Christine Heuer: Die fetten Jahre sind vorbei, sagt der Finanzminister nach der jüngsten Steuerschätzung. Die Einnahmen sinken. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Große Koalition auf Ausgaben verzichten möchte. Die SPD besteht auf ihrer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung und scheint bereit, dafür notfalls die Rentenrücklage anzugreifen. Die CDU ist strikt dagegen, will aber weiterhin den Soli auch für die oberen zehn Prozent der Bevölkerung streichen, obwohl das so gar nicht vereinbart war. Bildungsministerin Anja Karliczek verkündet derweil den Mindestlohn nun auch für Auszubildende.
Mitgehört hat Peter Bofinger, Ökonom an der Uni Würzburg. Er war bis Anfang diesen Jahres auch Mitglied im Sachverständigenrat der sogenannten Wirtschaftsweisen. Guten Tag, Herr Bofinger.
Peter Bofinger: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Die Grundrente aus der Rentenrücklage bezahlen - dazu sagt der CDU-Sozialexperte Hermann Gröhe: "Mit anderer Leute Geld eine Runde zu schmeißen, das war noch nie seriös." - Hat er da nicht recht?
Bofinger: Er hat recht. Es kann nicht sein, dass man sozialpolitische Ziele nur mit den Beitragszahlern der Sozialversicherung bezahlt. Wenn man sagt, Menschen, die wenig verdient haben in ihrem Leben, die sollen eine höhere Rente bekommen, dann muss das über Steuermittel bezahlt werden. Alles andere ist auch sozialpolitisch nicht gerecht, dass gerade die, die weniger verdienen, dann für solche sozialpolitischen Ziele aufkommen müssen.
"Man braucht eine Bedürftigkeitsprüfung"
Heuer: Da hat die SPD einfach eine schlechte Idee gerade?
Bofinger: Die SPD hat ja selbst anfänglich gesagt, dass das aus Steuermitteln bezahlt werden muss – genau, weil ansonsten völlig falsche Verteilungswirkungen gesetzt werden.
Heuer: Aber wenn die Grundrente aus Steuermitteln bezahlt würde, worauf sollte man dann verzichten, was man nämlich mit demselben Geld nicht zweimal bezahlen kann?
Bofinger: Zunächst mal bin ich auch der Auffassung, dass man eine Bedürftigkeitsprüfung braucht. Wenn jemand jetzt vom Staat durch die Grundrente zusätzlich mehrere hundert Euro jeden Monat bekommt, dann, finde ich, ist es nicht zuviel verlangt, dass er einmal seine Vermögensverhältnisse dann auch offenlegt, denn ansonsten würden ja von der Grundrente auch Menschen begünstigt, die jetzt in einem Haushalt leben, wo ein relativ hohes Einkommen da ist. Und ich finde, in Zeiten, wo wirklich wenig Geld für die Rente da ist, kann man sich so etwas nicht leisten.
Heuer: Und dann würden Sie sagen, mit der Bedürftigkeitsprüfung wird das ganze Projekt etwas günstiger und dann geht es schon aus Steuermitteln? Verstehe ich das richtig?
Bofinger: Ich würde noch einen zusätzlichen Finanzierungsweg ins Auge fassen. Es geht ja auch darum, Menschen, die bisher nicht in der Rentenversicherung sind, Selbstständige, die über keine eigene Absicherung für das Alter verfügen, in die Rentenversicherung zu bekommen. Und wenn man diese Menschen zwingt, in die gesetzliche Rentenversicherung zu gehen, dann erzielt man zusätzliche Mittel für die Rentenversicherung über relativ lange Zeiten, mit denen man auch die Grundrente zumindest teilweise finanzieren kann.
Soli nicht komplett abschaffen
Heuer: Super Idee, Herr Bofinger. Aber diese Leute, die Selbstständigen, die sorgen ja nun schon selber vor für ihre Rente. Sollen die jetzt doppelt bezahlen, damit die SPD Wahlgeschenke verteilen kann?
Bofinger: Nein. Es gibt sehr viele Selbstständige, die keine eigene Absicherung haben. Das ist ja auch ein Ziel der SPD, dass man sagt, man muss eine Verpflichtung zur Altersvorsorge für Selbstständige schaffen, die bisher keine eigene Absicherung haben. Und wenn man diese Menschen dann in die gesetzliche Rentenversicherung bringt, dann erhält man über länger Zeit zusätzliche Mittel, mit denen man zumindest teilweise die Grundrente finanzieren könnte.
Heuer: Ein ketzerischer Gegenvorschlag, Herr Bofinger.
Bofinger: Ich weiß gar nicht, was daran ketzerisch ist.
Heuer: Nein, nein! Ich mache den jetzt. Ich mache einen ketzerischen Gegenvorschlag, jedenfalls fürchte ich in Ihren Ohren: Die Sozialausgaben im Bundeshaushalt, die betragen im Moment 180 Milliarden Euro. Das sind 56 Prozent dessen, was der Staat überhaupt ausgibt. Hat der Staat noch andere Aufgaben, als Sozialleistungen zu bezahlen?
