Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben
ein gemeinsames Sozialwort veröffentlicht
. In der rund 60-seitigen Erklärung mit dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" beklagen sie, dass sich die Wirtschaft von ethischen Maßstäben entfernt hat: Wirtschaftliche Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Maßhalten würden an den Rand gedrängt. Stattdessen herrschten "Gier" und "Maßlosigkeit". Die Kirchen halten das für bedenklich, weil dadurch der gesellschaftliche Zusammenhalt zerstört werde - mit fatalen Folgen für die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft.
Mit ihrem Papier wollen die christlichen Kirchen eine gesellschaftliche Debatte anstoßen. Ziel soll eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung sein. Das Modell der Marktwirtschaft habe sich zwar bewährt, so heißt es in der kirchlichen Stellungnahme, der Markt benötige aber ethische Rahmenbedingungen zum Schutz des freien und fairen Wettbewerbs, aber auch zum Schutz öffentlicher Güter und der Umwelt.
Wagenknecht kritisiert skandalöse Zustände bei der Leiharbeit
Die Publikation wurde bereits vor ihrer Veröffentlichung kontrovers diskutiert. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht begrüßte das Sozialwort als sehr konsequent und klar. Sie finde es allerdings fragwürdig, wie sich in Deutschland bestimmte Parteien christlich nennen könnten, die in ihrer Politik alles dafür täten, dass die Ungleichheit größer werde. Es gebe über den im Sozialwort geforderten Mindestlohn hinaus aber auf dem Arbeitsmarkt auch skandalöse Zustände bei der Leiharbeit, bei Werkverträgen und bei Dauerbefristungen.
In dem Sozialwort heißt es wörtlich zur Debatte um den Mindestlohn: "Zwar ist der vorrangige Weg zur Vereinbarung entsprechender Löhne die Aushandlung durch die Tarifpartner. Wo dieser Weg jedoch versagt, erscheint ein gesetzlicher Mindestlohn zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlich." Auch die Debatte um eine zu "laxe" Steuermoral wird in der Erklärung aufgegriffen. Konkret werden "geeignete Maßnahmen" gefordert, "um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in Zukunft effektiver zu verhindern und zu verfolgen".
Besonders enttäuscht zeigte sich der katholische Sozialethiker Bernhard Emunds, der das Sozialwort der Kirchen von 1997 mitverfasst hat. Er bezeichnete das Nachfolgepapier als nichtssagend und mutlos. Dem "Kölner Stadt-Anzeiger" sagte Emunds: "Das gepflegte Sowohl-als-auch, das sich als Tenor abzeichnet, wird keine Diskussionen anregen, sondern sie einschläfern." Der Theologe geht davon aus, dass "die Kirchenleitung inhaltliche Zuspitzungen sozialer und ökonomischer Themen fürchtete".
Somit sieht Emunds auch einen "deutlichen Kontrast" zu dem, was Papst Franziskus will. Gelassen reagierte der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auf diese Kritik. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst sagte er: "Der Ansatz unserer Sozialinitiative ist auf die tatsächliche Veränderung der politischen und sozialen Lage gerichtet. Insofern enthält er tatsächlich nicht die in Worten des Papsts anklingende Fundamentalkritik. Aber ich sehe da keinen Gegensatz."
"Profitmaximierung auf dem Rücken der Schwachen"
Der Papst verstehe unter dem Wort "Kapitalismus" eine "rücksichtlose Profitmaximierung auf dem Rücken der Schwachen". Bedford-Strohm schlussfolgert: "Wir wollen ja mit der Sozialinitiative eine breite Diskussion um die notwendigen Veränderungen anstoßen. Wenn Aussagen wie die des Papstes in diese Diskussion eine kritische Schärfe bringen, die zu wirklich umsetzbaren Veränderungsvorschlägen führt, dann kann man sich darüber nur freuen."
Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach betonte im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, dass das Sozialwort kein Dokument der Kirchen, sondern "eines der Kirchenleitungen" sei. Auch er hält viele Passagen für "zu blass". Seiner Meinung nach versprechen die Überschriften der einzelnen Kapitel zu viel.
Das ökumenische Dokument wurde vom Vorsitzenden der Deutschen katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, in Frankfurt vorgestellt.
Das letzte gemeinsame Sozialwort veröffentlichten die beiden Kirchen im Jahr 1997 unter dem Titel "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit". Die Erklärung kann hier im Volltext nachgelesen werden. Das aktuelle Sozialwort finden Sie auf der Webseite der Sozialinitiative.
mcz