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Sozialpsychologin Lamberty
Angst vor Radikalisierung "kein Argument gegen eine Impfpflicht"

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty erwartet eine Radikalisierung verschwörungsideologisch geprägter Szenen durch verschärfte Corona-Regeln. Eine Impfpflicht könne dies noch einmal befördern, sagte sie im Dlf. Der Politik warf sie in dem Zusammenhang vor, viele kommunikative Fehler gemacht zu haben.

Pia Lamberty im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Demonstranten gegen die Coronamaßnahmen halten am 20.11.2021 in Wien Plakate gegen die in Österreich geplante Impfpflicht in die Höhe
Demonstration gegen Coronamaßnahmen in Wien (imago images / photosteinmaurer.com)
Mit der vierten Corona-Welle in Europa verschärfen viele Länder wieder die Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben. In Wien, wo es ab Februar wie überall in Österreich eine Impfpflicht geben soll, aber auch in Städten der Niederlande und Belgiens ist es zuletzt zu teils gewaltsamen Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen gekommen. In Deutschland macht die selbsternannte Querdenker-Szene mobil und die Impfgegner fordern offen zum Widerstand gegen 2G und die mögliche Einführung einer Impfpflicht auf.
In den kommenden Wochen könnte sich die Szene weiter radikalisieren, so die Einschätzung der Mainzer Sozialpsychologin Pia Lamberty. Sie forscht und schreibt über Verschwörungsideologen, Fake News und die radikale Welt der Querdenker und Esoterik-Szene. "Wir diskutieren es immer als Art Einzelfälle. Aber das Gewaltpotenzial in der Gesellschaft empfinde ich gerade als sehr hoch", sagte sie im Dlf.

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Zur genauen Beurteilung der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft fehle es momentan noch an Studien. Jedoch würden sich schon die Hilferufe von den verschiedenen Berufsgruppen mehren, "die sagen, wir wissen nicht, wie wir das durchsetzen sollen, wir haben Angst, wir werden bedroht", so Lamberty.

"Jeder Dritte in Deutschland hat eine Affinität zum Verschwörungsglauben"

Ein Hauptproblem seien Verschwörungstheorien, die in der Gesellschaft breit verbreitet seien. Jeder dritte Deutsche habe laut Studien schon vor der Pandemie eine gewisse Affinität zum Verschwörungsglauben gehabt. "Ich gehe noch nicht mal unbedingt davon aus, dass der Verschwörungsglaube zugenommen hat. Ich glaube, der wird handlungsleitender", sagte die Sozialpsychologin.
In der Psychologie würden unterschiedliche Ursachen dazu erforscht: vom Kontrollverlust bis hin zum Bedürfnis, aus der Masse hervorzustechen. "Man fühlt sich dann als die Person, die scheinbar die Wahrheit sieht. Man inszeniert sich als angeblichen Widerstandskämpfer, als angeblicher Held."

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"Nicht der klügste Schachzug, eine Impfpflicht kategorisch auszuschließen"

Eine Impfpflicht könne bei stark verschwörungsideologisch geprägten Menschen Radikalität befördern, glaubt Lamberty. Dies ist aus ihrer Sicht jedoch kein Argument gegen eine solche Pflicht, "weil ich nicht glaube, dass man sich von dieser Gruppe die Maßnahmen diktieren lassen sollte".
Für andere ungeimpfte Gruppen könne eine Impfpflicht sogar eine Entlastungsfunktion haben. "Man ist jetzt anderthalb Jahre herumgelaufen, hat vielleicht gegen Impfungen gewettert und dass man sich nicht impfen lassen würde, und merkt aber, so richtig sicher bin ich mir nicht mehr. Das zuzugeben, ist für viele Menschen unglaublich schwierig. Man gibt nicht gerne Fehler zu und da kann so eine Impfpflicht vielleicht sogar entlastend sein, weil man es dann auf den Staat schieben kann."
Seitens der Politik seien in der Pandemie viele kommunikative Fehler gemacht worden, meint Lamberty. "Natürlich war es nicht der klügste Schachzug zu sagen, man schließt eine Impfpflicht kategorisch aus oder es wird keinen Lockdown geben, wenn man noch gar nicht weiß, wie die Lage sich entwickelt." Das müsse nach der Pandemie aufgearbeitet werden.

