61 Interviews führten die beiden "Le monde"-Journalisten Gerard Davet und Fabrice Lhomme mit Staatspräsident Hollande – und ihr Buch gibt Frankreich Rätsel auf.
"Ein Präsident sollte das nicht sagen…" heißt das Buch. Warum also sagt er es?, fragen viele. Dass Hollande sich in der Bilanz seiner Amtszeit als entschlossener Tatmensch präsentiert, wird als Eigenwerbung akzeptiert. Aber wozu die Details über sein Liebesleben? Wieso ist außenpolitisch Absonderliches zu lesen, zum Beispiel, dass es ein geheimes Übereinkommen zwischen Hollande und der EU-Kommission gebe, wonach man in Brüssel nicht darauf bestehen werde, dass Frankreich die Stabilitätskriterien einhält.
Kein Dementi von Hollande
Gleich in vier Fällen will Hollande einen Tötungsbefehl gegen Dschihadisten in Mali erteilt haben – worin viele in Frankreich nicht nur Wichtigtuerei sehen, sondern Geheimnisverrat. Und warum bringt er mit seinen Bosheiten ganze Berufsgruppen gegen sich auf, warum sagt er etwa, die französischen Richter und Staatsanwälte seien "Feiglinge", die sich hinter ihrer "Tugendhaftigkeit" "verstecken" würden? Die Richter waren empört, auch Rechtsanwalt Jean-Pierre Mignard, ein langjähriger Vertrauter des Präsidenten, zeigte sich sprachlos:
"Diese Äußerungen sind unglaublich, nicht nachzuvollziehen! Solche Reden können eine sehr zerstörerische Kraft entwickeln – der Präsident muss sich entschuldigen, um das wieder gut zu machen!"
Dementiert hat Francois Hollande nichts. Die geforderte Bitte um Entschuldigung, immerhin, kam in Form eines Briefes: es sei nicht seine Absicht gewesen, jemanden zu verletzen. Und auch eine kurze öffentliche Stellungnahme gab es.
"Es gibt Sätze in dem Buch, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden und die, ja, polemisch wirken können. Was aber zählt, ist, was ich getan habe und was ich sage."
Linker Parteiflügel müsse "liquidiert" werden
Die sieben Präsidentschaftskandidaten der konservativen Opposition sind wegen der parteiinternen Vorwahlen Ende November darauf bedacht, sich gegeneinander zu positionieren und suchen nicht die Auseinandersetzung mit Francois Hollande. Umso größer ist die Erregung in dessen Lager. Vom linken Parteiflügel sagt Hollande im Buch, man müsse ihn "liquidieren", er zeige nur, wie aus "vielen intelligenten Menschen eine Menge von Idioten werden kann".
Bei den harten Auseinandersetzungen über das neue Arbeitsrecht hatte derselbe Hollande monatelang um eben diese Parteilinke geworben, hatte Zugeständnisse gemacht, um die Geschlossenheit der Partei zu wahren – warum, fragen sich viele, wird er jetzt beleidigend und zerstört, war er vorher aufgebaut hat? Der Abgeordnete Patrick Mennucci findet, das sei "nicht das Niveau eines Präsidenten der Republik". Parteichef Jean-Christophe Cambadélis findet, der Präsident sollte "sehr bald öffentlich zu diesem Buch Stellung nehmen"
Erneute Kandidatur Hollandes abgeblasen
Doch genau das tut Francois Hollande nicht. Er schweigt, gibt sich, als wäre alles wie immer. Und bringt damit auch die letzten Getreuen gegen sich auf. Der Präsident der Nationalversammlung, Claude Bartolone, von Hollande im Buch als "ohne Charisma" beschrieben: Er erinnerte daran, dass ein Präsident "nicht alles beichten" dürfe - das höchste Staatsamt setze "eine Schweigepflicht voraus". Der Plan von etwa einhundert sozialistischen Abgeordneten und Senatoren, landesweit zur Unterstützung einer erneuten Kandidatur Hollandes aufzurufen, wurde umgehend aufgegeben. Und durchaus nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand wird in Sozialistenkreisen die Frage diskutiert, ob Hollande nach diesem Buch überhaupt noch einmal kandidieren kann.
Entsprechend kommen andere aus der Deckung, Premierminister Manuel Valls etwa, der öffentlich beklagte, das Buch schade der Politik und der Demokratie, es gelte doch "Würde und Distanz" zu wahren; der "Canard enchainé" zitierte Valls mit der Bemerkung, Hollandes Buch käme einem "politischen Selbstmord" gleich. Äußerlich wahrt Manuel Valls die Loyalität, die man von ihm seit Jahren kennt, im Radiosender France Inter sagte er:
Panik bei Sozialisten
"Loyalität bedeutet genau genommen: Selbstlosigkeit, Ergebenheit – welche andere Position einer auch vertreten mag. Ergebenheit: natürlich dem Präsidenten der Republik gegenüber, der Linken gegenüber, Frankreich gegenüber. Ich bin mehr als jemals Diener dieses Staates!"
Doch unübersehbar sind auch die Anspielungen, mit denen Valls zu erkennen gibt, dass er unter Umständen selber als Kandidat antreten könnte. Das Wort vom "Kalten Krieg" macht in Paris die Runde: zwischen dem Präsidenten und seinem Premierminister. Und in der Sozialistischen Partei kommt Panik auf: es wächst die Angst, dass keiner ihrer Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl auch nur in die zweite Runde kommen könnte.