufgehen. Vieles klappt, einiges aber nicht.
    Im Reallabor ist Scheitern erlaubt
    "Hier soll sogar die Möglichkeit gegeben werden des Scheiterns, dass man auch lernt aus Scheitern, deswegen dieser offene Charakter. Wichtig ist auch, dass das Ganze interdisziplinär angelegt ist, dass wir zusammen eben mit den Personen vor Ort, also Wissenschaftlern und anderen Akteuren anderer Disziplinen versuchen, Dinge herauszufinden."
    Reallabore haben mehrere Vorteile. Die Wünsche der Beteiligten finden unmittelbare Berücksichtigung, die Identifikation mit dem Projekt wird verstärkt, außerdem sind Reallabore gelebte Demokratie: Wo sonst können Bürger direkten Einfluss nehmen auf städtebauliche Planungen? Besonders deutlich wird dies beim "Platzprojekt Hannover", einem von der Bundesregierung geförderten Reallabor, bei dem junge Menschen kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungsprojekte betreiben. Und zwar weitgehend autonom. Die Stadt Hannover hat allenfalls eine beratende Funktion.
    Ausgesprochen effizient wäre natürlich, wenn sich die Resultate eines Reallabors auf Projekte anderer Städte übertragen ließen. Doch anders als naturwissenschaftliche Versuche sind soziale Experimente kaum zu reproduzieren. Allenfalls allgemeingültige Ansätze kann Haury herausfiltern.
    Ergebnisse kaum auf andere Projekt übertragbar
    "Wir haben verschiedene Fragestellungen, was passiert in Bochum unter dem Begriff Umweltgerechtigkeit, gibt es Ansätze von Mehrfachnutzung, wie werden Personenkreise integriert in Bochum? Das heißt, wir versuchen nicht, das reale Setting von Bochum zu übertragen, sondern verschiedene Ansätze auf einer allgemein verständlichen Ebene auf andere Projekte zu übertragen."
    Praktische Aspekte, die sich verallgemeinern lassen, gibt es durchaus, so Ute Feinweber.
    "Beleuchtung, wichtiges Thema, Vermeidung von Angsträumen. Wir entfernen hier die Zäune, sodass man in alle Bereiche gehen kann. Jetzt kann man hier vorne nicht weiter, man läuft vor den Zaun, der wird entfernt, sodass die Jogger später sich hier treffen können zum Lauftreff, in den Spint die Sache packen, und dann hoch bis zum Tippelberg, das waren Anregungen aus dem Bereich Sport."
    Menschen einbinden, Verantwortung annehmen
    Die Akteure im Reallabor "Vom Hausacker zum Urban Green" sind voller Hoffnung, dass ihr auf etwa vier Jahre ausgelegtes Projekt ein Erfolg wird. Ein nagender Zweifel darf aber nicht unerwähnt bleiben darf: Was, wenn durch Vandalismus die schöne Anlage verschandelt wird?
    "Ja, natürlich die Angst oder die Gefahr sind da, aber nicht mehr oder weniger, wenn die Akteure dies zu ihrer Heimat machen, zu ihrer Anlage, hier gerne sind, oft sind, aufpassen, sich gegenseitig auch ansprechen, dann erhoffen wir uns, dass wir lange Freude an dieser Anlage haben."