Bofinger: Ich würde Ihnen insoweit recht geben, dass man jetzt nicht nur sich fragen muss, wo kann man zusätzliche Sozialausgaben machen, aber auch nicht sich fragen soll wie die CDU, wie kann man jetzt Menschen, die sowieso sehr hohe Einkommen haben, ein ganz großzügiges Steuergeschenk machen, indem man den Soli vollständig abschafft, was über elf Milliarden Euro kostet. Sondern man sollte sich fragen, wie kann man denn jetzt in der aktuellen Situation Anreize setzen, dass mehr investiert wird, dass das Land zukunftsfähiger wird. Da wäre mein Vorschlag zu überlegen: Sollte man nicht großzügigere Abschreibungsmöglichkeiten schaffen, dass Unternehmen, die gerade jetzt, wo sie sich auf die Digitalisierung vorbereiten, wo sie die Industrie 4.0 umsetzen, dass sie dadurch Abschreibungserleichterungen staatlich unterstützt werden, um auf diese Art und Weise unser Land wettbewerbsfähiger zu machen.
"Abschreibungserleichterungen sind genau der richtige Weg"
Heuer: Die Unternehmen entlasten, weiterhin sehr viel in die Sozialsysteme investieren und den Mittelstand im Stich lassen, Herr Bofinger?
Bofinger: Aber der Mittelstand wird doch gerade durch Abschreibungserleichterungen begünstigt. Der Mittelstand hat ja oft Finanzierungsprobleme und wenn man ihm großzügige Abschreibungserleichterungen gibt, dann hat er doch die Möglichkeit, sich wettbewerbsfähiger zu machen. Ich meine, das Geld sollte denen gegeben werden, die investieren, die das Land voranbringen, und dafür sind Abschreibungserleichterungen genau der richtige Weg.
Heuer: Es gibt auch Bürger, ganz normale Bürger, die keine Unternehmen haben, die sich zum Mittelstand rechnen und die das Gefühl haben, sie werden einfach hochgerechnet zu den Superreichen und sollen immer und jederzeit bezahlen.
Bofinger: Na ja. Aber die Abschaffung des Soli, so wie sie bisher geplant ist, entlastet ja auch den Mittelstand. Und wenn die Menschen verheiratet sind, dann geht die Entlastung auch in relativ hohe Einkommen rein. Wogegen ich mich ausspreche, ist jetzt die generelle Abschaffung des Soli, die dann die Menschen begünstigt, die sehr hohe Einkommen haben und die auch in den vergangenen Jahren erheblich von der Globalisierung profitiert haben, deren Einkommen überproportional gestiegen sind. Da sehe ich keinen Grund, hier eine besondere Entlastung vorzunehmen.
"Ich glaube, dass unsere Steuerbelastung völlig okay ist"
Heuer: Die zahlen aber auch überproportional hohe Steuern, Herr Bofinger. Ich habe gelesen, 25 Prozent der Deutschen zahlen 80 Prozent der Einkommenssteuer. Sind das jetzt alles Superreiche, denen es schon recht geschieht, wenn man ihnen noch ein bisschen tiefer in die Tasche greift?
Bofinger: Ich glaube, dass unsere Steuerbelastung völlig okay ist. Wir haben einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent und dann von 45 Prozent für Menschen mit sehr hohen Einkommen. Das ist in der Geschichte Deutschlands ein vergleichsweise niedriger Steuersatz. Wir hatten zu Helmut Kohls Zeiten Spitzensteuersätze von 53 Prozent. Es ist völlig falsch zu behaupten, dass Menschen mit hohen Einkommen heute besonders stark belastet werden.
Heuer: Trotzdem beginnt der Reiche ab 3.000 Euro Nettoeinkommen.
Bofinger: Es ist ja völlig richtig, eine Entlastung vorzunehmen, wie das jetzt ja vorgeschlagen ist von der Koalition, wo die oberen zehn Prozent ausgelassen werden. Völlig okay! Ich könnte mir sogar vorstellen, das wäre in meinen Augen die bessere Lösung, dass man einfach einen neuen Steuertarif macht, wie das Stephan Weil vorgeschlagen hat, wo dann maßgeschneidert die Steuerbelastung auch dort zurückgenommen wird, wo der Mittelstandsbauch ist, wo der Mittelstand sitzt. Das halte ich sowieso für die überlegene Lösung gegenüber jetzt der vorgesehenen partiellen Abschaffung des Solidaritätszuschlages.
Heuer: Darüber wird die Politik dann aber noch ein bisschen diskutieren müssen. Das gehört ja nicht zu den Vorschlägen, die gerade virulent sind. – Peter Bofinger, Ökonom an der Uni Würzburg, war das im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.