Das Interview im Wortlaut

Stefan Heinlein: Offene Gewalt, Hass gegen Polizei, Steine, Wasserwerfer, das haben wir gesehen in Belgien, das haben wir gesehen in den Niederlanden. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Szenen aus Rotterdam auch in deutschen Städten zeigen?
Pia Lamberty: Ich kann natürlich nicht in die Glaskugel schauen und es gibt auch unterschiedliche Protestkulturen in den unterschiedlichen Ländern. Aber dass sich diese ganze Szene noch mal radikalisieren könnte, ist schon eine Befürchtung, die ich habe. Wir haben ja nicht nur Gewalt in den Demonstrationen, sondern auch an ganz vielen anderen Stellen in dieser Gesellschaft.
Grüne Rauchschwaden hängen über den Demonstranten einer Demo in Wien gegen die Corona-MaßnahmenRing, 20.11.2021
Bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen in Wien kam es Ende November zu Festnahmen und Ausschreitungen (imago images/SKATA)
Heinlein: Was sind die Gründe für diese Sorgen, dass es auch in Deutschland, in deutschen Städten zu einem Gewaltausbruch ähnlich wie in Rotterdam kommen könnte?
Lamberty: Zum einen sehen wir seit anderthalb Jahren, dass da radikale Gruppierungen sind, die sich die ganze Zeit auch mit Verschwörungserzählungen füttern, mit Antisemitismus, mit Gewaltaufrufen. Wir sehen, dass Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen Angst haben, auch die Maßnahmen durchzusetzen. Das müssen sie ja häufig. Seien es Flugbegleiter oder auch Elternbeiräte, die immer wieder attackiert und bedroht werden. Dieses Netzwerk hat sich in der Pandemie auch professionalisiert.

"Gewaltpotenzial in der Gesellschaft empfinde ich gerade als sehr hoch"

Heinlein: Ist diese Radikalisierung der Szene, die Sie befürchten, auch ein Ergebnis der Agitation, der Propaganda, das der Normalbürger unterm Radar der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht wahrnimmt? Vieles was im Netz geschieht bekommen wir als Normalbürger gar nicht mit?
Lamberty: Ich glaube, viele Normalbürger bekommen es mit, wenn sie im Supermarkt arbeiten und auf die Maskenpflicht hinweisen müssen, wenn sie in der Schule arbeiten und auf einmal mit E-Mails überhäuft werden. Das Problem ist, wir haben keine gesammelten Zahlen, die das aufzeigen, die das als Problem diskutieren. Wir diskutieren es immer als Art Einzelfälle. Aber das Gewaltpotenzial in der Gesellschaft empfinde ich gerade als sehr hoch.
Heinlein: Ist die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft durch Corona insgesamt in den letzten Monaten gestiegen?
Lamberty: Das wäre eine Frage, für die bräuchte man Zahlen, und die gibt es wie gesagt leider nicht. Deswegen ist das unglaublich schwer zu beantworten. Aber es mehren sich ja schon auch die Hilferufe von den verschiedenen Berufsgruppen, die sagen, wir wissen nicht, wie wir das durchsetzen sollen, wir haben Angst, wir werden bedroht. Insofern vermute ich schon, dass da noch mal eine stärkere Anspannung da ist. Wir sehen ja auch beispielsweise, dass Ärzte immer mehr bedroht werden, dass sie angerufen werden, ihnen mit dem Tode gedroht wird.
Heinlein: In welchen Bereichen, Frau Lamberty, in welchen Milieus - kann man das beschreiben, auch wenn die Zahlen noch fehlen – ist die Gefahr für Gewalt und aggressive Proteste besonders ausgeprägt?
Lamberty: Es ist schon so, dass ich sagen würde, dass Menschen, die sich selber eher im rechten Spektrum verorten, beispielsweise AfD-Wähler, dass hier zum Beispiel der Verschwörungsglaube stärker ausgeprägt ist. Das ist ein Phänomen, das findet man in verschiedenen Ländern so. Da gab es ja auch schon vor der Pandemie Studien. Aber es ist natürlich nicht nur da. Es sind die, die „die da oben“ als Feindbild erachten, die glauben, dass hinter dem Virus eine Verschwörung steckt, und das können Akademiker sein, genauso wie der Nachbar, der eine Ausbildung gemacht hat.

"Verschwörungsglaube wird handlungsleitender"

Heinlein: Feindbild „die da oben“, sagen Sie, Frau Lamberty. Woher kommt dieses Grundmisstrauen gegenüber dem Staat, der Wissenschaft und auch gegenüber uns Medien? Warum wittern manche, egal ob Akademiker oder nicht gebildet, überall böse Machenschaften und Verschwörungen?
Lamberty: Das ist eine gute Frage. Es gibt in der Psychologie da unterschiedliche Ursachen, die erforscht werden, vom Kontrollverlust, der so was noch mal befeuern kann, sei es im privaten Umfeld, im gesellschaftlichen, aber auch so was wie ein Bedürfnis danach, einzigartig zu sein, besonders zu sein, aus der Masse hervorzustechen. Das ist ja auch etwas, das der Verschwörungsglaube beispielsweise – und der geht ja mit einer stärkeren Impfablehnung einher – befeuern kann. Man fühlt sich dann als die Person, die scheinbar die Wahrheit sieht. Man inszeniert sich als angeblichen Widerstandskämpfer, als angeblicher Held.
Das sind Gründe, warum Menschen an Verschwörungen glauben. Das gab es aber auch schon weit verbreitet vor der Pandemie. Ich gehe noch nicht mal unbedingt davon aus, dass der Verschwörungsglaube zugenommen hat. Ich glaube, der wird handlungsleitender. Aber in unseren Studien war es auch vor der Pandemie so, dass jeder Dritte in Deutschland eine gewisse Affinität zum Verschwörungsglauben hatte.

