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Sozialinitiative der Kirchen
Wirtschaftsfreundlicher Schulterschluss

Die beiden großen Kirchen in Deutschland legen gemeinsam ein neues Sozialwort vor. Themen sollen eine gerechte Steuerpolitik, der Umgang mit der Staatsverschuldung sowie der demografische Wandel sein. Kritiker befürchten ein zu wirtschaftsfreundliches Papier.

Von Burkhard Schäfers |
    Mehr als drei Jahre hat es gedauert, bis das Papier endlich fertig wurde. Und viele Monate war unklar, ob sich evangelische und katholische Kirche überhaupt auf gemeinsame Positionen zur Wirtschafts- und Sozialordnung einigen können. Zu unterschiedlich waren teilweise die inhaltlichen Vorstellungen. Doch nun veröffentlichen die Kirchen in einem ökumenischen Schulterschluss zehn Thesen zum Thema Gerechtigkeit und führen diese aus:
    "Es gibt viele Besorgnisse im Hinblick darauf, dass Menschen glauben, dass unsere Gesellschaft sehr ungerecht ist. Dass es große soziale Probleme gibt. Dass sie Gefährdungen sehen durch Globalisierung, Demografie, durch hohe Staatsschulden. Und in diesem schwierigen Umfeld, glaube ich, kann es Menschen helfen, wenn die Kirchen sagen, das sehen wir aus unserer Sicht so."
    Der Volkswirt Gustav Horn leitet die Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, kurz EKD. Im Hauptberuf ist er Wissenschaftlicher Direktor der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Horn kritisiert die derzeitige Ausprägung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland:
    "Wir haben in den letzten Jahren eine massive Umverteilung der Einkommen und Vermögen gehabt - in Richtung höhere Einkommen und höhere Vermögen. Wir haben auch im globalen Maßstab eine Entwicklung gehabt, die Reichtum auf der Erde konzentriert hat. All dies ist auch im gegenwärtigen System passiert und wir müssen auf diese Schwachstellen hinweisen."
    "Ein wenig zu blauäugig"
    Allerdings: Was bereits vor der Veröffentlichung von der ökumenischen Sozialinitiative bekannt geworden ist, lässt darauf schließen, dass sie eher wirtschaftsfreundlich angelegt ist. Das liege, meint Professor Horn, an den katholischen Bischöfen.
    "Dass man sagt, im Grunde ist alles in Ordnung, es gibt nur hier und da Korrekturbedarf. Diese Einstellung habe ich vor allem auf der katholischen Seite gesehen. Hier scheint eine Versöhnung mit dem gegenwärtigen System zu sein. Eine Versöhnung, die im Grundsatz vielleicht nicht zu kritisieren ist, aber die doch ein wenig zu blauäugig durch diese unsere Welt läuft. Dazu ist der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit auch in diesem Land eigentlich zu groß, als dass man so darüber hinweg gehen kann."
    Die jetzige Initiative steht unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise, die in den Jahren 2007/2008 begann. Sozialverbände kritisieren die Übermacht der Finanzmärkte, von der Arbeitnehmer und Nichtbeschäftigte gleichermaßen betroffen seien. Dieser Kritik müssten sich die Kirchen anschließen, fordert Johannes Stein, Bundespräses der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung KAB:
    "Es ist extrem an der Zeit, diese Phänomene einfach mal zu beschreiben und dann auf die strukturellen Ursachen zu befragen. Also nicht nur zu sagen, da haben ein paar Banker aus Gier zu hoch gepokert. Das wäre die persönliche Verantwortung. Auf der anderen Seite gibt es aber strukturelle Voraussetzungen, dass überhaupt solches Handeln passieren kann. Wenn die Strukturen unmoralisch sind, ist die Gefahr groß, dass das durchschlägt."