"Die, die Fakten überbringen, werden häufig als Teil der Verschwörung wahrgenommen"

Heinlein: Kommt man an diese Menschen überhaupt noch heran? Hätte der Staat, hätte die Gesellschaft vorab darauf reagieren können? Der Dialog scheint ja sehr, sehr schwierig.
Lamberty: Wenn wir von denen reden, die wirklich ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild haben, da kommen wir mit Aufklärung und Fakten nicht weiter, weil ja die, die die Fakten überbringen, dann häufig als Teil der Verschwörung wahrgenommen werden. Da, denke ich, hätte es vielleicht mehr gebracht, wenn man zum Beispiel schneller Straftaten nachverfolgt hätte, wenn wir jetzt an Attila Hildmann denken als prominentestes Beispiel, der ja monatelang hetzen konnte und dann in die Türkei geflüchtet ist.
Hier kann man wirklich Zeichen setzen, zum einen, weil ja die Menschen in diesem Milieu darauf reagieren. Sie sehen dann, es gibt Grenzen. Sie sagen aktuell, seht ihr, ich mache ja nichts Strafbares. Aber auch für die ganzen Betroffenen, die permanent verbal bedroht und attackiert werden. Die sehen, okay, da passiert was und ich bin dem nicht einfach nur ausgeliefert.

"Man gibt nicht gerne Fehler zu und da kann eine Impfpflicht vielleicht sogar entlastend sein"

Heinlein: Nun deutet sich eine weitere Entwicklung an. Sie verfolgen es auch, Frau Lamberty. Die allgemeine Impfpflicht wird heiß diskutiert und wird möglicherweise eingeführt. Wird sich diese Entwicklung, diese Radikalisierung, die Sie beschrieben haben, auch diese Gewaltbereitschaft, dieser offene Protest in den nächsten Wochen und Monaten, wenn es zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht kommt, noch einmal verstärken?
Lamberty: Ich glaube, es gibt die, die sich dann impfen lassen und für das vielleicht eine Art von Entlastungsfunktion sogar sein kann. Man ist jetzt anderthalb Jahre herumgelaufen, hat vielleicht gegen Impfungen gewettert und dass man sich nicht impfen lassen würde, und merkt aber, so richtig sicher bin ich mir nicht mehr. Das zuzugeben, ist für viele Menschen unglaublich schwierig. Man gibt nicht gerne Fehler zu und da kann so eine Impfpflicht vielleicht sogar entlastend sein, weil man es dann auf den Staat schieben kann.
Bei denen, die wie gesagt schon stark verschwörungsideologisch unterwegs sind, kann das auch noch mal eine Radikalität befördern. Das ist für mich aber kein Argument gegen eine Impfpflicht, weil ich nicht glaube, dass man sich von dieser Gruppe die Maßnahmen diktieren lassen sollte. Stattdessen ist es dann wichtig, sich vorzubereiten und sich bewusst zu sein, dass das so kommen kann.

"Die Politik hat da Schaden genommen"

Heinlein: Nun hat aber der Staat, nun hat die Politik, nun hat Jens Spahn, aber auch andere Spitzenpolitiker und Minister lange Monate auch während der Pandemie betont, eine Impfpflicht wird es nicht geben. Man hat den Politikern geglaubt. Jetzt dreht sich der Wind und die Politik sagt, wir werden eine Impfpflicht einführen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Querdenker-Szene.
Lamberty: Ja! Dass kommunikative Fehler gemacht wurden in der Pandemie, ich glaube, das kann man nicht bestreiten. Wenn man sich mal Daten anguckt, zum Beispiel das neueste Wissenschaftsbarometer: Die, die am meisten Schaden genommen haben im Vertrauen, das ist die Politik. Wissenschaft ist stabil geblieben. Bei Ärztinnen und Ärzten ist das Vertrauen stabil geblieben. Aber die Politik hat da Schaden genommen.
Ich glaube, das ist auch was, was aufgearbeitet werden muss nach der Pandemie. Und natürlich war es nicht der klügste Schachzug, um es jetzt mal freundlich auszudrücken, zu sagen, man schließt eine Impfpflicht kategorisch aus oder es wird keinen Lockdown geben, wenn man noch gar nicht weiß, wie die Lage sich entwickelt.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//