    Gerechtigkeit im Fokus
    In Deutschland geht seit geraumer Zeit die Schere immer weiter auseinander zwischen jenen, die viel haben und denen, die wenig besitzen. Das dadurch entstehende Konfliktpotenzial würden viele Bischöfe ausblenden. Sie hätten eher das Bild einer harmonischen Gesellschaft, sagt KAB-Präses Stein:
    "Aber die Verhältnisse sind nicht so. Es gibt in unserer Gesellschaft ganz viele Verlierer. Und es gibt in Deutschland über eine Million Menschen, die Millionäre sind. Viele von denen beziehen ihre Millionen durch Tricks. Geld vermehrt sich von selber, aber auch Schulden vermehren sich von selber. Das heißt also, die Menschen am anderen Ende der Skala sind strukturell benachteiligt. Und die Idee einer sozialen Gesellschaft ist, dass diejenigen, die viel haben, abgeben."
    So will die ökumenische Sozialinitiative auch das Thema gerechte Steuerpolitik aufgreifen, ebenso den Umgang mit der Staatsverschuldung. Weitere Punkte, zu denen sich die Kirchen äußern wollen, sind ökologische Nachhaltigkeit, demografischer Wandel sowie der gesetzliche Mindestlohn, sagt einer der Autoren des Papiers, der katholische Moraltheologe Peter Schallenberg:
    "Wir sehen auch die Forderung, dass man nicht von Almosen leben soll, sondern von seiner Hände Arbeit. Und dass es in vielen Branchen nach wie vor keine menschengerechten Löhne gibt, sondern eklatante Schwächen und Ungerechtigkeiten, das ist nicht von der Hand zu weisen."
    Der Leitbegriff Gerechtigkeit steht im Fokus des Sozialworts, sowohl was die Chancen jedes einzelnen anbelangt, als auch dessen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dabei gehe es um das Spannungsfeld zwischen fördern und fordern, erklärt Peter Schallenberg, der die Deutsche Bischofskonferenz in sozialethischen Fragen berät:
    "Was darf man vom Einzelnen erwarten: Von seiner Leistungsbereitschaft, von seiner Flexibilität? Das sind zum Teil strittige Dinge, da weisen mit Recht die Arbeitnehmerverbände und auch die katholischen Sozialverbände darauf hin, dass das Individuum nicht über Gebühr belastet werden darf, insbesondere wenn wir an funktionierende Familienverhältnisse denken."
    Weniger radikal als Papst Franziskus
    Nicht nur an dieser Stelle sei das Schreiben ein Konsenspapier zwischen verschiedenen Positionen innerhalb der Kirchen und über die Konfessionsgrenzen hinweg, sagen die Verfasser. So fallen die Formulierungen weniger radikal aus als bei Papst Franziskus. "Diese Wirtschaft tötet", hatte er vergangenen November in seinem Lehrschreiben Evangelii Gaudium konstatiert. Das Zitat findet sich in der ökumenischen Sozialinitiative nicht wieder, bestätigt Mitautor Schallenberg.
    "Wir haben manche blinden Flecken, manche Schlagseite, denken wir an Altersarmut, an Armut von Alleinerziehenden, denken wir an den gesamten Bereich der Migration. Und da ist der Satz 'Diese Wirtschaft tötet' von Papst Franziskus ein wichtiger Satz. Eine Wirtschaft, die nicht kanalisiert ist durch gute Gedanken, die folgt einfach dem freien Spiel der Interessen, dem freien Spiel der Stärkeren, und das ist nicht das, was wir von Staat und Wirtschaft wollen."
    Die Kirchen wollen sich in ihrer Sozialinitiative aber nicht nur mit Deutschland befassen, sondern ihren Blick auf die Europäische Union weiten, auch im Vorfeld der Europawahl im Mai. Kirchenmitglieder, denen die Stellungnahme zu allgemein sei, könnten sich ja nun nach der Veröffentlichung profiliert zu Wort melden, sagt der Vorsitzende der EKD-Sozialkammer, Gustav Horn:
    "Es hängt sicherlich davon ab, wie die Kirchen agieren. Ob sie das Papier nur mal für eine Pressekonferenz aus der Schublade holen und dann wieder vergessen, oder ob sie tatsächlich einen Diskussionsprozess initiieren. Manchmal ist ja auch die Rezeption eines Papiers besser als das Papier selbst."